Vom Geist der abgewrackten DDR

Autor und Verleger Rainer Stankiewitz bringt alle 14 Tage den Seelenstorm heraus.Ausgabe Nr. 67

Gerade schreibe ich – wieder als Ghostwriter – eine Biografie, die in der Provinz Posen während des 1. Weltkriegs beginnt. Dabei fällt mir auf, dass der polnische Staat 120 Jahre lang nicht existierte, die polnische Nation dagegen währenddessen aber nie unterging. Unsere Nachbarn müssen ein grandioses nationales Bewusstsein haben.
Ich selbst empfand nie ähnliches gegenüber Deutschland. Nicht für das eine und nicht für das andere. Eher noch für das eine. Mein Deutschland war die DDR, es ging leider nicht anders, weil ich es mir nicht aussuchen konnte. Oft empfand ich Wut über das, was hier passierte. Es hätte manches anders gemacht werden können, ja müssen! Heute, fast 25 Jahre nach unrühmlicher Verbrüderung, stehe ich Deutschland gleichgültig gegenüber. Es ist so gar nicht mein Land! Es sind meine Flüsse, meine Wiesen und Felder, mein ist der hohe Himmel und sind die tiefen Wurzeln Mecklenburgs, die mich halten und treiben; auch einige liebe Menschen sind meine Freunde und Verwandte. Und nicht zu vergessen der Stolz auf meine Nation!
Aber der Staat gehört mir nicht. Dieser ist mir bis auf den heutigen Tag fremd. Weshalb sollte ich wütend werden wie einst in der DDR? Es ist eben jene Gleichgültigkeit in mir – nicht zu verwechseln mit Gleichmut!
Ich spüre seit längerem einen Geist umgehen nach all den Jahren – kein bisschen theatralisch, überhaupt nicht spirituell: es ist bloß der in meinen Adern pochende Zug des Arbeiter-und-Bauern-Staats, jenem viel zu früh von unreifen „Überstülpern“ den überraschten Leuten übergeholfenes Gebilde, das mich gleichermaßen beglückte und in Wut versetzte.
Ich kann doch nichts dafür, dass damals die Zeit gewissen lange Gedarbten einen
Moment günstig schien für den Sozialismus mit der Brechstange – auch nicht, dass 40 Jahre später Helmut Kohl meinte, die Geschichte beschere ihm einen Augenblick
der eigenen Unsterblichkeit und er müsse erst die bundesdeutschen Flaggen nach
Leipzig und Dresden schmuggeln und dann das Volkseigentum kassieren: Melde gehorsam Vollzug, Herr Monopolkapitalist!

