Besonderheiten des Alltags Heute: Autofahrer-Romantik

Nicht ohne Wehmut blicken wir Ostgeborenen auf die glorreiche Zeit zurück, da es auf unseren Straßen den glasklaren Überblick über unsere Automobile gab, der sich auf Trabbis, Wartburgs, Ladas, Moskwitsch, Saporosch (T72 deluxe/ Zappelfrosch) sowie Skodas und hie und da auf einen kleinen Mazda beschränkte. Es war die Zeit der Autofahrer - Romantik, die nicht von allen Zeitgenossen unserer Zeit so recht verstanden wurde. Dank der Quotenregelung, die, sagen wir mal, die Geburten der oben erwähnten Automobile bestimmte, gab es eine gewisse, eine beschauliche und schöne Zeit, in der man sich auf sein nagelneues Gefährt so richtig freuen und vorbereiten konnte.

Der Sprit war zwar nicht katalysiert, aber die Quote der Autos gewissermaßen schon! Wir besaßen unsere eigene Art diesem geregelten Verkehr, der ja glücklicherweise nicht zunehmen konnte, stoisch ins Auge zu blicken: Wir waren damit sehr flexibel, hatten billige Verkehrsmittel, kein Stop & Go, keine Staus und zudem wie eine Droge ständig den süßen Duft des unverbleiten Vergaserkraftstoffes in der Nase und rochen einfach nicht, wie der stank.

Über die Wagen mit dem Stern und anderer Statussymbole, die ab und an unser beschauliches Auto-Romantik-Zeitalter tangierten, rümpften viele von uns nur die Nase, da das mit Dingen, die man nicht haben kann einfach so ist. Einige Zeitgenossen versuchten nicht nur die Nase zu rümpfen, sondern gleich Nägel mit Köpfen zu machen! Sie pfiffen auf die Quotenreglung und hetzten von einem Schwarzmarkt zum nächsten, um sich Auto und Wartezeit für teures Geld zu erkaufen...

Nun ist diese beschauliche Zeit vorüber, die Zeit, in der man als Trabbi-Besitzer neidlos auf die Besitzer von Wartburgs, Ladas oder gar Mazdas schielte, immer in der stillen und absoluten Gewissheit, nie ein solches Automobil zu besitzen.

Die Wartezeit, die so fest gefügt wie unsere Grenzen war, fiel, eines schönen Tages quasi über Nacht gemeinsam mit diesen Grenzen und unseren Wertmaßstäben irgend jemandem, vielleicht der Bodenlosigkeit? oder der Anarchie? anheim.

Wartezeit und Wertmaßstab; diese Dinge gab es einfach nicht mehr! Das störte unser Verhalten derart, dass die Mehrzahl von uns Ostgeborenen sofort einen Hass auf unseres einstig so innig verordnetes wie geliebtes Wartezeitprodukt – nämlich den Trabbi bekamen! Lag es vielleicht daran, dass man sich auf sein nagelneues Auto überhaupt nicht mehr freuen und schon gar nicht vorbereiten konnte? Oder, weil so ein Auto, das die oben bezeichneten Statussymbole trug, ohne die so nötigen seelischen und moralischen Grundfesten nun einfach so und ganz ohne Wartezeit zu erwerben war?

Oder, weil man uns teils direkt, teils indirekt wissen ließ, dass unsere Zeit, die nichts getaugt habe, nun abgelaufen sei? Eins ist sicher und steht felsenfest: Für uns Auto-Romantiker stürzten Welten ein, die aber fast zeitgleich als neue Welten errichtet wurden, welche Schrottplätze und Autofriedhöfe hießen! Da wurden Autowracks zusammenbeflickt, Autos mit dem Totenschein hinterm Scheibenwischer zu neuem Leben erweckt, um dem ver(ge)störten Ostgeborenen mit aller zur Gebote stehenden Macht den Trabbi-Traum vergessen zu machen!

Aber damit nicht genug: man schreckte nicht einmal davor zurück Werbung für die scheintoten Wracks zu machen, oder sie mit kostengünstigen Krediten billig erscheinen zu lassen. Nun sollten wir wirklich nicht wanken und zu der Meinung gelangen: die Wartezeit sei schlecht und der Schwarzmarkt gut gewesen, nein, diese Dinge gehörten zusammen, denn sie galten als Sinnbild des Auto-Romantik-Zeitalters!

