Europäischer Tag der jüdischen Kultur - Anton Kapfer führt durch den jüdischen Friedhof der ehemals israelitischen Kultusgemeinde von Binswangen

Dieser Stein steht vor dem Judenfriedhof "Am Judenberg" in Wertingen und erinnert an die Toten der ehemals israelitischen Kultusgemeinde von Binswangen.
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  • Dieser Stein steht vor dem Judenfriedhof "Am Judenberg" in Wertingen und erinnert an die Toten der ehemals israelitischen Kultusgemeinde von Binswangen.
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Wertingen/Binswangen: Trotz des nicht gerade freundlichen Wetters fand sich doch eine stattliche Anzahl von interessierten Bürgerinnen und Bürgern auf dem Judenberg in Wertingen ein, um mit Anton Kapfer einen geführten Rundgang durch den jüdischen Friedhof zu unternehmen. Gerne beantwortete der Vorsitzende des Förderkreises der Synagoge Binswangen die an ihn gestellten Fragen. Dabei durfte ein kleiner geschichtlicher Exkurs nicht fehlen. Spätestens seit Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 ahnten auch die Binswanger Juden, dass sie nichts Gutes erwartete. Besonders ab 1938 nahmen die antisemitischen Ausschreitungen überall in Bayern immer mehr zu. Im Juli 1938 wurden 25 Grabsteine des jüdischen Friedhofes umgestürzt und die meisten auch zerschlagen. Mit der Reichskristallnacht vom 10. November 1938 wurde der vorläufige Höhepunkt der antisemitischen Ausschreitungen erreicht. So wurden in Binswangen die Läden und Wohnhäuser der Juden zertrümmert, auf dem Judenfriedhof wurden erneut Grabdenkmäler umgeworfen und auch die Synagoge wurde durch einen SA-Trupp geplündert und geschändet. Anton Kapfer berichtet: "Vormittags gegen 11.00 Uhr fuhren die SA-Leute mit einem Lkw bei der Binswanger Synagoge vor. Alle noch im Ort lebenden Juden mussten antreten und die kostbaren Gegenstände aus ihrer Synagoge auf den Lkw laden. Der älteste Jude trug mit zitternden Händen eine Thora-Rolle (Heilige Schrift der Juden) aus dem Gotteshaus". Das übrige Inventar wurde anschließend von den SA-Leuten zertrümmert - das Gotteshaus wurde nur wegen der engen Bebauung und der damit verbundenen Brandgefahr nicht niedergebrannt. Die Folge dieser Ausschreitungen war, dass von November 1938 bis Ende 1940 weitere elf Juden Binswangen verließen - neun davon wanderten aus - zwei zog es in andere Orte.
Der gläubige Jude legt als Zeichen seiner Ehrfurcht keine Blumen sondern Steine auf das Grab. "Immer wieder finden wir am verschlossenen Tor Steine vor" - erzählt Anton Kapfer, "ein Zeichen, dass Angehörige hier waren, aber den Friedhof nicht besuchen konnten". Der Friedhof muss bis zum heutigen Tag abgesperrt bleiben - Führungen können aber jederzeit auch über den Förderkreis Synagoge Binswangen e.V. beantragt werden.
Und weiter berichtet Anton Kapfer, dass jüdische Nachfahren der Binswanger Juden, wenn sie heute aus aller Welt angereist kommen, kein Interesse an der Synagoge im Ort haben, sondern "nur" auf den Friedhof wollen, um hier ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Die Synagoge wurde 1938 entweiht, deshalb hat sie für den gläubigen Juden keine Bedeutung mehr.
Der Friedhof der ehemals israelitischen Kultusgemeinde von Binswangen geht auf das Jahr 1663 zurück. In diesem Jahre kaufte die gesamte Judenschaft von Binswangen von der Markgrafschaft Burgau einen Acker für das Begräbnis der Juden. Gegen das Judenbegräbnis erhob die Herrschaft Wertingen in der Folgezeit des öfteren Einspruch, weil der Platz nach Wertingen und damit unter die Gerichtsbarkeit der dortigen Herrschaft gehörte; die Stadt Wertingen beanspruchte sogar das Recht, auf dem Platz weiterhin ihr Vieh weiden zu lassen.
Dass die Markgrafschaft Burgau seinerzeit über den Platz hätte verfügen können, hängt offenbar damit zusammen, dass dort früher eine Richtstätte der Markgrafschaft war. Die Binswanger Juden lösten in der Folgezeit das Weiderecht ab, der Friedhof selbst wurde nach und nach erweitert. Obwohl er schon 1693 hätte eingezäunt werden sollen, zogen sich die Bemühungen um seine Eintillung (= Umzäunung) noch 70 Jahre hin, bis endlich nach exakt 100 Jahren nach seiner Anlage eine Mauer um diesen Platz gezogen werden durfte. Im Hebräischen heißt Friedhof "Haus des Lebens".
Auch in diesem Jahr veranstalteten jüdische und nichtjüdische Organisationen am Sonntag, 7. September 2008 gemeinsam den "Europäischen Tag der jüdischen Kultur". In 30 europäischen Ländern - von Großbritannien bis Griechenland, von Spanien bis in die Ukraine - standen an diesem Tag Kulturdenkmäler wie Synagogen, Friedhöfe, Schulhäuser, Ritualbäder, Museen und Gedenkstätten offen.

Bürgerreporter:in:

Rosmarie Gumpp aus Ellgau

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