Die Vertafelung unserer Gesellschaft

Derzeit wird gerade in Norddeutschland wieder viel über die Tafeln gesendet und landesweit zu Spenden aufgerufen. Sicher sind Spenden, wenn diese denn bei den Bedürftigen auch angekommen eine gute Sache, nur sollte sich ein Staat nicht auf die Hilfe anderer verlassen, sondern Sorge tragen, dass es keiner Tafel bedarf, die die Menschen versorgen müssen, weil die Politik versagt hat.

Der Beitrag des NDR mit der Frage ob 20 Jahre Tafel ein Grund zum Feiern sei, muss man verneinen.
Warum werden sich jetzt viele Fragen, die Tafeln helfen doch den Menschen. Gerade aus diesem Grund muss man sich Gedanken machen. Um dies zu erkennen muss man sich freilich einmal mit den Tafeln beschäftigen, dann wird man auch feststellen müssen, das die Zahl der Tafeln von 1994 mit 4 Einrichtungen dieser Art bis heute - speziell nach Einführung von Hartz IV- auf mittlerweile über 900 Tafeln, die deutschlandweit Menschen "versorgen" gewachsen sind.
Das Verursacherprinzip war gestern und gilt nichts mehr, Selbsthilfe ist gefragt, Arbeitsplätze bieten wir euch nicht in ausreichender und auskömmlicher Anzahl, Steuern wollen wir auch nicht leisten, das Raubritterprinzip, welches wir leben, legen wir euch zur Last, indem wir einen Sozialstaat mit Nehmerqualität behaupten, der uns belastet, weil uns eure Armut "ankotzt" - geben wollen wir euch auch nichts... nur ein Bisschen... und... es sei denn, es kommt uns über Stiftungen, Spendenquittungen und Belobigungen selbst zugute. Wir legen euch die Verantwortung für unser (Nicht)Handeln in eure Hände, wohlwissend, dass ihr im Grunde und überhaupt eure Situation nicht verändern oder gar verbessern könnt... denn wir haben die Macht, weil wir euch Arbeit geben, die wir zunehmend schlechter vergüten. Wir nehmen euch die Freiheit und jede Alternative, helft euch selbst und hofft auf die Hilfe der wenigen Menschen, die noch halbwegs "gut" verdienen, diese werden mit euch teilen oder eben auch nicht. Derzeit wehrt man sich mit allen Mitteln gegen den überbordenden Sozialstaat, man hat sich bis jetzt durchgesetzt - freilich in mehreren Stufen, erst wurden arbeitsrechtliche Belange umgemodelt, etwas an den Sozialversicherungssystemen herumgeschraubt, sodann folgten Hartz I bis IV... und der letzte Geniestreich - das Aushebeln angemessener Leistungen für die Ärmsten hierzulande 8 Euro mehr wurden zugestanden; die Kinderregelsätze wurden quasi so belassen, wie sie waren, die einfache Logik, Kinder sind eben kleine Erwachsene, so die Theorie, sie essen doch weniger.
Nun mag der eine oder andere Mitbürger annehmen, es handele bei den Tafeln sich um eine durchweg positive Angelegenheit; schätzen das Engagement der Tafelbetreiber und Mitarbeiter (häufig Ein-Euro-Jobber) und freuen sich, dass weniger Lebensmittel im Müll landen - aber wie fast alle Belange im Leben, hat auch die Tafel zwei Seiten. In den letzten 20 Jahren ist dabei etwas entstanden, das man übergreifend Armutsökonomie nennen kann. Aber Armutsökonomien verwalten das Soziale nach ökonomischen Kriterien, nicht nach sozialen. Der armutsökonomische Markt zeichnet sich dadurch aus, dass Dritte dort von der Armut Anderer profitieren und dies als "Engagement" ausweisen können. Tafeln spielen in diesem Markt eine Vorreiterrolle. Sie unterliegen einer Dauersynchronisation zwischen den Interessen der Politik, der Wirtschaft, der Medien sowie ihren eigenen Interessen.
Problematisch ist nur, dass die für die Lebensmittelindustrie imagefördernde und kostensparende Entsorgung von Lebensmittelüberschüssen an Tafeln weder das Überschuss- noch das Armutsproblem ursächlich löst. Die Lebensmittelkonzerne und weitere Unterstützer erkaufen sich mithilfe der liebgewonnenen Tafeln lediglich Ruhe, damit sie ihrem Kerngeschäft, der Gewinnmaximierung, nachgehen können.
Deswegen macht es Sinn die Tafel wieder abzuschaffenden denn es geht doch darum, eine Grundsicherung zu institutionalisieren, die Tafeln weitgehend überflüssig macht. Wie können die politisch Verantwortlichen angesichts von 2 Millionen Menschen, die auf Tafeln angewiesen sind, ernsthaft sagen, dass sich am Sozialstaat nichts ändern muss? Das Verhältnis von Sozialstaat zu Armut ist völlig verdreht. Die Vertafelung der Gesellschaft ist somit eine weitere Form von Demütigung.

