Friesentaucher Hänigsen auf Entdeckungstour mit der Handhebeldraisine der Kleinbahn Wathlingen-Ehlershausen

Friesen-Taucher und Gäste haben auf der Handhebeldraisine des Vereins Kleinbahn Wathlingen-Ehlershausen Platz genommen.
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Das erste Fahrzeug für Streckenkontrollen der Bahn wurde in Österreich 1837 gebaut und erprobt. Es hatte zwei Räder, die auf einer Schiene rollten. Da der Fahrer sich wie beim Laufrad des Herrn Drais (Deutschland) mit den Füßen abstieß, erhielt es den Namen Draisine. Fünf Jahre später erprobte Namensgeber Drais selbst ein erstes zweispuriges, mechanisch angetriebenes Gerät aus, das sich dann als Hilfsfahrzeug im Schienenverkehr durchsetzte.

Neben Fahrraddraisinen (4 Pers.) umfasst der Fuhrpark Draisinen des Vereins Kleinbahn Wathlingen auch eine Handhebeldraisine (16 Pers.). Da die Taucher des TSV Friesen Hänigsen einen Gemeinschaftsausflug, noch dazu auf einem authentischen Fahrzeug im Sinn hatten, kam nur die Großdraisine in Frage.

Auf dem umzäunten Gelände des Kaliwerks Riedel befindet sich der „Abstellbahnhof“ der Eisenbahnfreunde aus Wathlingen. Das Kaliwerk selbst ist auch schon Geschichte. Mit der Förderung hatte man 1909 begonnen, 1928 erfolgte die vorläufige Stilllegung. Eine zweite Betriebsphase von 1950 bis 1996 ermöglichte der Gemeinde gute Einnahmen. Weithin bekannt wurde damals die Tatsache, dass sich ein kleines Dorf 1954 ein Schwimmbad mit einem 10-Meter-Sprungturm leisten konnte. Ein zweiter Superlativ befindet sich unter den Gleisanlagen der „Eisenbahner“: Das tiefste (ehemalige) Kalibergwerk der Welt mit 1525 Metern. In dieser Tiefe herrscht bereits eine Gesteinstemperatur von 65 °C. Besichtigen kann man dieses Wunderwerk leider nicht mehr, da die Anlage planmäßig geflutet wird. Bis heute erhalten sind das alte Werksgebäude mit Ziegelturm und der stählerne Kaliförderturm.

Nachdem alle 16 Teilnehmer erschienen sind, bittet Joachim Leiner seine Gäste auf der Handhebeldraisine (auch DR01 oder Goliath genannt) Platz zu nehmen und gibt Hinweise zur Fahrt mit der Draisine. Die Wetterbedingungen sind Anfang August für das Unternehmen optimal. Strahlend blauer Himmel, kein Wind, trotzdem nicht zu warm. Zur Krönung gibt es dann noch vom Vorstand der Friesen-Taucher einen Becher Sekt Henighuser Bad und Saft zur Stärkung.

Auf diese Weise bestens vorbereitet setzt sich „Goliath“ mit einem Gesamtgewicht von 3,06 Tonnen (Goliath: 1,7 t + 17 Personen: 1,36 t) langsam in Bewegung. Leiner schaut am Anfang noch ein wenig skeptisch. Die Kurbelschwinge (auch Kurbeltrieb genannt) läuft noch nicht immer ganz rund. Nach kurzer Eingewöhnung gelingt es aber den jeweils vier Aktiven den Totpunkt im Getriebe immer sicherer zu umrunden und das Fahrzeug gleitet durch die Hänigser Feldmark.

Die Gleise, über die der Ausflug der Friesen-Taucher geht, stammen aus verschiedenen Epochen der Hänigser/Wathlinger Eisenbahngeschichte. Um das Zusammenwachsen zu verstehen, muss man schon ein wenig weiter ausholen. Die Burgdorfer Kreisbahn hat das Kaliwerk Riedel in Hänigsen mit den Gleisen der Staatsbahn in Burgdorf verbunden. Die Strecke wurde 1908 fertig gestellt und diente anfangs nur dem Güterverkehr, insbesondere dem Kalitransport. Erst drei Jahre später wurde der Personenverkehr aufgenommen.

Das Kaliwerk Wathlingen war in der Anfangszeit ein selbstständiges Unternehmen. Es transportierte seine Produkte auf der seit 1906 bestehenden Grubenanschlussbahn Wathlingen Ehlershausen über die Staatsbahn zum Verbraucher.

Von 1927 bis 1950 ruhte die Kaliproduktion im Kaliwerk Riedel. Die Regierung des III. Reiches hatte ein Auge auf stillgelegte Bergwerke für die Munitionslagerung und -produktion geworfen. Zwei Kilometer nördlich der Schachtanlage errichtete dann die Wehrmacht eine Heeresmunitionsanstalt (Munitionsproduktionsstätte, auch Muna genannt) (52.508333,10.107422). Für den Abtransport der Munition wurde 1936 eine Verbindung zum Gleisnetz Schacht Riedel erstellt. Ab 1941 wurde Munition im Bergwerk eingelagert. Vor Kriegsende verlegte man auch die Produktionsanlagen in die Stollen.

