Beach Boy Brian Wilson im Tempodrom, 08.07.2009

Auf speziellen Wunsch eines anderen myheimat-Autoren und um als Neuling hier auch mit eigenen Beiträgen präsent zu sein, berichte ich gerne von einem besonderen Konzerterlebnis, das allerdings schon ziemlich genau ein Jahr zurück liegt:

Noch 10 Minuten vor Beginn sah es so aus, also würde sich die Bundeshauptstadt mal wieder bis auf die Knochen blamieren: Unmittelbar vor der Bühne stand ein überschaubares Häuflein Fans wahrscheinlich schon seit dem Einlass-Beginn, um dort die besten Plätze zu okkupieren, die ihnen aber niemand so recht streitig machen wollte. Den oberen Teil des ringförmigen Sitzplatzbereichs hatte man vorsichtshalber schwarz abgehängt, doch selbst der noch vorhandene „Unterring“ war nur spärlich besetzt. Dazwischen lag eine bis auf das Mischpult gähnend leere Manege.
Vielleicht lag es daran, dass es im Vorfeld so gut wie keine Werbung für das Konzert gab, und ein Großteil der dann plötzlich doch noch auftauchenden Leute erst aus der Tagespresse davon erfahren hatte; vielleicht ging es einigen auch wie mir, und sie waren bis zuletzt unschlüssig, ob Erlebnisse wie das gänzlich unerwartete Europa-Debüt mit der PET SOUNDS TOUR 2002 oder die nicht minder sensationelle SMiLE-Premiere 2004 wirklich noch zu toppen wären – zumal es nun schon Wilsons zweite GREATEST HITS TOUR innerhalb von drei Jahren war, die ihn durch Deutschland führte.
Wie auch immer – nachdem das letzte geplante Berlin-Konzert 2005 kurzfristig dem Live8-Auftritt weichen musste, wurde der Gedanke letztlich immer unerträglicher, dass der Schöpfer so vieler unsterblicher Beach-Boys-Klassiker doch noch einmal in meiner Stadt auftritt, und ausgerechnet ICH nicht dabei bin.
So ähnlich muss es wie gesagt auch anderen gegangen sein, denn als ich mich so kurz nach acht noch einmal umdrehte, hatte sich der Raum immerhin so weit gefüllt, dass er durchaus „gut besucht“ wirkte.
Und wir wurden nicht enttäuscht!
Schon die legendären Auftakt-Akkorde von California Girls, mit denen das Konzert begann, zauberten ein fettes, glückliches Grinsen in die Gesichter, das dann mit jeder weiteren der wie an einer Kette aufgereihten wohlbekannten Songperlen nur noch breiter wurde und schließlich gar nicht mehr aufhören wollte, bis es spätestens bei Good Vibrations gut 2 Stunden später am Ende des regulären Sets auch die letzten „Unterring“-Karteninhaber begeistert von den Sitzen riss. Dahin – in die Sitze – gab es dann auch während des Zugabenteils mit zeitlosen Reißern wie Jonny B Good, Help Me Rhonda, Barbara Ann, Surfin' USA und Fun Fun Fun kein Zurück mehr. Da wurde gerockt was das Zeug hielt, selbst Brian kam hinter seinem riesigen Yamaha-Piano hervor, ließ sich noch einmal den Bass umschnallen und probierte herrlich tapsig ein paar Tanzbärschritte, während die laut mitsingende und –tanzende Meute vor der Bühne längst außer Rand und Band war.
Dort hatte die Party von Anfang an gekocht, bei einem wohldosierten Mix aus frühen Beach-Boys-Hits, bewährten Live-Favoriten und Highlights aus Brians Solo-Karriere. Auch ein paar „Schmankerl“ für den eingeschworenen Fan kamen nicht zu kurz, und dazwischen natürlich immer wieder diese so wohlig lähmenden „Verweile-doch-du-bist-so-schön“-Gänsehaut-Momente bei Songs wie God Only Knows, Add Some Music To Your Day, der kleinen Song-Trilogie aus dem letzten Album "That Lucky old Sun" und ganz am Schluss dem in dieser Version wahrhaft herzzerreißenden Love And Mercy als allerletzter Zugabe.
Da stand man dann völlig überwältigt von tiefer Dankbarkeit und konnte sein bittersüßes Glück kaum fassen.
Über die von Paul McCartney als „beste Tourband der Welt“ gerühmten multitalentierten Vollblutmusiker muss man an dieser Stelle kein Wort mehr verlieren – die trugen ihren Frontmann mit gewohnt leidenschaftlicher Souveränität, liebevollem Respekt und beispielloser Spielfreude über alle Textklippen und sonstigen Unwägbarkeiten seiner labilen Natur und schwelgten gekonnt in den komplexen Gesangsharmonien, obwohl sie sogar „in Unterzahl“ spielten – der Part des abwesenden Percussionisten musste, wo nötig, von den anderen mit übernommen werden.
Bemerkenswerter war da schon die Form, in der sich Wilson selbst präsentierte.
Zwar klebt er immer noch überwiegend wie angetackert auf dem Hocker hinter seinem weitgehend ungenutzten Keyboard, den rechts daran befestigten Text-Monitor nur gelegentlich aus den Augen lassend, hier und da unbeholfen gestikulierend, und trotzdem hatte ich nach den oben erwähnten bisherigen Live-Begegnungen mit ihm zum ersten Mal durchweg das Gefühl, er sitzt dort nicht nur, weil er muss, sondern weil es ihm wirklich Spaß macht.
Vorbei scheinen die Zeiten, wo er zwischen den Songs immer mal wieder von einem der Musiker witzelnd animiert werden musste, das eine oder andere Lebenszeichen von sich zu geben.
Locker plauderte und scherzte er sich durch das Programm, betonte in launigem Understatement wiederholt: „We are not The Beatles or the Rolling Stones – we’re just us, trying to do the best show we can”, und ergänzte gelegentlich: “If you don’t like it, go ahead!!!”
Da saß einer, der weiß, dass er niemandem mehr etwas beweisen muss, dass die größten Herausforderungen seines erstaunlichen Comebacks - der Schritt zurück auf die Bühne und die Last des unbewältigten "SMiLE"-Traumas - bereits hinter ihm liegen, dass er sie bravourös gemeistert hat, und dass die Leute, die da vor ihm standen, ihn dafür lieben und verehren.
Unterm Strich ein fast wider Erwarten großartiger, mitreißender Abend und gleichzeitig so etwas wie die gelungene Bilanz einer beispiellosen Lebensleistung, vor der man sich nur in Ehrfurcht verneigen kann.
DANKE, BRIAN!!!

Bürgerreporter:in:

Uwe Stengel aus Berlin

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