Historische Spurensuche in den Straßen von Neustadt – was hat es mit den berühmten Frauen auf sich?

Zehn ungewöhnliche Frauenpersönlichkeiten zieren Neustadts Straßenbeschilderung
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In einer bestimmten Gegend von Neustadt begegnet man ihnen buchstäblich an jeder Straßenecke. Die Rede ist von berühmten historischen Frauen, deren Namen im sogenannten Bauabschnitt „am Pfingstgraben“ die Straßenschilder zieren.

Was muss Frau geleistet haben, um nicht nur auf Schildern, sondern auf den Personalausweisen sämtlicher Anwohner dieser Gegend zu erscheinen und vermutlich in millionenfacher Ausfertigung auf diversen Formularen? Wobei ich es mir nicht verkneifen kann, den einen oder anderen Namen besagter Damen getrost als Formularkiller zu bezeichnen. Was damit gemeint ist, kann bei jenen Anwohnern erfragt werden, die schon oft das Kunststück vollbringen mussten, den Straßennamen durch geschicktes Abkürzen in die meist limitierte Anzahl von Formularkästchen zu quetschen.

Aber ich schweife ab. Die Namensbesitzerinnen können schließlich nichts dafür …

Auf meinem Streifzug durch das Internet stieß ich auf zehn erstaunliche Frauen. Es waren starke, kluge Frauen, die sich nicht darum scherten, was ihnen die Konventionen und Beschränkungen der jeweiligen Zeit in der sie lebten, vorschrieben. Wenn ich heute durch die Hildegard von Bingen Straße gehe, sehe ich vor meinem geistigen Auge das Bild einer Benediktiner-Nonne, die vor etwa 900 Jahren gelebt hat und ihre Visionen und naturkundlichen Erkenntnisse in lateinischer Schrift niederschrieb. Wenige Schritte weiter, stoße ich auf den Maria Cunitz Weg und sehe eine Frau aus dem sechzehnten Jahrhundert, welche die Umlaufbahn von Planeten um die Sonne erforschte, obwohl sie dafür als Hexe hätte verfolgt werden können. Am Maria Sybille Merian Weg taucht eine reisefreudige Naturforscherin und Künstlerin vor mir auf, die übrigens Sibylla hieß, und deren fantastische Insektenbilder ich zwar kannte, aber bisher nicht zuordnen konnte. Der Maria von Linden Weg verdankt seinen Namen einer Naturwissenschaftlerin aus dem 19. Jahrhundert, die trotz aller Wiederstände studierte, als erste Frau in Deutschland promovierte und den Titel „Professor“ erwarb. Wer im Margarethe von Wrangell Weg wohnt, hat sein Zuhause unter dem Namen einer Frau mit bewegtem Leben, einer Agrikulturchemikerin, die vor der russischen Oktoberrevolution nach Deutschland flüchtete und die maßgeblich an der Entwicklung von Düngemitteln beteiligt war. Der Caroline Herschel Weg beherbergt den Namen einer berühmten Astronomin, die eine echte Hannoveranerin war. Kaum einen Steinwurf entfernt, trifft man im Emmy Noether Weg auf eine deutsche Mathematikerin, die jahrelang um ihre Lehrerlaubnis kämpfte. Als ihr diese als Jüdin vom Naziregime entzogen wurde, emigrierte sie in die USA. Der Amalie Dietrich Weg ist der bedeutendsten Australien- und Naturforscherin, Botanikerin und Zoologin Deutschlands des 19. Jahrhunderts gewidmet. Wechselt man hinüber zum Lise Meitner Weg, betritt man das Terrain einer österreichisch-schwedischen Kernphysikerin. Ganz am Ende des Bauabschnitts wohnt man im Agnes Pockels Weg. Namensgeberin ist hier eine deutsche Physikerin und Chemikerin, Autodidaktin und erste Frau, die die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Braunschweig verliehen bekam.

Wow!, denke ich, schließe die Augen und spüre einen Hauch von Geschichte durch die Straßen von Neustadt wehen …

Wer an dieser Stelle noch nicht genug erfahren hat, ist zum Weiterlesen eingeladen. Quelle der u. g. Kurzportraits war meistens Wikipedia.de. Dort findet der Interessierte natürlich noch mehr Details.

Hildegard von Bingen (1098-1179) war Benediktinerin und wird in der römisch katholischen Kirche als Heilige verehrt. Sie hatte von Kindheit an eine visionäre Begabung, was sie zur Prophetin und Predigerin werden ließ. Zahlreiche Schriften, wie ihre berühmten Visionsbücher „SCIVIAS" - Wisse die Wege, "LIBER VITAE MERITORUM" - das Buch der Lebensvergeltung, "LIBER DIVINORUM OPERUM" - das Buch der Gotteswerke und Werke über Natur- und Heilkunde sind von ihr überliefert.

Maria Cunitz (1610 – 1664) war eine der bedeutendsten Astronominnen ihrer Zeit in Europa. Sie beherrschte 7 Sprachen und veröffentlichte 1650 ihr Werk „Urania Propitia“, in dem sie ihre langjährigen Forschungsarbeiten zur Berechnung der Umlaufbahn von Planeten dokumentierte. Das war für Maria Cunitz nicht ungefährlich, da das heliozentrische Weltbild, welches die Sonne als Zentrum unseres Universums definiert, damals noch sehr umstritten war. Als Frau in dieser Zeit musste sie sogar mit Hexenverfolgung rechnen.

