MyHeimat als Internetgemeinschaft

Titelbild der Zeitschrift LOG IN (Nr. 152). | Foto: LOG-IN-Verlag, Berlin.
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Nachdem es inzwischen mehr als 20000 MyHeimat-Teilnehmer gibt, wäre zu fragen, was das Besondere an dieser Verwendung des Internet ist. Wo kommt das her, wo führt es hin?
Die Fachbezeichnung für MyHeimat und ähnliche Portale ist „Web 2.0“, was man mit „Mitmach-Netz“ umschreiben kann. Es handelt sich um die Gesamtheit der technischen und sozialen Entwicklungen, die von dem bisher verbreiteten Sender-Empfänger-Modell des Internet zur aktiven Partizipation der Nutzer überleiten. Schon das Worldwide Web von 1990 versprach jedem interessierten Nutzer die Möglichkeit, eigene Inhalte zu veröffentlichen und mit anderen darüber in einen Diskurs zu treten. Diese Verheißung ist nunmehr weitgehend erfüllt.
Insbesondere bieten die Möglichkeiten des Web 2.0 neue Chancen für die Schule; ihnen widmet sich die Zeitschrift LOG IN (Informatische Bildung und Computer in der Schule).
Die Soziologie der Internet-Kommunikation befindet sich erst am Anfang. Mit ihrer Hilfe werden Prozesse der Gruppenbildung untersucht; es wird gefragt, inwieweit sich neue Verhaltensweisen, Hierarchien und Wertsysteme herausbilden, und wie sich die politische und soziale Öffentlichkeit unter dem Einfluss solcher Medien verändert.
Für MyHeimat lassen einige diesbezügliche Beobachtungen machen und Fragen stellen, etwa zur Gruppenbildung. Zum einen gibt es die themenzentrierten Gruppen, zum anderen informelle Gruppen über die sogenannten Kontakte. Erstere haben ja den Zweck, für Orientierung in der Vielfalt der Beiträge zu sorgen. Dieses Ziel können die ersten 20 Gruppen, angefangen mit „Schönheiten Natur, Mensch, Tier und Umwelt – überregional“ (654 Mitglieder, 6522 Beiträge) über „Ausflug, Spaziergang, Reise und Vergnügungspark (185, 2693)“, „Attraktivität“ (166, 3157), „Natur,Pflanzen,Tiere,Wasser“ (144, 1574) wohl kaum erreichen, da das jeweilige Thema zu weit gefasst ist. Die wirklich aufs Thema eingegrenzten Gruppen beginnen etwa ab Nummer 30, z.B. „Schützen“ (53, 152), „Adventskalender“ (51, 32), „Eisenbahn und Modelleisenbahn“ (50, 192), „Jugendfeuerwehr in der Region Hannover“ (50, 37), „Das Steinhuder Meer“ (33, 175), „Rockmusik“ (34, 30). Eine Gruppe, in der man die Übersicht nicht verliert, kann nicht viel mehr als 30 Teilnehmer und 100 Beiträge haben.
Bemerkenswert ist die Gruppe „MyHeimat-Verbesserung“ (57, 59), da sie zu einer Selbstreflexion der Gemeinschaft dienen könnte. Einer dichtete: „150 Bilder, selten, gedankenloser Dreck, ich bitt' Euch, prüft es, laßt es manchmal weg.“ Dies führte zu unterschiedlichen Reaktionen: „Mit deinem Gedicht hast du in ein Wespennest gestochen.“ Einige reagierten empört, andere zeigten sich einsichtig, wieder andere mahnten Toleranz an. „MyHeimat verbindet und vermittelt heimatliche Gefühle, lässt Freundschaften entstehen und regt Diskussionen über alle mögliche Themen an. Durch MyHeimat haben sich die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt, man hat Schönheiten der Natur und anderen Regionen entdecken dürfen, und MyHeimat hat manchem einsamen Menschen eine Heimat gegeben“ (Luis Walter).
Soziologisch interessanter sind die Neigungsgruppen, die sich über Kontakte bilden. Grob geschätzt pflegt ein MyHeimat-Teilnehmer im Durchschnitt zwischen 20 und 30 Kontakte, wobei es im Extremfall auch über 100 sein können. Die Neigungsgruppe funktioniert nach dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir“, d.h. wer einen Beitrag publiziert, kann mit etwa so viel lobenden Kommentaren rechnen, wie er Kontakte pflegt und selbst lobt, – gleichgültig, welches Thema oder welche Qualität der Beitrag hat. Manche stellen sich die Neigungsgruppe als eine Art Familie vor und sprechen zu den Kontaktpersonen etwa wie Mama am Familientisch: „Also Kinder, ich habe eine Idee!“ – und sind sich dann der Aufmerksamkeit aller sicher.
Sozialpsychologisch interessante Themen:
- die Selbstdarstellung der Teilnehmer im Nutzerprofil (vom dürren „Nationalität Ital, seit 1960 in der BRD“ bis zu „Tanzen, tanzen, tanzen, busserln, den Liebsten herzen“ oder Werbung für die eigene Firma).
- Die Art der Kommentare (vom einfachen Lob bis zu intimen Konfessionen).
- Das Verhältnis von Kommentaren zu Beiträgen; ein grob geschätzter Mittelwert ist Faktor 16, d.h. auf 20 Beiträge kommen im Mittel 320 Kommentare. Aber es gibt auch das Verhältnis 14 zu 946 oder 21 zu 53.
Wichtig wäre auch eine Klassifizierung der Beiträge nach unterschiedlichen Kriterien. Vielleicht könnte sollte man einen Soziologie-Professor ansprechen, damit er eine Diplomarbeit zu diesem Thema vergibt.

Titelbild der Zeitschrift LOG IN (Nr. 152). | Foto: LOG-IN-Verlag, Berlin.
Zeitschrift LOG IN, Nr. 150-151. | Foto: LOG-IN-Verlag, Berlin.
Bürgerreporter:in:

Rüdeger Baumann aus Garbsen

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