Freischießen in Wennigsen - Erinnerungen an die Mitwirkung von Winfried Gehrke

Winni bei der Garde Jäger 1964
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Winfried (Fitsch) Gehrke meine Erinnerungen an das Historische Freischießen in Wennigsen

Ergänzungen aus den Jahren 2011,2014 und 2017

Wennigser


Wer wie ich in Wennigsen aufgewachsen ist und sich auch als „Wennigser“ fühlt, kommt früher oder später um das Freischießen in Wennigsen nicht herum.

Die Familie "Fitsch" Gehrke wohnt nachweislich seit dem 18. Jahrhundert am Deister. Meine Vorfahren waren Bergarbeiter in den Kohlestollen, Tagelöhner oder in den Deisterforsten tätig.
Ob diese bereits etwas mit dem Freischießen zu tun gehabt haben, ist mir nicht überliefert.
Wahrscheinlich nicht, denn sie hatten in den Zeiten des 1. und 2. Weltkrieges sicherlich ganz andere Probleme. Erinnerlich ist aber, dass mein Vater Ernst in den 1960ziger Jahren aktiv im Landsturm mitgemacht hat.
Über ihn habe ich auch meine ersten Berührungspunkte mit dem Freischießen erhalten.

Auf dem Pferd der Majestät

Meine persönlichen Erinnerungen an das Freischießen datieren auf das Jahr 1958. "Seine Majestät" – der Schützenkönig – war Ernst Rogge, Großvater des derzeitigen "Kommandierenden Generals" Eckhard Rogge. Mein Vater war mit der Familie Rogge sehr befreundet und hatte beim Freischießen 1958 die Aufgabe, nach der Parade das Pferd seiner Majestät mit anderen Helfern in den Stall zu bringen. Bei dieser Gelegenheit durfte ich einige Meter auf dem Pferd seiner "Majestät" reiten. Das war für mich eine große Ehre und eine bleibende Erinnerung, obwohl ich sicherlich damals die Positionen der Mitwirkenden noch nicht zuordnen konnte.

Aktiv dabei seit 1964


Erstmals aktiv habe ich mit 16 Jahren 1964 bei der Garde „Jäger – grün“ mitgemacht.
Als Mitglied des TSV Wennigsen Fußball/Handball hatte es eine gewisse Tradition, dass man zu den „Jägern“ ging.
Mein Nachbar Gustav (Gus) Gevecke (seinerzeit Adjutant bei Friedrich Kaltebra) hatte mich für das aktive Mitmachen geworben. Hiervon gibt es auch die ersten Bilder von mir vom Freischießen.

Meine erste Wache habe ich am Montag des Freischießens vor dem Haus von Müller-Dukat (Wiesenstraße) gehalten. Leider war diese für mich enttäuschend, denn der „hohe Offizier“ ließ sich kaum blicken und hat sich nicht um uns „Wachhabende“ gekümmert. Lediglich seine Töchter haben uns mit Getränken und Essen versorgt. In den frühen 1960ziger Jahren war das leider noch so, dass zwischen den hohen Offizieren und den Mitwirkenden in den Garden eine große Distanzen bestand.

Einige Unterbrechnungen der Teilnahme
Mit Unterbrechungen z.B. im Jahr 1976 (Hausbau) habe ich noch bis 1979 in der Garde Jäger „gedient“. Danach wechselte ich zum Landsturm. Hier war ich im 4. Zug neben Feldwebel Wolfgang Grotstück Fahneträger der “Traditionsfahne“. Die Aktivität im Landsturm mit Wolfgang Grotstück hatte einen hohen Spaßfaktor.

Mitwirkung als Schaffer


In den Jahren 1996 und 1999 war mein Patenkind Alexander Stief Schaffer neben „Oberschaffer“ Lothar Butter.
Mit Alexander habe ich mehrfach das Prozedere des Fahneschwenkens (ein Höhepunkt des Freischießens) erörtert.
Bis Dato hatte die Höhe der Spende an den Schaffer Einfluss, ob und wo „geschwenkt“ wurde. Ab ca. 100,00 DM konnte man vor seinem Haus "schwenken" lassen. Somit gab es viele Schwenkestellen, die nur von Einzelpersonen oder von kleinen Gruppen organisiert wurden. Die Höhe der Geldspende an die Schützengesellschaft war entscheidend für das "Fahneschwenken".
Die breite Bevölkerung blieb beim „Schwenken“ meistens draußen vor, oder war „Zaungast“ beim Nachbarn.

