Und die Bundesagentur für Arbeit schaut zu

Bild:Armutsnetzwerk e.V.

Sehr geehrte Bundesagentur für Arbeit

Wie viele Tote, Geschädigte und geschändete Hartz IV-Bezieher wollen Sie noch auf Ihr Konto laden? Wie viele Dauerkranke, frustrierte und von subtiler Gehirnwäsche geprägte Mitarbeiter wollen Sie in Ihrem Konstrukt Jobcentermaschine durchschleusen?

Fragen, die mich als Jobcenter-Mitarbeiterin bewegen. Fragen, auf die ich keine Antwort erhalte. Und Fragen, die öffentlich Ihrerseits diskutiert werden sollten. Das Internet quillt über von Meldungen über verhungerte, selbstmörderische und schwerst gekränkten „Hartzern“. Nicht geringer sind anonyme Aussagen und Berichte über Jobcenter-Mitarbeiter zu finden, welche den Druck, die gewollte Unmenschlichkeit gegenüber den Leistungsberechtigten und die Erfüllung von Quotenkollonen nicht mehr gewachsen sind. Anonym, aus Angst vor Repressalien und Kündigung durch die Zentralen der Jobcenter oder Ihrer Behörde. Sind doch gerade einzelne Projekte mehrheitlich mit befristeten Arbeitsgehilfen besetzt. Ein Umstand, der jedem Befristeten eine eigene Unsicherheit beschert und diese nach Außen trägt. Wie soll ein selbst Befristeter innere Sicherheit vermitteln? Und wie soll ein Befristeter mit der ständigen Unsicherheit umgehen, der morgige Tag könnte der Letzte sein? So agieren sie linientreu, kopf- und statistikgesteuert – immer mit der Hoffnung, noch am letzten Tag ihrer Befristung eine begnadete Verlängerung zu erhalten.

Dieses könnte natürlich auch Kalkül darstellen. Frischfleisch, ohne die Chance zu erhalten, das System zu durchschauen und die Angst vor der eigenen Arbeitslosigkeit, lässt Menschen agieren – ohne Sinn und Verstand. Ein bundesweites Marionettenspiel für mehr als sechs Millionen Erwerbslosen. Nur komisch, dass kaum – außer Sie selbst – klatscht. Auch Zugaben werden nicht gefordert.

Sie starten Kampagnen wie „ich-bin-gut“, Gelder aus Berlin für Weiterbildungen oder sonstigen Maßnahmen werden verteilt, Erwerbslose erhalten in Berlin einen persönlichen Coach, „Lauffaule“ Hartzer in Brandenburg bekommen einen Schrittzähler, Bendorf verlost Langzeitarbeitslose auf dem Weihnachtsmarkt und Nienburg droht mit Leistungskürzungen bei Verweigerung von Nichtraucherkursen. Absurditäten, die keine Beschreibung benötigen. So werden Gelder verschwendet für Kuriositäten, die unmenschlicher und entwürdigender nicht sein können. Ebenso wie bekannt und nicht ausgesprochen, werden Fördergelder, wie der Eingliederungszuschuss (Egz), für Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, die eine kurzfristige Beschäftigung gewährleisten. Aber ebenso, nach dem Auslaufen dieser Bezuschussung, eine oftmals erneute Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Allerdings spottet genau dieser Eingliederungszuschuss jeglicher Vernunft, wenn Niedriglohnausbeuter wie die Zeitarbeitsfirmen diesen erhalten. Eine, durch die Autorisierung unserer Regierung, geldliche Unterstützung für laufende Armut und Beibehaltung von Sklavenarbeit. Gewollte, geknechtete, erniedrigte und kontinuierliche Bittsteller in den Jobcentern. Subventioniert durch Ihre Behörde und der Bundesregierung.

Selbstverständlich gibt es immer wieder erfolgreiche Vermittlungen in unbefristete Jobs, von denen ein Mensch auch leben kann. Diese möchte ich nicht unerwähnt lassen. Auffällig ist nur, dass die Dauer der Langzeitarbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) stetig steigt. Demnach waren über die Hälfte der Betroffenen über 50 Jahre im Jahr 2011 länger als 12 Monate im Bezug von Arbeitslosengeld II.Ein kaum geringerer Anteil betrifft die Erwerbslosen unter 50 Jahren. Die Anzahl derer, die nach kurzfristiger Beschäftigung, weil ja zumeist nur noch befristet wird, stieg im Jahr 2011 ebenso stetig an. So sind über 2/3 der Bezieher von Arbeitslosengeld, Bezieher der Transferleistungen nach Hartz IV. Eine Zahl, die sich seit der Einführung von Hartz IV (2005) nicht zum Positiven gewandelt hat. Waren es zu Beginn rund 60 Prozent, sind es nun über 70 Prozent. Von einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit im Bereich des SGB II, kann nach meiner Berechnung nicht gesprochen werden.

Gesucht werden die Gründe für gewollte Willkür, für menschenverachtende Aussagen durch die Jobcenter-Mitarbeiter, für ein System, welches es zulässt, dass Erwerbslose genau dadurch immer kränker werden. Dass die Schuld jedoch beim Erwerbslosen gesucht wird, ohne an die eigene Kappe zu fassen, zeigt eine gewisse Mentalität der Ignoranz. Menschenunwürdiges und denkenloses Handeln, wie tagtäglich in den Jobcentern passiert, macht krank. Bedrohungen, Angst vor Sanktionen und die Behandlung als Mensch zweiter, dritter, vierter Klasse durch die Jobcenter führen nicht in Arbeit, sondern in die totale Verweigerung, in ständige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in die Resignation, in die Wut bis zum Suizid.

Mir ist bewusst, das ich mich mit diesen Fragen und dem Artikel weiteren Repressalien durch Ihre Behörde aussetze, vielleicht sogar meinen Arbeitsplatz riskiere. Mir ist aber auch bewusst, dass Menschlichkeit nur entstehen kann, wenn aufgerüttelt wird, wenn sich kritische Stimmen, auch aus den eigenen Reihen, erheben. Und ebenso als freie, anerkannte Journalistin nehme ich mir das Recht der vierten Staatsgewalt heraus und mache auf Missstände aufmerksam. So will ich nichts anderes, als Veränderung in Ihren Köpfen für mehr Menschsein und Beachtung der Menschenwürde nach dem Grundgesetz. Nicht Verwalten ist das Ziel, sondern das humanitäre Handeln. Oder sind wir schon so weit, dass jedes Erklimmen einer beruflichen höheren Stufe, das menschliche Denken und Handeln außer Kraft setzt?

Text: Inge Hannemann ,Mitarbeierin im Jobcenter

Bürgerreporter:in:

Norbert Höfs aus Schwerin (MV)

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