Feindliches Fremdobjekt

Collage von Waltraud und Jürgen Willms in Koblenz mit uns als Personen- Glückwunschkarte zu unserer Goldenen Hochzeit
  • Collage von Waltraud und Jürgen Willms in Koblenz mit uns als Personen- Glückwunschkarte zu unserer Goldenen Hochzeit
  • hochgeladen von Werner Jung

Es war im Jahr 1974
Der VW -Bulli- Motor tuckerte eintönig und verbreitete den Gesang des Schlafes.
Die Kinder lagen friedlich in Ihrem Bett. Ab und zu drehten sie sich um, flüsterten unverständliche Worte, schnauften, um sogleich wieder in den einlullenden Schlaf einer glücklichen Kindheit zu fallen. All das beobachtete Tobsy, unsere schwarze Pudel- Schnauzer- Hündin, die es sich am Fußende des Kinderbettes bequem gemacht hatte mit wohlwollendem Augenaufschlag, um sofort wieder in den ermattenden Schlaf eines vielbeschäftigten Hundes zu fallen. Dabei streckte sie vor Glück ihre Tatzen weg, als ob es gelte, einen magischen Spielgefährten zu aktivieren. Muse Elfe genoss das sichtbare Familienglück und ließ ihren schlanken Körper im Beifahrersitz verführerisch tiefer sinken. Ein flüchtiges Lächeln um rahmte ihr Gesicht und zauberte Lichtpunkte wie glitzernde Sterne auf ihre Wangen. Sie schickte einen koketten Blick zu mir, und eine zauberhafte Atmosphäre umflutete mich. So musste auch Adam umtost gewesen sein von den Lockungen der schönen Eva. Zufriedenheit umspannte mein Gesicht und meine Hände um-griffen das Lenkrad des Wagens zielstrebig.
Seit 2 Stunden begleitete mich diese eintönige, sehr schmale und kurvenreiche Straße, die nicht enden wollte. Haltepunkte zum Übernachten tauchten nirgendwo auf. Ich spähte mit der Ausdauer eines Elefanten nach dem kleinen Dorfplatz, wo wir sicher vor der Kirche oder der Polizeistation nächtigen konnten. Mit einem erleichternden Gähnen versuchte ich, mein drohendes Einschlafen zu verhindern. Die Augen von Elfi waren bereits geschlossen und ihr madonnenhaftes Gesicht war eingetaucht in tiefem Frieden. Ich versuchte abwechselnd ein Auge zu schließen, um dem anderen kurzfristig Ruhe zu gönnen. Die Täuschung, dabei nicht endgültig ein zu schlafen, das wusste ich genau, war sehr gefährlich. Den Schlafplatz musste ich dringend finden, um die Sicherheit der Familie nicht zu gefährden.
Dann, nach unendlich erscheinenden Minuten tauchte auf der rechten Seite von mir eine große Toreinfahrt auf. Das ist Gott sei Dank der Zugang zu einem Dorfplatz, so suggerierte es mein angespanntes Gehirn. Es war aber merkwürdig! Weder eine Kirche, noch Häuser kündeten einen Ort an. Vor mir erstreckte sich ein großer weiträumiger Platz ohne sichtbares Ende. Ich war trotzdem erleichtert. Das Schicksal hatte es gut mit uns gemeint. Ein Schutzengel hatte uns sicher hier hergeleitet. Ein ausreichend großer Parkraum, der wie eine Rettungsinsel auftauchte und Schutz vor der schleichenden Müdigkeit gewährte. Als Stellplatz wählte ich die Mitte des Platzes. Elfi war durch die Änderung der Geräuschkulisse aufgewacht. Alle Handgriffe waren geübt. Das Dach wurde aufgeklappt und unser Bett vorbereitet. Im Rekordtempo lagen wir kurze Zeit später auf unserer Schlafstelle, einer Art Heimat für 4 Wochen.
Gerade wollte Hypnos, der Gott des Schlafes Besitz von uns ergreifen, als Kommandorufe und ein undefinierbares Stimmengewirr uns hochschrecken ließen. Vorsichtig öffnete ich das Fenster im Dachbereich in der vor mir liegenden Zeltbahn. Was ich sah, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Ich traute nicht mehr der Objektivität meiner Augen. Soldaten mit aufgepflanzten Maschinengewehren hatten sich gefährlich und sehr bedrohlich vor dem Bug des Wagens aufgebaut. Die Situation überraschte und lähmte zugleich meine nach