Anfang der fünfziger Jahre kam die Schließung der Burgdorfer Kreisbahn ins Gespräch. Die Verantwortlichen der mittlerweile vereinigten Werke Riedel und Niedersachsen beschlossen umgehend eine Verbindung von der ehemaligen Munitionsanstalt zum Kaliwerk in Wathlingen herzustellen. Nach kurzer Bauzeit war man in der Lage, ab 1951 Kali aus Hänigsen über Wathlingen nach Ehlershausen zu transportieren.

Während sich die Sportler auf historischen Gleisen bewegen, ziehen Felder, Wiesen und Waldstücke vorbei. Zwischendurch taucht hinter Bäumen die Rückseite (52.499791,10.104718) des international bekannten Unternehmens Köttermann Laboreinrichtungssysteme auf. Der Antrieb geht nach der Kurvenfahrt über das Gleisdreieck Riedel nun leichter von der Hand. Nach Sonnenblumen- und Rübenfeldern taucht zur linken Hand der Zaun der Heeresmunitionsanstalt auf. Zuerst sind hinter lichten Büschen nur kleinere Baulichkeiten auszumachen, danach folgen zwei dreigeschossige Gebäude (52.508647,10.109337) von je 80 Metern Länge. Parallel dazu noch einmal zwei. Dazwischen endet das Gleis der alten Munabahn von 1936). Alles sieht verlassen und tot aus. Der Zaun mit einer Gesamtlänge von zwei Kilometern wird seit Jahrzehnten tadellos in Ordnung gehalten. Am gut gesicherten Eingangstor auf der anderen Seite weist ein Schild auf die Lorenz Snackworld GmbH & Co KG hin. Transportfahrzeuge habe ich hier allerdings noch nie gesehen. Einige Quellen sprechen von einem Lager des Knabbergebäckherstellers. Aber warum sucht das Unternehmen sich ausgerechnet Gebäude aus, in denen früher Munition hergestellt und auch Giftgas gelagert wurde?

Nach diesem geheimnisumwitterten Abschnitt der Bahnstrecke beginnt auf der westlichen Seite das Naturschutzgebiet Brand mit dichtem Wald. Die Stimmung an „Bord“ ist ausgelassen und nach Tagen schlechten Wetters freuen sich die Teilnehmer über diesen phantastischen Sommertag. Irgendwann taucht in der Kurve durch den Wald die Kaliabraumhalde auf. Die Mannschaft an der „Pumpe“ muss ihren Einsatz erhöhen. Trotz eines Gleisradius´ von fast 400 Metern macht sich die zusätzliche Reibung deutlich bemerkbar. Die Getränke- und Imbisskiste vor Augen erreichen die Aktiven trotzdem locker und souverän den „Bahnhof“ Wathlingen (52.523507,10.131578). Vor der spektakulären Kulisse des 100 Meter hohen Kalibergs nehmen die Hänigser Bahnreisenden einen kleinen Imbiss zu sich. Nach entspannter Mittagspause legt „Fahrdienstleiter“ Leiner den Rückwärtsgang ein, bevor Goliath wieder in Bewegung gesetzt wird. Die erste Kurve wird flott durchfahren. Auf der darauf folgenden langen Geraden scheinen die sich abwechselnden Gruppen in einen Wettbewerb zu treten, um einen neuen Streckenrekord aufzustellen. Auf der 5,5 Kilometer langen Strecke von Wathlingen-Niedersachsen bis Hänigsen-Riedel steht der bisherige Rekord bei 35 Minuten.

Auf der Rückfahrt der Sonderfahrt nach Wathlingen werden die Sportler des TSV Friesen Hänigsen ungefähr die gleiche Zeit gebraucht haben. So ganz genau weiß das aber keiner, denn eine Zielkamera war nicht installiert. Trotzdem war die Freude der Beteiligten riesengroß. Zumal Achim Leiner bei dem ersten Vorgespräch von 40 bis 60 Minuten pro Richtung sprach. Aber nicht nur die sportliche Betätigung an frischer Luft macht den Reiz dieser ungewöhnlichen Reise aus. Es ist das Erleben der abwechselungsreichen Landschaft der Region und die Reise durch die Geschichte links und rechts der über 100 Jahre alten Gleisstrecke.

Der Vorstand der Abteilung Tauchen wünscht Herrn Leiner und seinen Vereinsmitgliedern (www.kalibahn.de) weiterhin viel Spaß bei der Arbeit, Ausdauer und Erfolg, damit künftige Generationen noch Heimatgeschichte mit einer Draisine erfahren können.

Bürgerreporter:in:

Rainer Lingemann aus Uetze

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