Maria Sibylla Merian (1647- 1717) war Naturforscherin und Künstlerin zugleich. Nach einer zweijährigen Reise durch den südamerikanischen Staat Suriname, publizierte sie ihr Hauptwerk „Metamorphosis Insectorum Surinamesium“. Wegen ihrer genauen Beobachtungen und Darstellungen zur Metamorphose der Schmetterlinge gilt sie als wichtige Wegbereiterin der modernen Insektenkunde.

Maria Gräfin von Linden-Aspermont (1869 - 1936) war, dank Sondergenehmigung des württembergischen Königs, der erste weibliche Student an der Universität Tübingen. Allerdings war sie nie voll immatrikuliert, sondern erhielt lediglich die Erlaubnis als Gasthörerin Veranstaltungen zu besuchen, und im Falle des Erfolges die Aussicht, promovieren zu dürfen. Auf diese Weise erhielt sie 1895 als erste Frau in Deutschland den Titel Scientiae Naturalis Doctor. Danach forschte sie als Assistentin des Zoologen Theodor Eimer bis sie 1899 eine Stelle am Hygiene-Institut der Universität Bonn annahm. Dort suchte die Naturwissenschaftlerin vor allem nach Möglichkeiten der Tuberkulose-Bekämpfung. Sie entdeckte die antiseptische Wirkung von Kupfer, welche später zur Herstellung von sterilem Verband-und Nahtmaterial genutzt wurde. 1910 erhielt sie in Bonn als erste Frau den Titel „Professor“. Seit 2006 trägt das Frauenförderprogramm der Universität Bonn ihren Namen.

Margarethe von Wrangell (1877-1932) war Agrikulturchemikerin und die erste ordentliche Professorin an einer deutschen Hochschule. Sie studierte Naturwissenschaften in Leipzig und Tübingen und promovierte 1909 an der Universität Tübingen im Fachgebiet Chemie. Es folgten wissenschaftliche Lehr- und Wanderjahre, u. A. arbeitete sie mehrere Monate lang bei Marie Curie in Paris. 1912 übernahm sie die Leitung der Versuchsstation des Estländischen Landwirtschaftlichen Vereins in Reval, welches im Verlauf der russischen Oktoberrevolution geschlossen und sie selbst verhaftet wurde. 1918 gelang es ihr, nach Deutschland zu fliehen. Fortan forschte sie über das Verhalten von Phosphorsäure im Boden, dessen Ergebnisse zur Entwicklung von Phospatdüngemitteln beitrugen. Sie gehört zu den herausragenden Pionierinnen des Landbaus.

Caroline Herschel (1750-1848) war eine berühmte Astronomin. Zunächst unterstützte sie ihren Bruder Wilhelm Herschel bei seinen Forschungen, glänzte aber bald durch eigenständige Leistungen. Ihre wichtigsten Beiträge zur Astronomie waren die Entdeckungen mehrerer Kometen, die Berechnung genauer astronomischer Reduktionen und der Zonenkatalog hunderter Sternhaufen und Nebel. Caroline Herschels Grab findet sich auf dem Gartenfriedhof in ihrer Heimatstadt Hannover.

Emmy Noether (1882-1935) war eine deutsche Mathematikerin. Sie studierte und promovierte in Erlangen, 1909 wurde sie nach Göttingen gerufen, da sie auf dem Forschungsgebiet der Differentialinvarianten mittlerweile eine wirkliche Größe war. Doch die Habilitation wurde ihr verwehrt, da es zu dieser Zeit noch ein Habilitationsverbot für Frauen gab, was sich erst nach dem ersten Weltkrieg änderte. 1933 wurde ihr von den Nazis die Lehrerlaubnis entzogen, und sie emigrierte aufgrund ihrer politischen Ansichten und ihrer jüdischen Abstammung in die USA. Dort war sie als Gastprofessorin am Women’s College Bryn Mawr in Pennsylvania tätig und hielt Vorlesungen am Institute for Advanced Study. Emmy Noether gehört zu den Begründern der modernen Algebra.

Amalie Dietrich (1821-1891) war die bedeutendste Australien- und Naturforscherin, Botanikerin und Zoologin Deutschlands im 19. Jahrhundert. Sie sammelte ein Jahrzehnt lang in Australien, das damals noch Neuholland hieß, Pflanzen, Tiere, ethnographische Objekte, menschliche Schädel und Skelette für ein Hamburger Museum. Amalie Dietrich war nach Maria Sibylla Merian die bedeutendste Naturforscherin und Forschungsreisende Deutschlands. Sie war Entdeckerin von annähernd 640 Pflanzenarten.

Lise Meitner (1878-1968) war eine österreichisch-schwedische Kernphysikerin. Unter anderem lieferte sie im Januar 1939 zusammen mit Otto Frisch die erste physikalisch-theoretische Erklärung der Kernspaltung, die Otto Hahn und Fritz Straßmann entdeckt und mit radiochemischen Methoden nachgewiesen hatten.

Agnes Pockels (1862-1935) war eine deutsche Physikerin und Chemikerin. Obwohl sie nie studiert hatte, entdeckte sie dennoch als Autodidaktin bedeutende Grundlagen auf dem Gebiet der Ober- und Grenzflächenspannung und erfand sie die noch heute benutzte „Schieberinne“ zur Untersuchung von Flüssigkeitsoberflächen. Zunächst von deutschen Wissenschaftlern missachtet , teilte sie ihre Forschungsergebnisse einem englischen Physiker mit, der für die sofortige Veröffentlichung sorgte. 1932 erhielt Agnes Pockels für ihre bahnbrechenden Forschungen zur Oberflächenchemie als erste Frau die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Braunschweig verliehen.

Bürgerreporter:in:

Susanne Fletemeyer aus Neustadt am Rübenberge

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