Wenn sich Politiker beim NDR an das Telefon setzten die im Monat ca.8000 € vom Staat kassieren, wohlgemerkt Steuergelder!, und die Bürger zu Spenden aufrufen, sollten diese zuallererst selber erst einmal eine angemessene Summe spenden.Zum Beispiel dürfte es unserer Landtagspräsidentin Frau Brefschneider bei einer monatlichen Vergütung von 10 000.- € viel leichter fallen mal 100.-€ zu spenden, als einem einfachen Arbeiter. Bei einer Hartz4 Leistung für Alleinstehende von 382.-€ und Miete wobei es Höchtsgrenzen zur Miete gibt kommt man so auf ca. 600-700 € an Sozialleistungen, somit bekommt unsere Landtagspräsidentin das 15fache eines Alleinstehenden ALG II Empfängers IM MONAT !

Tafeln, um sich zu inszenieren.

Nun bleiben nach diesen Verlautbarungen bestimmt beim Einen oder Anderen noch Zweifel bezüglich der Intention - wie Zielsetzung... damit die Kritik, die wirklich berechtigt ist, nicht zur Gänze ungehört und letztlich darüber unbeachtet verhallt - möchte ich abschließend auf folgende Tafel-Internetpräsenz aufmerksam machen:

Hier ein Beispiel:Spende ein Essen

Wir sehen ein interaktives Programm, gleich einem Spiel... vor uns steht ein Kind mit einem Teller in der Hand und mit traurigen Augen... der Nutzer "darf" nun allerlei Lebensmittel auf den Teller legen... z.B. die Banane/n für 80 Cent... das Kind lächelt und geht davon... vor uns steht das nächste Kind... was nehmen wir denn da?

Spaghetti Bolognese für sage und schreibe 4,50 Euro? Womit wir beim Kern wären... würden Mama und Papa pro Mittags-Mahlzeit dieses Geld ausgeben, dann wären das bei 30 Tagen 135 Euro - womit sogar der Regelsatzanteil für Ernährung der 18-Jährigen bei Weitem überschritten wäre... Mag mir jemand von euch erklären, wieso daheim die Spaghetti Bolognese - und nicht nur diese Mahlzeit (!) - für weit weniger Geld realisiert werden müssen... respektive, warum die Tafel Düsseldorf ganz offenkundig über die gefüllten Teller mehr Spenden einnimmt, als die Zubereitung dieser Mahlzeiten in der Großküche (Fiktion) kosten würde?

Hinter dieser zugegeben perfiden Frage steckt eigentlich etwas ganz Einfaches... wäre es nicht günstiger, den Familien auskömmliche Regelsätze zuzugestehen? Und wie ist das eigentlich mit der Würde, wenn alle Kinder mit ihren gefüllten Tellern glücklich von dannen marschieren... hat der Programmierer sich hier sozusagen interaktiv gesund gestoßen? Sind diese Fragen etwa nicht legitim?
Klickt man "Weiter zur Spende", dann erfährt man, welche Kinder man nun beglückt hat... die Spende kann aufgerundet werden... nach der Anmeldung wird es sozusagen spruchreif... aber nein, wir beglücken eben nicht diese Kinder... genaugenommen wissen wir gar nicht, welche Kinder wir in welchem Maß unterstützen... so wird z.B. für die angepriesene Schulspeisung der Kinder - und jetzt sind wir wieder bei der Großküche - ein Eigenanteil vom Kinderregelsatz abgezogen... Ja - das bedeutet geringere Mittel für die Familien, um die übrigen Mahlzeiten daheim zu realisieren... und natürlich kostet die Zubereitung simpler Spaghetti nach den Einkauf im Großmarkt - respektive der Lebensmittelspende durch den Supermarkt X oder Y keine 4,50 Euro... aber was oder wer wird von der Differenz der jeweiligen Spende zu den realen Kosten der Mahlzeit unterstützt? Die Ein-Euro-Jobber in der Küche oder in der Essensausgabe der Schule? Nein... ihre Jobs werden vollständig über die Leistungen der öffentlichen Kasse finanziert... da bleibt sogar noch etwas für den Träger - in diesem Fall die Tafel "übrig".

Bürgerreporter:in:

Norbert Höfs aus Schwerin (MV)

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