Wie funktionieren Veranstaltungen über Rechtsextremismus

30. November 2011
19:00 Uhr
Künstlerkeller Freybg, Freyburg (Unstrut)

Zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung über “Neonazismus im Süden Sachsen-Anhalts” luden die Bündnis-Grünen gestern nach Freyburg ein. Gemeinsam mit den Gästen sollte über Antworten auf rechtsextreme Bedrohungen der Demokratie diskutiert werden.
Und Gäste kamen reichlich. Immerhin 20 Personen sämtlicher Altersklassen fanden sich zusammen um sich mit dem erneut tagesaktuellen Thema auseinanderzusetzen.

Aber - eigentlich sollte man es inzwischen besser wissen. Denn – wie funktioniert solch eine Informationsveranstaltung über Rechtsextremismus?
Zunächst braucht man unbedingt einen "Experten" – in diesem Fall sollte es der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel sein.
Dieser gibt als Erstes eine Definition des Begriffes Rechtsextremismus (Quelle: beliebig).
Alsdann folgen ein paar Statistiken zu Mitgliederzahlen in diversen Organisationen, zu Straftaten und den verschiedenen Aktionsformen, bei denen dann immer ein neuerlicher Wandel, eine "Modernisierung" konstatiert wird (Quelle: i.d.R. Verfassungsschutzberichte).
Garniert wird dies mit ein paar klischeehaften Angaben zur sog. Ideologie der Rechtsextremen (Quelle: mmmh??) und natürlich regionalen Fallbeispielen – in unserem Fall dürfen da die Prominenz auch Laucha und die Sommerfeste in Bad Kösen selbstredend nicht fehlen (Quelle: Tageszeitungen und TV).
So funktionieren Veranstaltungen über den Rechtsextremismus schon seit mindestens 10-15 Jahren (es sei denn sie werden von Rechtsextremen selber veranstaltet, das kann ich aber nicht verifizieren). Und mindestens ebenso lange führen diese gut gemeinten Veranstaltungen zu rein gar nichts, denn die stets verheißenen "Antworten auf Bedrohungen der Demokratie" macht man damit von vornherein unmöglich.
Das erste, das man auf einer Universität (oder alternativ aus einem Buch von Douglas Adams) lernt, ist es, die richtigen Fragen zu stellen. Und genau dieses wird mit dem soeben kurz skizzierten Schema-F tunlichst vermieden.
Bereits bei den Statistiken beginnt der Reigen der Peinlichkeiten: die Zahlen sind allesamt eher klein und damit so allein und für sich genommen relativ ungeeignet die reale Gefahr zu verdeutlichen. Eine Einbettung in übergeordnete Zusammenhänge fehlt leider, wäre aber bitter vonnöten.
Auch die Auflistung der Aktionsformen von Mahnwachen über Feste und Demonstrationen erscheinen in dieser lapidaren Aufzählform alles andere als gefährlich, eher als aktive Wahrnehmung demokratisch verbriefter Grundrechte.
Rechtsextremismus – so scheint es – habe stets selbsterklärend zu sein und zu wirken. "Rechts" ist rückständige, eine Fehlentwicklung und der erfundene Begriff des "Extremismus" suggeriert eine Gesinnung und ein Handeln jenseits der demokratischen und gesellschaftlich akzeptierten Grenzen. Diese Vorstellung, ein paar Zahlen, ein paar Fotos prominenter Rädelsführer und fertig ist ein Szenario der immer gefährlicher werdenden Omnipräsenz rechter Gruppen. Nur so funktioniert das nicht! Es erklärt weder wie rechte Diskurse funktionieren, wo sie herkommen, wieso sie so integrativ wirken und wieso sie gefährlich für die Demokratie sind.
Immerhin – das muss positiv erwähnt werden – wurde von Stiegel nicht behauptet, die Rechtsextreme versuche in die "gesellschaftliche Mitte" vorzudringen, sondern es wurde richtig darauf hingewiesen, dass die Ursprünge in eben jener "Mitte" selber zu finden sind. Leider blieb es bei dem Hinweis.
