Weihnachten im Hl. Land

Weihnachtlicher Trubel

Für Touristen scheint die Via Dolorosa - die Leidensstraße - in die Geburtskirche verlegt worden zu sein. Stundenlanges Stehen inmitten eines geschmacklosen Gerüstdschungels ist in diesem Jahr angesagt für diejenigen, die einen kurzen Blick auf den traditionellen Originalgeburtsort Jesu werfen wollen. Geduldig ertragen Gläubige aus aller Welt die Tortur - unterhalten sich, zuerst leise, dann immer lauter, bis irgendwann der wachhabende griechisch-orthodoxe Pope faucht, zischt und schließlich lautstark darauf aufmerksam macht, dass man sich doch an heiliger Stätte befinde und deshalb Ruhe zu wahren habe. Gehorsam schweigt die Touristenschlange.

Die Geburtskirche in Bethlehem ist die älteste Kirche der Christenheit. Im vierten Jahrhundert nach Christus machte die byzantinische Königinmutter Helena eine Reise ins Heilige Land und legte dabei die meisten heute noch traditionell anerkannten Heiligen Stätten fest - neben dem Berg Sinai auch die Grabeskirche und den Ort der Geburtsgrotte Jesu.
Zwischen 327 und 333 ließ Kaiser Konstantin I. eine erste Basilika bauen. Um die Wende vom 4. auf das 5. Jahrhundert übersetzte Hieronymus in dieser Gegend die Bibel ins Lateinische. Als im 7. Jahrhundert die Perser alle Kirchen des Landes dem Erdboden gleich machten, zerstörten sie erstaunlicherweise die Geburtskirche nicht. Die Legende besagt, dass der persische Kommandeur von einem Fresco der drei Weisen aus dem Morgenland so beeindruckt war, dass er die Zerstörung des Gotteshauses verhinderte. Die drei Magier waren in persische Gewänder gekleidet.

Bis in die jüngste Zeit hinein hat die Geburtskirche eine bewegte Geschichte. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war sie einer der Hauptgründe dafür, dass die Franzosen in den Krimkrieg gegen die Russen einstiegen. Während der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen wurde sie immer wieder Schauplatz von Kämpfen. So verschanzte sich im Frühjahr 2002 eine Gruppe von militanten Palästinensern in dem Gebäude und wurde dort von der israelischen Armee belagert.

Die Geburtskirche hat eine mystische Ausstrahlung und zieht selbst Menschen an, die vom Christentum nicht viel halten. Moslemische Frauen kommen, stecken ihre Finger in kreuzförmige Löcher einer der uralten Säulen und bitten um Fruchtbarkeit. Palästinensische Christen bringen ihre neugeborenen Kinder an den Geburtsort des Herrn und versprechen sich davon einen besonderen Segen.

An Weihnachten geht es in Bethlehem traditionell hoch her. Am späten Vormittag des 24. Dezember wird der lateinische Patriarch, der seinen Sitz in Jerusalem hat, von der Bevölkerung und Geistlichkeit Bethlehems pompös vor der Geburtskirche empfangen. Aus der neben der orthodoxen Basilika gelegenen katholischen Katharinenkirche wird traditionell am Heiligen Abend die Christvesper per Fernsehen in alle Welt übertragen.

Seit der Moslem Jasser Arafat 1995 erstmals am Weihnachtsfest in Bethlehem teilgenommen hat, erlebte die Festivität eine zunehmende Politisierung. Zu Ehren des PLO-Vorsitzenden wurde damals ein Modell des Felsendoms auf dem Dach der Geburtskirche platziert, was der Nahostkorrespondent Ulrich Sahm als Demonstration der Herrschaft des Islam über die heiligste christliche Stätte interpretierte. Zudem hing erstmals in der Geschichte der Geburtskirche eine Nationalflagge, die palästinensische, an der Kirchenmauer - was weder unter den Türken, noch unter Briten, Jordaniern oder Israelis jemals der Fall gewesen war.

Doch abgesehen von diesen zeitlich begrenzten, politischen Eskapaden kümmert die westliche Christenheit der Streit um den Geburtsort Jesu nur wenig. Sie feiert Weihnachten am 24. Dezember - und am Abend dieses Tages sind die Lateiner Alleindarsteller in der Geburtskirche. Die evangelischen Lutheraner haben ihre Weihnachtskirche ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt auf der anderen Seite der Altstadt von Bethlehem und erheben keinen Besitzanspruch auf den originalen Geburtsort Jesu. Die Ostkirchen feiern das Christfest erst am 6. Januar. Der wichtige Großputz, bei dem jeder Besenstrich ein Akt von weltpolitischer Bedeutung ist, weil es weniger um Sauberkeit als um Besitzansprüche geht, ist ein Streitpunkt zwischen Gläubigen der Ostkirchen. Auch er findet erst im Januar statt, wenn für die Westkirche das Weihnachtsfest schon längst im Rummel von Sylvester und Jahreswechsel verklungen ist.
Gesegnete Weihnachten und ein friedliches, gesundes Neues Jahr wünsche ich allen Lesern!

Bürgerreporter:in:

P.G. Winfried Hochgrebe aus Berlin

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