Armutswanderung – Wirtschaftsflüchtlinge – Sozialschmarotzer?

Eine polemisch getönte Meinung

Wahlkampf ante Portas

Horst Seehofer und seine CSU-Parteischafe machen Stimmung gegen Einwanderer in unser Sozialsystem („Wer betrügt, der fliegt“), und der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok will „Zuwanderer, die nur wegen Hartz IV, Kindergeld und Krankenversicherung nach Deutschland kommen“, schnell wieder zurück in ihre Heimatländer schicken, aber nicht, ohne ihnen vorher ihre Fingerabdrücke abgenommen zu haben.
Das CSU-Verhalten könnte man noch als beleidigtes Fussaufstampfen ansehen, das sich aus dem vom Parteichef als ehrenrührig empfundenen Bedeutungsverlust in der GroKo erklären liesse. Aber Elmar Brok? Hat der das nötig? Und ist jemand, der in derart engen nationalen Grenzen denkt, im Europa-Parlament richtig, das neben anderen auch den Zielen Gleichheit und Freizügigkeit verpflichtet ist (so wie wir alle unserem Grundgesetz zufolge – und demnach auch der Deutsche Bundestag)?
Beides speist sich aber wohl aus einer ganz einfachen Quelle: es ist Wahlkampf – Europa-Wahlkampf und Kommunal-Wahlkampf in Bayern. Und wenn man den Leuten sonst nur wenig bis nichts zu bieten hat (welche Europa-Ideale oder -Visionen haben unsere Parteien denn überhaupt noch?), dann instrumentalisiert man eben Vorbehalte und Ängste. Pauschale Kriminalisierung armer Ausländer, schiefe Bilder und scheinheilige Pseudo-Argumente sollen die Bürger/Wähler verunsichern, damit sie ihr Kreuz an der „richtigen“ Stelle machen. „Brüssel“ ist an all unseren Problemen schuld!

Missachtung von Menschenrechten

Gerade hat das UN-Flüchtlingshilfwerk UNHCR uns Europäer aufgefordert, keine Flüchtlinge nach Bulgarien zurückzuschicken, weil sie dort von den Behörden diskriminiert und nicht den Menschenrechten entsprechend behandelt werden. Selbst Versorgung mit einem Dach und mit Lebensmitteln sind nicht gewährleistet. Ähnliches gilt offenbar auch für Rumänien, Ungarn und Griechenland.
Wenn unsere Politiker und die gesamte Bundesregierung sich jetzt auf das Dublin-Abkommen berufen, ist das mehr als scheinheilig. Dieses Abkommen, das die Verantwortung für Flüchtlinge von ausserhalb der EU bei dem Land ablädt, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben, wurde von unserer (damals noch sozialgrünen) Regierung massgeblich beeinflusst: Deutschland hat ja keine EU-Aussengrenze – wie praktisch!
Es geht aber nicht nur um Flüchtlinge aus aller Welt, es geht auch um EU-Bürger aus den südosteuropäischen Ländern, und die meinen die anfangs Genannten in erster Linie. EU-Bürgern sollen ihre Rechte beschnitten werden, ohne dass sie eine andere Schuld trifft, als dass sie arm sind und sich legitimerweise um bessere Lebensbedingungen bemühen. Das entspricht nicht dem „C“ in den Namen Ihrer Parteien, Herr Seehofer und Herr Brok. Warum schüren Sie die Angst, etwas abgeben zu müssen? Sie wissen doch selbst ganz genau, dass unser europäisches und deutsches „Türen zu und weiter so!“ dauerhaft keinen Erfolg haben kann. Wir haben den Fall der Berliner Mauer bejubelt und nehmen hin – oder unterstützen sogar – , dass Tausende Kilometer neuer Mauern und Zäune errichtet werden: mit Schiffen und Elektronik im Mittelmeer, mit Zäunen um Griechenland und um Kolonialreste in Nordafrika (Ceuta und Melilla). Und dass Ähnliches an der über 3.000 Kilometer langen US-mexikanischen Grenze passiert und mitten im palästinensischen Westjordanland, interessiert hier sowieso niemanden.

Wieder teilen lernen

Meine Herren, waren Sie jemals in Afrika oder Arabien oder Asien oder Südamerika? Ja? Auch jenseits der Klischeebilder aus bunten Ferienprospekten und schlimmen Fernsehnachrichten? Dann haben Sie sicherlich bemerkt, dass dort auch Menschen leben, die ähnlich gestrickt sind wie wir. Es gibt nur einen grossen Unterschied: wir haben in Europa fast vergessen, was Solidarität und Rücksichtnahme bedeuten, weil sich mit Geld fast alles kaufen lässt (und was nicht, wird ausgeblendet oder wegphilosophiert). Dort aber sind diese Eigenschaften oft überlebenswichtig, und deshalb geben die Menschen noch ab, was sie irgendwie entbehren können, um anderen beim Überleben zu helfen – morgen könnte es ja andersherum kommen.
Niemand will unseren Mitbürgern alles wegnehmen, davon hätte ja am Ende niemand etwas. Früher haben Deutsche von Auswanderung profitiert, geben wir doch jetzt, wo es uns gutgeht, ein klein wenig ab. Machen Sie doch bitte den Menschen hier nicht Angst, sondern Mut – geben Sie ihnen Zuversicht statt Zukunftsangst!
Dazu hier zum Schluss noch zwei Zahlen: zwischen 1820 und 1887 wanderten rund 5 Millionen Deutsche in alle Welt aus, weil sie mit der wirtschaftlichen und/oder politischen Situation nicht zurechtkamen. Hintergründe waren vor allem der stark steigende Bevölkerungsdruck wegen des medizinischen Fortschritts und die industrielle Mechanisierung, deren schneller Fortschritt trotz allem Wirtschaftswachstum nicht genügend Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung schaffen konnten. Und von 1820 bis 1970 nahmen die USA etwa 6,9 Millionen deutsche Auswanderer auf, bis etwa 1930 vorwiegend aus wirtschaftlichen, danach meist aus politischen Gründen.
In der Geschichte ist es noch nie gelungen, Völker- und Flüchtlingswanderungen dauerhaft aufzuhalten, und meistens war der darauf folgende Umbruch radikaler und schmerzhafter als es eine dosiert offene Anpassung wahrscheinlich gewesen wäre.

Bürgerreporter:in:

Hans Lauterwald aus Isernhagen

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