13. Bergwerks-Lauf Sondershausen

Auf der Laufstrecke. Nur unter der Lampe ist es so hell. Etwa 75 Meter weiter kommt der nächste Leuchtkörper.
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  • Auf der Laufstrecke. Nur unter der Lampe ist es so hell. Etwa 75 Meter weiter kommt der nächste Leuchtkörper.
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Wie um alles in der Welt kommt ein Läufer auf den Gedanken an einer Laufveranstaltung 700 Meter unter der Erde in einem Kalischacht teilzunehmen? Ganz einfach: Er findet die Idee faszinierend. Ein Gefühl aus dem Bauch heraus. Das reicht ihm für eine Erklärung. Rational könnte man argumentieren, dass er auch Fossilien sammelt. In den Mergelgruben von Hannover. Und diese Ablagerungen mit ihren Versteinerungen sind Reste von einem prähistorischen Meer. Nebenbei ist er Hobbytaucher mit viel Interesse für das Rote Meer. Er wohnt in einem Ort (Hänigsen), der mit 1 563 Metern den tiefsten Kalischacht der Welt besitzt. Im Brügman-Schacht in Sondershausen hat er nun die seltene Möglichkeit in den Resten eines 250 Millionen Jahre alten Meeres herumzulaufen. Einfach so. Ohne nass zu werden. Das begeistert ihn.

Da man für den Weg von der nördlichen Region Hannover bis nach Sondershausen so an die zweieinhalb Stunden benötigt, haben wir uns am Vortag auf den Weg gemacht. Bei der Hotelsuche im Internet bin ich auf die Burg Großfurra gestoßen. Der kleine Ort Großfurra wurde erstmalig 874 urkundlich erwähnt und beherbergt in Ortsmitte die im 11. Jahrhundert erbaute Burg eines Thüringer Landgrafen. Am Ort angekommen waren wir begeistert von dem Charme dieser außergewöhnlichen Herberge und haben das Hotel am nächsten Tag zufrieden in Richtung Bergwerk verlassen.

Aber erst einmal sind wir nach der Hotelanmeldung zu einer Grubenbesichtigung in den Brügman-Schacht eingefahren. In diesem Bergwerk werden seit 1895 Kalisalze abgebaut. Durch intensive Förderung ist unter der Stadt Sondershausen ein Stollensystem mit einer Gesamtlänge von rund 500 Kilometern entstanden. In der Gegenwart spielt die Kaliförderung nur noch eine untergeordnete Rolle. Der Begriff Erlebnisbergwerk deutet auf ein neues Standbein der Nutzung hin. Neben drei Laufveranstaltungen werden auch Mountainbike-Touren angeboten. In 700 Metern Tiefe ist ein Konzertsaal (340 Plätze) in den Berg gefräst. Schon 1908 hat man einen Festsaal (60 Plätze) eingeweiht. Bei der Schachtbesichtigung werden die Teilnehmer auf Kleintransportern 15 Kilometer durch das Labyrinth der Gänge gefahren. Sie erfahren eine Menge über die Entstehung von Salzlagerstätten, den Abbau der Salze und können sich die verschiedensten Schacht-Fahrzeuge ansehen. Auf der Tour werden auch Teile der Laufstrecke abgefahren und Teilnehmer am Untertagelauf können sich ein Bild von den Steigungen machen. Das ist besonders beeindruckend, wenn der Transporter manche Abschnitte nur mit Anlauf nehmen kann.

Am nächsten Tag machen wir uns nach dem Frühstück in der mittelalterlichen Atmosphäre unserer Burg auf den Weg zur Laufveranstaltung (zehn Autominuten). Der Parkplatz ist schon rappelvoll, obwohl es noch reichlich Zeit bis zum Start in dunkler Tiefe ist. Während mich ein Zeitpolster beruhigt, ist meine liebevolle Gattin und Nichtläuferin davon not amused. Denkt sicher nicht daran, dass 450 Sportler und noch einmal genauso viele Begleiter, Organisationshelfer, Bergwerkspersonal, Ersthelfer und Musiker mit nur einem Förderkorb in den Schacht einfahren müssen. Der Förderkorb hat Platz für 15 Personen und macht den Eindruck, dass er noch aus den Gründerjahren stammt. Statt einer Tür gibt es einen Ledervorhang und Licht auf der dreiminütigen Fahrt in die Tiefe muss man selber mitbringen. Unten angekommen wird der Vorhang von außen aufgerissen und die Besucher werden in die Unterwelt entlassen. Von nun an besteht Helmpflicht für alle. Überraschend hell und geräumig ist es hier auf den ersten 100 Metern des riesigen unterirdischen Wegesystems. Und auch gar nicht so warm, wie es der informierte Besucher erwartet. Nach dem geothermischen Gradienten sollte doch die Temperatur im Mittel um 3 °C/100 m Tiefe (Gesteinstemperatur) ansteigen. Der Bergwerkserklärer hatte am Vortag eine Temperatur von 22 bis 23 °C angekündigt. Dabei handelt es sich um die Lufttemperatur, in der der Mensch sich hier unten bewegt. Da für den Schacht eine ständige Belüftung notwendig ist, wird Frischluft von über Tage (nicht konditioniert) durch die Stollen gedrückt. Im Klartext heißt das, dass für die Wartezeit im Winter im Startbereich auch wärmere Kleidung mitgebracht werden sollte. Erst in den kilometerlangen Gängen mit dem normalen Querschnitt wird es dann wärmer.

