Wem nützt der Euro-Rettungsschirm?

von Prof. Dr. Klaus Buchner

Die €-Krise

Die Gründe für die Euro-Krise sind vielfältig: Sicher spielt eine falsche Politik der Krisenländer eine Rolle. Wichtiger ist, dass mit der Einführung des Euro einige Staaten billige Kredite bekamen, die den Konsum anheizten. Deutschland als Exportnation profitierte davon. Als die Finanzkraft dieser Länder von amerikanischen Ratingagenturen angezweifelt wurde, stiegen die Zinsen für die Kredite so hoch, dass sie nicht mehr aufgebracht werden konnten; es drohte der Staatsbankrott. Auch die USA und Deutschland wären pleite, wenn sich der Zinssatz für ihre Staatsschulden wesentlich erhöhen würde. Der wichtigste Grund für die Krise ist aber, dass in der Eurozone Länder mit sehr unterschiedlichen Produktivitäten und Lohnniveaus zusammengefasst werden. Dadurch haben sie keine Möglichkeit mehr, ihre Wechselkurse durch Ab- oder Aufwertungen anzupassen, um beispielsweise bei schwacher Wirtschaft den Export anzukurbeln. Die jetzige Finanzkrise ist also auch ein Geburtsfehler des Euro.
Gigantische Summen
Um den Zinssatz für die Krisenländer trotz allem niedrig zu halten, gaben Staaten wie Frankreich und Deutschland Garantien für deren Staatsanleihen. Es zeigte sich jedoch schon bald, dass selbst Garantien über Hunderte von Milliarden Euro nicht mehr ausreichen. So beschloss man, den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ESM [1] zu schaffen. Das ist eine Art Bank, in die die Mitgliedsländer Geld einzahlen. Deutschland stellt gut 27 % des gesamten Kapitals zur Verfügung. Im Augenblick sind das mehr als 21 Milliarden Euro, die eingezahlt werden müssen. Im schlimmsten Fall haften wir aber bis zu 190 Milliarden. Außerdem hat vor kurzem die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt, Staatsanleihen der Krisenländer in unbegrenzter Höhe aufzukaufen. Da Deutschland mit 27% an der EZB beteiligt ist, haften auch wir in unbegrenzter Höhe.
Wem nützt der Rettungsschirm?
Um das nötige Kapital für die Kredite aufzubringen, druckt die Europäische Zentralbank EZB laufend neues Geld. Sie verleiht es an andere Banken für etwa 1% Zins. Diese geben damit Kredite an die Krisenländer mit mindestens 4% Zins. Das ist ein gewaltiges Geschäft, das noch dazu völlig risikolos ist, weil es die „American Insurance Group“ gibt, eine Art Rückversicherung für Banken gegen Kreditausfall. Diese ist natürlich sehr daran interessiert, dass die Kredite tatsächlich zurückgezahlt werden, ebenso wie die Banken ohne eine derartige Rückversicherung. Um das zu erreichen werden sogar Menschenrechte verletzt, die in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 22, 23 und 25) und im UNO-Sozialpakt ICESCR (Art. 6, 7, 9 und 11) formuliert sind, z.B. das Recht auf Schutz vor Hunger. Wenn alle Stricke reißen, „rettet“ der ESM, genauer der Steuerzahler, sowohl die Banken als auch die American Insurance Group.
Deutschland unterstützt einige Euro-Länder auch noch auf andere Weise: Die sog. Target-Kredite (eine Art zwischenstaatlicher Kredite, die über die EZB abgewickelt werden) von Deutschland betrugen Anfang 2012 etwa 500 Mrd. Euro und wachsen zurzeit sehr schnell weiter an: Am 8. Juni 2012 waren es bereits 699 Milliarden.
Es ist bemerkenswert, dass das US-amerikanische Geldinstitut Goldman Sachs Griechenland durch einen Trick in die Euro-Zone gebracht hat, der die wahre Staatsverschuldung verschleiert hat. Dabei hat es mit Lucas Papademos zusammengearbeitet, der 2011 ohne Wahl griechischer Ministerpräsident geworden ist. Er setzte die Rückzahlung der Kredite mit aller Härte gegen die eigene Bevölkerung durch. Übrigens kam auch der Regierungschef des Schuldnerlands Italien an die Macht, ohne vom Volk gewählt worden zu sein. Er ist ein ehemaliger Mitarbeiter von Goldman Sachs – ebenso wie Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank.
Die Folgen
Wie können wir das alles bezahlen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder wird Deutschland ebenfalls zahlungsunfähig, oder wir lassen Geld drucken, was einen kräftigen Inflationsschub bewirkt. Auf jeden Fall werden die Löhne, Renten und alle anderen Sozialleistungen weniger wert. Die Zeche zahlen also die Mittelschicht und die sozial Schwachen. Besonders hart betroffen werden die kleinen und mittelständischen Unternehmen sein, deren Tätigkeit auf Europa konzentriert ist. Sie haben keine Möglichkeit, auf andere Märkte auszuweichen und ihr Kapital außerhalb von Europa zu verschieben. Schlimmer sind die Folgen für die Schuldnerländer.
Es kann auch uns treffen
Auch unsere Verschuldung ist so hoch [2], dass die EU jederzeit ein „Defizitverfahren“ gegen Deutschland einleiten kann [3]. Dann bestimmen nicht mehr die gewählten Volksvertreter unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie unseren Haushalt, sondern eine Gruppe internationaler Finanzfachleute – so wie heute in Griechenland. Das ist das Ende von Demokratie und Rechtsstaat. Außerdem wird der Sozialstaat ausgehöhlt, weil dann auch bei uns ähnliche Zustände eintreten wie heute in Griechenland: Kürzung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen und der Zusammenbruch eines Teils der Wirtschaft.
Wo bleiben Recht und Demokratie?
Mit dem „Rettungsschirm“ ESM geben wir die Freiheit, über unsere Staatsfinanzen zu bestimmen, weitgehend auf. Eine Gruppe internationaler Bankfachleute kann von Deutschland ohne jede demokratische Legitimation innerhalb von kurzer Zeit Summen im zweistelligen Milliardenbereich einfordern [5]. Auch in der EZB treffen alle Entscheidungen nur Banker ohne demokratische Legitimation, obwohl sie mit unserem Geld arbeiten, das wir dadurch im schlimmsten Fall verlieren.