Die immer gleichen Details die dann angeführt werden führen die Peinlichkeit solcher Versuche nur noch weiter, vor allem wenn es um die Veränderungen des rechten Habitus geht:
Frauen in der Szene – ein alter Hut, hat aber bisher niemanden interessiert.
Musik und Subkulturen – ein Dauerbrenner. Aber was genau soll damit gesagt werden? Auch hier setzt man fälschlicher Weise auf den nicht vorhandenen Selbsterklärungseffekt.
Das optische Erscheinungsbild – der Prügelskinhead war von Beginn an ein Klischee und entspricht seit Mitte der 1990er nicht mehr der sozialen Realität. Michael Kühnen, Karl-Heinz Hoffmann etc. entsprachen nie dieser Vorstellung. Liegt jetzt die Gefahr darin, dass die Leute nicht mehr so aussehen wie wir es gern hätten?
Das Internet – ebenfalls ein Dauerbrenner. Allein der Umstand, dass Antidemokraten fähig sind, einen Webbrowser zu bedienen und HTML Programmieren können, scheint als Indikator einer Gefahr auszureichen. Wie wär es hier mal mit Statistiken? Wer nutzt hier welche Teile des Netzes in welchem Umfang und mit welchem messbaren Erfolg? Wer vernetzt sich mit wem und wie geschieht das? Im August 2008 z.B. hackten linke Hacker das Blood&Honour-Netzwerk. Der damit ermöglichte Einblick hinter die Kulissen taucht trotzdem in keinem Vortrag auf.
Sommerfeste und Kümmer-Partei – ich lach mich tot! Weiß überhaupt noch jemand wann das letzte NPD-Fest in Bad Kösen stattgefunden hat? Auf alle Fälle hat sich inzwischen einiges getan. Der Burgenlandkreis bekam im Mai 2009 von der Bundesregierung den Titel "Ort der Vielfalt" verliehen. Aber das "alljährliche Sommerfest" gehört in den Vortrag wie das Amen in die Kirche. Und gekümmert wird sich bestenfalls um sich selber, wie in der Broschüre
"Die NPD in den Kreistagen Sachsen-Anhalts" [Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt] verrät:
"Das NPD-Personal hat hier kaum Verbindungen zur nachfolgenden Generation und ist wenig kompetent, wenn es darum geht das vorhandene Potential zu aktivieren oder mit jugendgerechten und zeitgemäßen Angeboten zu bedienen."
Oder:
"Das Schlagwort von Herrn Karl […] ist ‚Taten statt Worte‘. Aber […] es ist genau umgekehrt. […] Die NPD entwickelt keine eigenen Aktivitäten über die Kreistagssitzung hinaus."
Peinlich sind all diese Dinge, weil sie der Wirklichkeit um mindestens 10 Jahre hinterher rennen und eine gescheite, erfolgsversprechende und angemessene Auseinandersetzung mit diesem viel zu ernsten Thema verhindern! Wilhelm Heitmeyers erste Rechtsextremismus-Studie erschien 1992 (!!) und auch jenseits der Wissenschaften untermauerte Burkhard Schröder in seinem 2000 erschienen Buch die These "Nazis sind Pop". Heitmeyer gab auf dem WSI-Herbstforum zur "Gespaltenen Gesellschaft" auch einen Grund für die Misere an: Seit fünf, sechs Jahren herrsche Funkstille seitens der Politik. Seine Arbeit würde schlichtweg nicht nachgefragt.
Die aktuelle Entwicklung bringt der Leipziger Rapper "Omik K" in seinem Song "Geschichten vom Block“ zum Ausdruck: "Uns vereint die Straße, egal was du bist, ob Kanacke, Russe, Neger, ob Faschist". Ob sich die Vertreter von Transkulturalität und Hybridität je hybride Neonazikulturen vorgestellt haben und wie man wohl darauf reagieren wird?

Bürgerreporter:in:

Der D aus Naumburg (Saale)

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