Politischer Stammtisch: "Churchill war ein Rassist"!

Da die Kontaktsperre gelockert worden war, erhielten sie vom Wirt Charly einen Anruf, dass sie wieder an ihren 'Stammtisch' kommen könnten. Drinnen hätte er die Plätze reduziert.
Von der Behörde aber die Erlaubnis bekommen, auf dem hier etwas breiterem Fußweg eine Sitzecke einzurichten. Er würde sie reservieren.
So machten sie sich gestern Vormittag auf den Weg. In der Bahn hatten sie sich den von Karls Frau genähten Mund- und Nasenschutz umgelegt und waren froh, ihn beim Aussteigen ablegen zu können.
Schon vom S-Bahn-Ausgang konnten sie den großen, grünen Sonnenschirm vor der Kreuzung erkennen. Die ungefähr 15 Quadratmeter große Fläche wirkte wie ein luftiges Zimmer. Umrahmt war sie mit hohen Blumenkübeln, aus denen ihnen rote Geranien anlachten. Zwei Tische mit jeweils vier Stühlen waren gestattet worden. Sie nahmen am ersten Tisch Platz, am hinteren saß ein lachendes Liebespaar.
Charly hatte sie kommen sehen. Sie begrüßten ihn mit der völlig ungewohnten
Berührung der Ellenbogen.
"Wie immer?" fragte er. "Drei Bier und die Skatkarten?"

"Anstatt des Kartenspiels bringe uns bitte die Speisekarte mit", antwortete Ralf. " Oder ist dein Koch noch in Kurzurlaub?"

"Ja, bis Ende Juni" Und jetzt lächelnd: "Aber ich kann euch etwas mit Bratkartoffeln zaubern."

"Dann zaubere uns bitte Bauernfrühstück, für mich aber Sauerfleisch!"

Karl wischte sich über das Haar. "Irgendwas stört mich hier!" sagte er unwirsch. Er stand auf und drehte sich um. Von einer Schirmspeiche hing ein beschriftetes Schild herunter.
Er knüpfte es ab und zeigte es den beiden. 'FUTTERN WIE BEI MUTTERN!"

Die lachten und Ralf sagte: "Charly ist ein Schlawiner! Macht hier den Aushilfskoch und wirbt mit häuslicher Kost!"

Der Wirt kam mit den Bieren. "Auf mich müsst ihr jetzt erstmal verzichten. Ich muss in die Küche."

Das war das Stichwort für Ralf. "Nee! Warte mal! Vorher musst du dir erstmal ein Kleid anziehen oder zumindest eine Schürze umlegen!" Er zeigte ihm grinsend das Schild.

"Ach so", Charly lachte unbekümmert. "Das habe ich vergessen, abzunehmen."

"Ralf hält dich für einen Schlawiner!", sagte Walter ganz ernst. "Für mich bist du ein Pharisäer!"

"Wie kommt ihr denn darauf?"

"Vortäuschung falscher Tatsachen!" Walter lachte jetzt spöttisch."Du schenkst hier
Astra- und Holstenbier aus und auf deinem gesponserten Schirm steht ganz groß:
'JEVER PILSENER -  ERFRISCHEND FRIESISCH-HERB!'"

Charly antwortete ganz ruhig: "Das kommt durch die Corona-Krise. Ein mit mir befreundeter Wirt hat aufgegeben. Er hat die Schnauze voll und mir diesen Schirm geschenkt." Im Weggehen sagte er noch: " Er wird nicht das einzige Opfer unter meinen
Kollegen bleiben!"

Sie beließen es dabei und prosteten einander zu.
"Jetzt ist unser Bürgermeister mit allen Stimmen der Koalition gewählt worden", eröffnete Karl die Diskussion.

"Ja, die Einstimmigkeit ist auch ein bisschen erkauft worden", meinte Ralf. "Die erstarkten Grünen haben jetzt ihren Anjes Tjarks als Senator für Verkehr und Mobilitätswende bekommen. Der Zusatz wird jetzt der Schwerpunkt werden! Herr Tjarks als passionierter Radfahrer wird jetzt einiges umkrempeln!"

"Das kann ich nur begrüßen!", entgegnete Walter. "Das tut uns allen gut und hilft, unser Klimaziel zu erreichen!"

"Ich habe letztes Jahr schon was dafür getan!" stimmte Karl zu. "Ihr wisst ja, dass ich mein Auto habe verschrotten lassen. Bertha hatte nach ihren Problemen mit den Augen keinen Mut mehr zum Fahren, und für mich war der Verkehr zu stark und zu aggressiv geworden.
Das Radfahren macht mir richtig Spaß und erhält mich beweglich. Freitags, wenn wir fürs Wochenende einkaufen, kupple ich den Lastenhänger an."

"Das sehen aber nicht alle so!" erwiderte Ralf. "Viele haben zwar ein Fahrrad, das steht aber eingestaubt neben dem großen Spritschlucker in der Garage!"

"Na und!", sagte Walter. "Die werden sich noch umstellen, wenn weitere Fahrradstrecken auf die Straßen verlagert werden. Die Einkaufsstraßen in der City sollen auch autofrei werden!"

"Das ist aber auch ein Risiko für die Koalition", warf Karl ein. "Wenn weitere Städte in anderen Bundesländern nachziehen, flüchtet mancher in die 'Alternative'! Nächstes Jahr ist Bundestagswahl und es gibt bestimmt mehr Auto- als Radfahrer!"

Walter winkte ab. "Klimaschutz darf niemals Partei-Opportunismus werden!"
Die Freunde nickten schweigend.
Nach einer kurzen Pause sagte Ralf: "Ihr habt doch auch gehört, dass das Denkmal von Winston Churchill beschmiert wurde. - Wisst ihr, ob der Rassist war?"

"Nein!" antwortete Walter sofort." Das kann nur mit dem Kolonialismus zusammenhängen.
Aber Länder wie Spanien, Portugal, und sogar wir als Deutsche waren ebenso unmenschlich!"

"Du brauchst ihn gar nicht in Schutz zu nehmen!", widerprach Karl. "Natürlich war Churchill ein Rassist! Er als Premierminister hat mit seinem Volk gegen Nazi-Deutschland gekämpft. Er hat die arische Rasse ausgerottet!"

Charly kam mit den Bratkartoffeln.

Bürgerreporter:in:

Martin Ripp aus Bramfeld

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