Die Sache mit dem Sozialismus konnte nichts werden, jedenfalls nicht zu unserer Zeit und unter diesen Umständen. Doch keinen einzigen Tag während seiner vierzig Jahre dauernden Probezeit war der Sozialismus schlecht! Er kann gar nicht schlecht sein! Wenn nicht wenigen Menschen trotzdem schlecht wurde, liegen die Ursachen ganz woanders, als wir zu erforschen uns bislang mühten. – Leider bleiben wir heute stecken zwischen den lahmen Armen von Pastoren und Pastorentöchtern, und sogar lässt sich manch ganz Blöder unter uns in des Knabes Wunderhorn stoßen. Man ist dabei, unseren gesunden Menschenverstand zu verstümmeln. Hallo!
Merken wir es nach 20 Jahren schon nicht mehr?
Gewissermaßen, leider und ausschließlich sind die Triebkräfte des Egoismus die Flügel der Freiheit, ohne die alles nichts und Nichts alles ist. Die kleine Schwester Solidarität wird eines fragwürdigen sozialen Friedens wegen niedlich gestiftet vom großen Bruder Geld, dem Arbeitgeber des Unheils, aber auch unseres Bundespräsidenten und anderer zweifelhafter Bevollmächtigter. Also aufgepasst vor jeglicher Demagogie!
Es hinkt die Evolution, jene kleine Schwester will nicht wachsen, man tritt ihr in den Hintern, sie läuft krumm! Wenn sie nicht grade und aufrecht nach oben strebt, geht alles schief. Wer will das schon glauben in unseren Tagen? Bei den Massen von wohlständigem Schrott, die Übersatte in die Meere schmeißen und Hungrige nicht erreichen können?
Wo kommen denn solche dämlichen Leute hierzulande her, die – wie in Amerika – ihre Armut als gottgegeben bejubeln? Das Mittelalter lässt grüßen: Sobald dein Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt! Lasse dich also zeitlebens betrügen nach Strich und Faden und zur Tafel schicken – und schwebe danach glücklich in den Himmel. Wem dein Narrentod nützt, erfährst du zum Glück nicht mehr! Auch nicht, wer dich in kluger Manier irre gemacht hat. Du kannst nicht mehr herausfinden, wer dich von der Befähigung des Nachdenkens befreite, dir die Freiheit des blauen Himmels schenkte und sich selbst saftige Renditen.
Meine Freiheit ist Erkenntnis: Wie frei kann ein Mensch unter Seinesgleichen in einer Gemeinschaft überhaupt sein und wie nötig ist es, danach zu fragen?
Vielleicht braucht man manche Freiheiten gar nicht und fühlt sich dennoch nicht beengt? Am Ende ist gar Wohlfühlen unter einer altmodischen Mütze, die fürchterlich aussieht aber wärmt, blanke Freiheit und gerade das, was nottut, um uns gegenseitig zu achten und als Wert zu betrachten?
Was also habe ich tatsächlich eingetauscht gegen die DDR? Eigentlich bloß ein rabiates Land, das dabei ist, an seinen krankhaften Eigentumsstrukturen zu Grunde zu gehen. Fast jeder will immer mehr, rafft und giert, plündert und besticht, hinterzieht, schleimt, erniedrigt sich, hetzt und
heuchelt – dies alles nur, um möglichst viel Eigentum zu besitzen, mehr als er je konsumieren kann.
Was nützen mir denn die Vorteile, die diese Gesellschaft zweifelsfrei auch hervorbringt, wenn ich zu jenen ihrer Anzahl nach stetig steigenden gehöre, die nicht oder nur wenig teilhaben können. Was mir fehlt, haben andere in einem derartigen Überfluss – das ist nicht nur einfach verwerflich oder kriminell, sondern zeichnet eine völlig perverse, tödlich erkrankte Gesellschaft aus. Der
so genannte Rechtsstaat ist mit nichts anderem befasst, als das Eigentum dieser Republik zu schützen. Wenn es je eine Demokratie in der Bundesrepublik gab, ist sie längst von den Krallen der Finanz-diktatur zerfetzt. Und für jeden, der diesem menschenfressenden Ungetüm der Gerechtigkeit wegen ans Leder will, steht die Bundeswehr bereit, bald auch mit todbringenden Drohnen.
Nein, dieser Staat ist nicht meiner. Wie kann er es auch sein für jemand, der die DDR mit all ihren Schwächen, aber eben auch mit ihrer grandiosen Vision eines wahrhaftig menschlichen Miteinanders erlebte.
Dass bei diesem Vergleich der Systeme am Ende doch noch das verblichene andere Deutschland obsiegen könnte, davor haben all die Gierigen und Raffer Angst und schicken ihre Gaucks und Knabes, Brüderles und Herles an die Verblödungsfront, wo die Hasskörner mit Steuermillionen täglich
nachgelegt werden. Ob’s aber nützt?
Da hilft auch nicht die schöne, verheerende Hochwasserflut als Beweis der Zusammengehörigkeit der Deutschen. Wer’s glaubt wird selig. Hütten und Paläste schlossen sich immer aus, wie sich Feuer und Wasser ausschließen. Dabei wird die Angst immer panischer und hysterischer, je weiter das Arbeiter-land Abstand nimmt vom real existierenden Kapitalismus; immer heftiger werden die Attacken, so dass ihre Gebaren zunehmend Leuten auf den Keks gehen, die nicht als DDR-Liebhaber, doch als mit Vernunft und Real Sinn ausgestattete Zeitgenossen gelten. Jüngst sagte Harald Ringstorff: „Mehr als zwanzig Jahre nach der Wende darf man nicht pauschal Menschen verurteilen, die mal eine Unterschrift geleistet haben.“
Wenn wir schon die Mutter Erde in Planquadrate aufteilen, damit ihre Fruchtbarkeit unseren Lebensinteressen besser dient: Was spricht eigentlich dagegen, dass jene Flächen denen gehören, die auf und von ihnen leben? Welcher Gott und welches Naturereignis befiehlt uns, dass ganz viel Land ganz wenigen Menschen zu eigen sein soll und Abermillionen dabei in die Röhre gucken?
Das blaue Blut des Adels beispielsweise ist doch nicht selbstverständlich! Irgendwann in grauer Vorzeit hat so ein sich auserkoren fühlender Typ mit seinem Schwert dem Bauern den Pflug aus der Hand geschlagen und gesagt: Dein Land ist jetzt meins. Dann hat er den Rechtsstaat geschaffen, und der hat den Bauern aufgehängt, nachdem jener aus seinem Ackergerät eine Streitaxt schmiedete, um Feld und Wiese zurückzuerobern. – Aus dem altvorderen blaublütigen Eigentumsbeschaffer sind mittlerweile dreißig Generationen verästelter Absahner geworden, die auf Kosten anderer leben. Und die hofieren wir auch noch, verneigen uns untertänigst und halten sie aus – anstatt sie zum Teufel zu jagen.Die DDR hat sie zum Teufel gejagt. Das geklaute Land wurde unter die Kuratel der Gemeinschaft gestellt – zum Nutzen aller.
Was ist daran von menschenverachtendem kommunistischem Übel?
Nun wird wieder mit einer Dame namensDonata verhandelt. Es ginge um ihr Eigentum. Hoppla, he! Um welches Eigentum?
Ach, ich bin wohl ein Tor: es will einfach der Geist dieser BRD nicht hinein und der Geist jener DDR nicht heraus.

Den Seelenstorm als PDF: Seelenstorm Ausgabe Nr.67

Bürgerreporter:in:

Norbert Höfs aus Schwerin (MV)

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