Hilfe suchenden Gedanken. Ein weißes Tuch musste her, eine nicht zu übersehende Geste der Kapitulation. Aber das war nicht einfach. Die Betttücher waren grellbunt, die Zudecken grün. Nach Sekunden der Lähmung kam mir der erlösende Einfall. Schnell schälte ich mich aus meiner in Rippenmuster gestreiften, aber weißen Unterhose. Diese streckte ich schüchtern aus dem Dachfenster und versuchte zaghaft, aber freundschaftlich damit zu winken. Es war ein Bemühen ohne sichtbaren Erfolg. Dumpfes Pochen an der Beifahrertür erhöhte die Gefährlichkeit dieser außergewöhnlichen Situation. Flucht oder Angriff? Die Verantwortung als Familienoberhaupt ließ die erwünschten Bärenkräfte schnell auf ein Minimum zusammenschrumpfen. Zögernd ließ ich mich in die untere Etage hinuntergleiten. Gott sei Dank bemerkte ich noch rechtzeitig meine Nacktheit, die bestimmt missverstanden werden konnte. So hielt ich meine weiße Unterhose zitternd vor meine Schenkel. Dann schlang ich zur Vollendung ein Küchenhandtuch, das an der Spüle hing, zusätzlich um meine Lenden, bevor ich mit gemischten Gefühlen die Beifahrertür einen Spalt öffnete. Ein Soldat in grüner Uniform stand wie ein Baumstamm breitbeinig vor mir. Er stellte im Befehlston Fragen, die ich nicht verstand, da sie spanisch formuliert waren. Auf der Stirn des Soldaten bildeten mittlerweile furchterregende Furchen. Sei es, dass ihn meine Sprach- und Ratlosigkeit besänftigten, entspannte sich seine Miene, und er fragte mich in gebrochenem Französisch: „Wissen Sie, wo sie sind?“ – „Ja“, antwortete ich schüchtern „Auf einem Dorfplatz“. Ein mitleidiges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Und was machen Sie hier?“ „Wir haben einen Schlafplatz für uns und unsere Kinder gesucht.“ Ich deutete auf die in Decken gehüllten Gestalten. Meine Geste ließ sein Gesicht aufhellen, er leuchtete mit seiner Taschenlampe durch die Scheiben. 3 tief schlafende Engel und ein schwarzer Hund, der sein Gebiss furchterregend bleckte. Eine madonnenhaft wirkende zierliche Frau, die in ein Betttuch gehüllt zitternd hinter mir zum Vorschein kam und kameradschaftlich helfend eine Hand auf meine Schulter legte.
Als er alle in Augenschein genommen hatte, begann er langsam zu sprechen. „Sie befinden sich auf militärischem Gelände, um es genauer zu sagen auf dem Exerzierplatz unserer Kaserne Wir haben sie als Fremdobjekt ausfindig gemacht und geortet. Sie scheinen keine aggressiven Absichten zu hegen. Das ist eine Geschichte, die uns der leitende Kommandeur morgen nicht glauben wird. Eine deutsche Familie verirrt sich auf unserem Truppen-Übungsplatz und bittet um Asyl. Es sei Ihnen gewährt. Schlafen Sie ruhig bis morgen! Ein Kollege wird sie in der Nacht bewachen. „Buenas noches!“ Er salutierte und schickte einige unverständliche Befehle an seine Truppe. 5 Scharfschützen verpackten ihre aufgepflanzten Gewehre und verschwanden in der tiefen Dunkelheit. Der Mond lächelte friedlich wie ein gütiger Vater. Stille breitete sich aus und hüllte uns in eine Woge der Sicherheit und Dankbarkeit. Wir fielen erleichtert in den Schlaf, der uns erlöste von weiteren Gedanken und uns in das Reich der Träume entführte.

 
Copyright: Werner Jung- Bad Ems   Roman -Projekt: Die Jung- Familie erobert Spanien. Veröffentlichungen- auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Urhebers.

Bürgerreporter:in:

Werner Jung aus Bad Ems

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