Schwenkegemeinschaften

Diese Philosophie ging uns zuwider. Wir wollten die gesamte Bevölkerung ansprechen und einbinden. Das Freischießen sollte ein Fest von vielen Mitwirkenden für alle Bürger in Wennigsen sein. Durch die "Schafferspende" sollte sich jeder Bürger in Wennigsen angesprochen fühlen und das Freischießen zu seinem Fest machen. Wir wollten Straßengemeinschaften und Nachbarschaften zu „Schwenkegemeinschaften“ zusammenfügen: „Ich bin dabei, ich stehe nicht abseits, ich bin Beteiligter“.

Somit beteiligte ich mich 1999 bei Alexander als sogenannter „Hilfsschaffer“. U.a. Argestorf, die Siedlung und die Lutterbrinkstraße waren meine Sammelbezirke. Hier haben wir die ersten größeren Schwenkegemeinschaften gegründet. Die Schwenkestelle „Die Jahnis“ entstand ab 1999. Es macht einfach mehr Spaß, in einer nachbarschaftlichen größeren Gemeinschaft die Schwenkezüge des Historischen Freischießens zu empfangen. Die Schwenkegemeinschaften sind in den letzten Jahren bereits Kult geworden.
Sinn und Zweck ist es auch, an den Schwenkestellen nachbarschaftlich mal wieder miteinander zu reden. …“ Man bleibt auch mal stehen und plaudert am Zaun, wie geht es dem Nachbarn, was gibt es schaun…“ Heute heißt es sogar im Ort: „….wo ist Deine Schwenkegemeinschaft, wo lässt Du schwenken?“

Wenn während des Freischießens so die Menschen in Wennigsen miteinander reden, hat das Ereignis „Historisches Freischießen in Wennigsen“ ein/sein Ziel erreicht, Menschen in einer Dorfgemeinschaft zu verbinden.

Die Schafferjahre


In den Folgejahren 2002, 2005, 2008 und 2011 habe ich dann mit meinen anderen Schafferkollegen das Amt hauptamtlich übernommen. Leider konnte mich Alexander 2011 nicht mehr unterstützen, weil er viel zu früh 2009 verstorben ist.
Mit Alexander und mit mir ist der zuvor beschriebene „Paradigmenwechsel“ beim Fahneschwenken entstanden.

Im Jahr 2014 war ich im Rang eines Leutnants beim Oberst Grotstück in der „Kutsche“ Adjutant.

Einbindung der Bürger

Für mich ist beim Freischießen sehr wichtig, dass auch die älteren Bürger ganz besonders mit eingebunden werden. Der Besuch in den Seniorenheimen steht/stand für mich als Schaffer ganz oben an. Hier geht es weniger darum viele Spendengelder einzusammeln, sondern zu zeigen, dass nicht das Geld die wichtigste Rolle spielt, sondern die Gemeinschaft und das einbinden aller Altersgruppen. Das Fest lebt in Wennigsen dadurch, dass sich alle Altersgruppen mit dem Ereignis identifizieren. Natürlich kann man nicht jeden Bürger mit dem militärisch geprägten Freischießen erreichen, das ist aber bei allen anderen Ereignissen ebenso. Festzustellen ist aber, diese Erfahrungen sammeln die Schaffer bei ihren „Hausbesuchen“, dass eine deutliche Mehrheit der "Wennigser" das Fest lieben und dem Ereignis positiv gegenüber stehen.

Persönlichkeiten prägen das Fest


Das Historische Freischießen lebt durch Persönlichkeiten, die das Fest nach außen verkörpern. Natürlich stehen bei jedem Fest andere Wennigser Persönlichkeiten im Fokus.

Die prägenden Figuren des Freischießens sind natürlich der Schützenkönig „Seine Majestät“, der Vizekönig, der Kommandierende General, der Aktive Major, der Landsturm Major, der Stabsarzt mit seinem Provisor, der Platzmajor, die Bataillionskapelle und die Schaffer mit ihren Ehrendamen.
Den Volkskönig nicht zu vergessen. Dieser wird in Wennigsen aus den aktiven Mitgliedern der Schützengesellschaft, die nicht Stabsoffiziere sind, durch den besten Schuss auf die Volksscheibe ermittelt. Das heißt, alle Mitwirkenden des Freischießens, auch aus dem Landsturm, können sich beteiligen.
In anderen Gegenden darf jeder, nicht in der Schützengesellschaft organisierte Bürger, sich um die Würde des Volkskönigs bewerben. "Der Volkskönig kommt aus dem Volk und ist zuständig für das Volk" (so steht es in einigen Satzungen der Schützengesellschaften). Er dient in der Kommune ebenso als Repräsentant wie der Schützenkönig/Vizekönig.