Und, wir verdarben uns unser Auto-Romantik-Zeitalter nicht selbst! Nein, sie wurde uns verdorben, praktisch genommen und klammheimlich ausgetauscht gegen die Autofahrer - Realität.

Nun standen sie da – die Paläste, die sich Autohäuser nannten, und die man erst beim näheren Hinzutreten in die Rubriken Fabrik- oder Friedhofsverkauf einordnen konnte!

Und dieses kam über uns wie die alles verzehrenden Fluten auf der indonesischen Insel Krakatau 1883, die nach dem schlimmen Ausbruch des gleichnamigen Vulkans gemeinsam mit dessen Eruptionsschäden fast 40.000 Menschen den Tod brachten! Nein, so wird man sagen, das ist doch übertrieben! Aber: taten sich seiner Zeit, wo diese Zeitenwende eingeläutet wurde nicht auch Abgründe auf? Und waren selbige nicht für den Ostgeborenen geradezu Verkehrsabgründe? So wurden Menschen gezwungen, ja fast dazu verurteilt sich beispielsweise einen GTI oder ein anderes PS- starkes Gefährt zu kaufen, um dem immer stärker werdenden Verkehrs-Infarkt entfliehen zu können - ihm quasi davonzufahren. Und es betraf wieder einmal die Menschen des Auto-Romantik-Zeitalters, die es gewohnt waren mit ihren Trabbis, Wartburgs, Ladas oder Skodas artig in der Reihe zu fahren und nicht aus der Selbigen zu tanzen!

Diese Menschen verfügten plötzlich über ein besonderes Kräftepotential. Menschen wie Du und Ich, die völlig überraschend der sonst gewohnten Sechsundzwanzig auf einem Schlag Einhundert mal mehr Pferdchen unter ihrer Motorhaube zügeln mussten?.

Das Ganze besaß nur ein Problem: Ich meine dabei nicht das nötige Kleingeld, das auf die Autofriedhöfe getragen wurde, nein ich meine die ständig zunehmende Vereinsamung der GTI - Fahrer und anderer Sportpiloten auf unseren Bundesstraßen und Autobahnen.

Potz Blitz dieses PS-Phänomen führte in der Tat schon soweit, und ich spreche aus Erfahrung wenn ich nun von meinem Kumpel Karlheinz rede, dass Menschen wie dieser junge Mann nach seinen fast zwanghaften und manchmal wagehalsigen Überholmanövern, in völlige Depressionen verfallen sind.

Karlheinz hatte wie Schumi alles daran gesetzt immer der erste zu sein. Er muß sie alle überholt haben immer und immer wieder. Plötzlich sah er sich, so wird vermutet, mit einem Male vollkommen allein auf der endlosen Straße. Ob es nun Angst, Einsamkeit, Leere oder Geschwindigkeit war? Niemand kann es sagen! Man fand Karlheinz stumm mit weitaufgerissenen, leeren Augen und leer gefahrenem Tank unweit der Autobahnauffahrt Rippachtal in Richtung Leuna. Keiner konnte den Zwischenfall bis auf den heutigen Tag rekonstruieren. Karlheinz selber schweigt beharrlich. Namhafte Professoren mit dem Rang eines motorus infarktus von der Martin Luther Universität zu Halle/Wittenberg stehen vor einem unlösbaren Rätsel: Noch heute wird an dem Trauma von Karlheinz ohne Erfolg herumlaboriert...

Karlheinz soll hier nicht etwa als skrupelloser Täter vorgeführt werden, nein, vielmehr ist er Opfer der Autofahrer - Realität geworden, die ihm über Nacht seines Trabbis beraubte hatte, um ihn auch noch den letzten Rest der Romantik mittels eines Golf GTI auszutreiben. Es ist ein schweres psychisches Trauma, das nunmehr zum physischen Trauma lanciert, einem jeden PS - Mächtigen dieser Tage widerfahren kann.

Aber wir Getreuen des Auto-Romantik-Zeitalters sehen in diesem Fall einen scheinbar unlösbaren Widerspruch, den es bei uns (in der DDR) niemals gegeben hätte.

copyright©2011 by Andreas A.F. Tröbs

Bürgerreporter:in:

Andreas Tröbs aus Bad Bibra

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