Das „Glück-auf-Lied“ wird nicht mehr zum Start gespielt. Trotzdem ist es so laut, dass die Ansage kaum zu verstehen ist. Spannung liegt in der Luft der Tiefe. Die Athleten sind nervös. Trappeln herum. Machen ihre Lampe auf dem Fahrradhelm (0,4 Watt) an und aus und wieder an. Die Aufregung steigt. nun wird heruntergezählt. Selbst dem gestandenen Ausdauersportler läuft ein Schauer über den Rücken. Und schon geht´s los. Wenige Meter hinter der Startlinie biegt die Läuferschar nach links in den Stollen mit der hier üblichen Breite und Helligkeit ein. Das heißt, dass etwa alle 75 Meter eine Leuchtstoffröhre etwas Licht spendet. Zwei, maximal drei Läufer haben auf der 5,1 Kilometer langen Runde nebeneinander Platz.

Schon bald ist die erste spürbare Steigung erreicht. Ganz schön happig aber zum Glück nicht lang. Auf der Runde geht es immer mehr oder weniger bergauf und bergab. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Bergleute beim Stollenbau immer einer bestimmten Salzschicht gefolgt sind. Und diese Ablagerungen haben sich in den letzten 250 Millionen Jahren überall und unterschiedlich verschoben. So überraschen Kletterstrecken mit bis zu 20 Prozent die Athleten. Durch die Akustik in der Röhre kann ich Kommentare der Mitläufer gut verfolgen. So erfahre ich, dass auch andere Sportler nun mit zunehmender Wärme zu kämpfen haben. Vermutlich wird wegen der Abzweigung von Gängen weniger Frischluft durch die Laufstrecke gedrückt.

Während ich mir gerade Gedanken über die Belüftungstechnik eines Kalibergwerks machen will, kommt hinter mir ein Läufer ins Straucheln. Hat aber noch mal Glück gehabt und fängt sich wieder. Sofort richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Boden. Immer häufiger treten diese glatten Abschnitte auf. Entstanden sind die wie Eisflächen aussehenden Stellen durch die Gummireifen der Kleintransporter. Da manchmal eine dünne Salzgranulatschicht die tückischen Stellen verdeckt, läuft man am sichersten in der Mitte oder neben der Fahrspur. Noch mehr Wachsamkeit ist an den längeren Gefällestrecken angebracht, wenn den Athleten nach den Bergauf-Strapazen der Geschwindigkeitsrausch überkommt. Völlig unvernünftig, da viel zu risikoreich. Lässt sich leider auch bei besonnenen Läufern nicht vermeiden.

Aus der Ferne dringen nun zunehmend Geräusche vom Startplatz in den Stollen. Ich freue mich, dass ich die erste Runde so gut gemeistert habe. Die Lautsprecherdurchsagen werden intensiver, das Licht vom Hauptstollen fällt in die dunklere Laufstrecke und - die Läufer werden in eine links abbiegende Röhre geleitet. Wieder die vertraute Dunkelheit. Es folgt ein großer, lang gezogener U-turn und die Geräuschkulisse nimmt wieder zu. Der Startpunkt ist erreicht. Die Athleten kreuzen den großen Hauptstollen, nehmen dabei ein Bad in der Menge und verschwinden rasch auf der anderen Seite im Halbdunkel der zweiten Runde.

Die Zeiterfassung erfolgt mit der pCard der Firma SPORTident. Dabei handelt es sich um eine Plastikkarte von 5 x 5 Zentimeter Größe, die im Brustbereich befestigt und beim Zieleinlauf von einem Helfer ausgelesen wird. Mit dieser Zeiterfassung wird nur die Bruttozeit ermittelt (also weder Rundenzeiten noch Rundenzahlen). Aber eigentlich verfügt ja jeder Athlet selber über eine Sportuhr, mit der er seine Nettozeit stoppen kann.

Aus sicherheits- und logistischen Gründen ist das Starterfeld auf 500 Teilnehmer begrenzt und meine Teilnahme war nur durch das Nachrückverfahren möglich. Das Interesse an Abenteuerläufen in dieser Form scheint zu steigen. Auch das Bergwerk Merkers (ebenso Thüringen) bietet einen Untertagelauf an. Der Sondershäuser Veranstalter wird neben den bereits etablierten 42 und 10-Kilometer-Veranstaltungen am 5. März 2011 den 1. Glückauf-Brügman–Halbmarathon durchführen.

Die Teilnahme am Sondershäuser Kristall-Lauf über 10 Kilometer war für mich wieder ein besonderes Erlebnis. Burg Großfurra bietet einen schönen Rahmen für einen Kurzurlaub mit Laufveranstaltung. Als Ziel für die nächste Untertage-Veranstaltung schwebt mir schon der 6. Merkerser Kristallmarathon mit dem 10-Kilometer-Lauf vor. Bis dahin werde ich mir hoffentlich mehr Kompetenz in Sachen Untertage-Fotografie angeeignet haben. Diese Art der Bildberichterstattung ist doch ein mühevolles und heikles Unterfangen.

www.spargelsprinter.de.vu

Bürgerreporter:in:

Rainer Lingemann aus Uetze

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