Die Schaffer als "Finanzminister"

Die Schaffer, als die Finanzminister, haben im Vorfeld des Freischießens dafür zu sorgen, dass ausreichend Spendengelder eingesammelt werden, um das Fest zu finanzieren.
Sie informieren die Wennigser Bevölkerung über alle wichtigen Themen des Freischießens und haben bis zum Freischießen über 1000 Haushalte besucht und diverse öffentliche Auftritte absolviert.
Als prägende Persönlichkeit des Freischießens führen sie jeweils am Montag und Dienstag des Freischießens die Schwenkezüge an, bestimmen in Absprache die Schwenkestellen und sind auch beim großen Umzug am Sonntag ganz vorne im Zug mit dabei.

Das Historische Freischießen in Wennigsen gelingt nur, wenn alle Beteiligten an einem „Strang ziehen“, sich abstimmen und sich in allen Positionen wertschätzen.
Jeder Aktive ist in seiner jeweiligen Position wichtig, nur in der großen Gemeinschaft mit den drei Garden, den Stabsoffizieren und Offizieren, sowie dem Landsturm gelingt es, das Fest lebendig zu halten und eine positive Außenwirkung auch weit über die Grenzen von Wennigsen hinaus zu erwirken. Das Fest muss sich aber auch ständig weiterentwickeln, damit es modern und interessant bleibt, ohne die "Tradition" und den "historischen Hintergrund" zu vernachlässigen.

Das Historische Freischießen lebt durch die Gemeinschaft und für die Gemeinschaft.
Ich hoffe, dass die Nachfolger in "meinem Schafferamt" ebenfalls das Fest weiter entwickeln und die Tradition in Wennigsen aufrecht erhalten.

PS: Diese Gedanken zum Historischen Freischießen habe ich bereits 2014, dem Jahr als ich das Schafferamt an meine Nachfolger übergeben habe, geschrieben. Teilhabe aller Bevölkerungsschichten ist für mich oberstes Gebot beim "Historischen Freischießen" in Wennigsen.

Der Weg zur "Krone"


So nannte man 2014 die Ausstellung auf der Marienburg in Erinnerung an das 300 jährige Jubiläum der Welfen auf dem Königsthron von Großbritannien. Das Freischießen und die Bewerbungen auf den Schützenkönig und Volkskönig kann man natürlich nicht mit den Welfen "auf dem Weg zur Krone" vergleichen, aber ein bisschen welfisch ging es in früheren Jahrzehnten in Wennigsen schon zu. Denn man trug in Wennigsen lange welfische Uniformen beim Freischießen. Bürgernah waren aber die welfischen Könige nicht und mit Ruhm und Ehre haben sich die Könige aus Hannover auch nicht immer "bekleckert".
Bürgernah sollten jedoch die Majestäten vom Freischießen in Wennigsen sein.

Die Scheibe des Volkskönigs

Einen persönlichen Höhepunkt in meiner Mitwirkung beim Historischen Freischießen konnte ich im Jahr 2017 erzielen. Also ein indirekter Vergleich - "wie der Weg zur Krone der Welfen aus Hannover".
Durch drei erfolgreiche Schüsse auf die Volksscheibe, konnte ich mit 33 Ring den "Titel" des Volkskönigs 2017 erringen.
Auf der Volkskönigsscheibe heißt es: "Zum Ziele bin ich aufgestellt auf 120 Schritt, wer mich gerne haben will, der treff mich in der Mitt!"
Volkskönig vom "Historischen Freischießen" in Wennigsen zu sein, ist sicherlich eine sehr schöne Anerkennung. Hierauf bin ich froh und stolz. Ich fühle mich dem Freischießen und den "Wennigsern" sehr verbunden. Ich lebe gerne in Wennigsen und am Deister.

Allen nachfolgenden Akteuren wünsche ich, dass sie immer das richtige Gespür für die Tradition, aber auch für das Moderne haben und das Fest am Leben halten.

Winfried Gehrke Volkskönig Historisches Freischießen Wennigsen 2017

Bürgerreporter:in:

Winfried Gehrke aus Wennigsen

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