Der ESM-Vertrag ist unkündbar. So wird auch in Zukunft unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik zum Großteil nicht mehr von gewählten Volksvertretern, sondern von einer Gruppe internationaler Banker bestimmt.
Außerdem genießen alle für den ESM arbeitenden Personen volle Immunität, d.h. niemand kann für seine Tätigkeit beim ESM zur Rechenschaft gezogen werden, nicht einmal für kriminelle Handlungen [6]. Auch die Gelder des ESM können nicht angetastet und die Unterlagen nicht eingesehen werden. Alle Rechnungsprüfer müssen vom ESM selbst zugelassen werden. So wurde eine Einrichtung geschaffen, die ohne jede Kontrolle über die Wirtschaft und das Sozialwesen ganzer Länder entscheiden kann. Und die Europäische Zentralbank ist vollkommen unabhängig von allen politischen Entscheidungen.

Wirtschaftsdiktatur auch bei uns?

Position der ÖDP:

Weder der Euro-Rettungsschirm, noch der sog. „Fiskalpakt“, der die Euroländer zu einer soliden Haushaltspolitik zwingen will, können die Finanzprobleme der EU dauerhaft lösen: Nötig wären ein Umdenken in den Regierungen und eine Reform des Bankenwesens, die z.B. die ausufernden Spekulationen von Geschäftsbanken, den Ankauf von faulen Papieren und die Liberalisierung der Regeln für Banken einschränkt. Vor allem muss ein „Marshall-Plan“ aufgelegt werden, damit die Wirtschaft der strukturschwachen Euro-Länder wettbewerbsfähig wird. Das kostet nur einen Bruchteil des jetzigen ESM. Der Rettungsschirm bewirkt aber genau das Gegenteil.

[1] Siehe den Entwurf des „Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der zusammen mit den „Fiskalpakt“ (siehe [3]) am 25. Mai 2012 vom Bundestag beschlossen werden soll.
[2] Derzeit rund 82 % des Bruttosozialprodukts
[3] Art. 4 und 5 des geplanten Fiskalpakts (offizieller Name: Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion) erlauben es dem Rat auf Vorschlag der EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Länder einzuleiten, deren Staatsverschuldung mehr als 60 % des BIP beträgt. Neu ist die in diesen Artikeln festgelegte Macht der EU-Kommission und des Rats, Einfluss auf den Haushalt und die Wirtschaftspolitik des Landes zu nehmen, das dem Defizitverfahren unterworfen wird.
[4] Art. 10 des ESM
[5] Art. 9 des ESM
[6] Die „Immunität“ des ESM selbst steht in Art. 32 Abs. 3 – 6 ESM; in Abs. 8 wird festgelegt, dass beim ESM keinerlei Kontrollen durchgeführt werden dürfen. Die persönlichen Immunitäten werden in Art. 35 festgehalten.
Karikatur: H. Haitzinger

http://www.oedp-niedersachsen.de/

Bürgerreporter:in:

Michael Falke aus Uelzen

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