Offener Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Jean-Claude Juncker

Betreff: Ursachen für die Flüchtlingsströme


Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident,
In den vergangenen Wochen kamen Hunderttausende von Flüchtlingen nach Europa. Ich bin stolz und glücklich, dass meine Heimatstadt München viele von ihnen aufnimmt. Man muss aber bedenken, dass kaum jemand ohne große Not sein Land und seinen Kulturkreis aufgibt, um in einer oft lebensgefährlichen Reise nach Europa zu kommen. Was bewegt so viele Menschen zu diesem Schritt?
Eine große Zahl von Flüchtlingen stammt aus Kriegsgebieten oder aus Ländern, in denen sie unmittelbar von Gewalt bedroht werden. Gegenüber den Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten hat Europa eine Verpflichtung. In Syrien haben wir radikale Oppositionsgruppen logistisch unterstützt. Der IS wäre nicht entstanden, wenn der Westen nicht vorher die Machtverhältnisse im Nahen Osten grundlegend verändert hätte.
Andere Flüchtlinge versuchen der wirtschaftlichen Not zu entkommen, die bei ihnen zuhause herrscht. So erreichen uns Viele aus Westafrika, wo europäische Schiffe die Fischbestände so sehr dezimieren, dass die Einheimischen nicht mehr vom Fischfang leben können. In anderen Ländern werden die landwirtschaftliche und die industrielle Entwicklung durch Importe aus Europa massiv behindert, während gleichzeitig bei den Exporten nach Europa wegen der geringen Zahl der Handelsfirmen die Preise viel zu niedrig sind. Ein weiteres Problem stellt die Vertreibung der Landbevölkerung dar, die an vielen Orten zugunsten westlicher Konzerne stattfindet. Dieses „Land Grabbing“ ist nicht nur für die betroffenen Bauern eine Katastrophe; es verschlechtert auch die Ernährungssituation drastisch (siehe z.B. die UNO-Berichte E/C.12/2012/1 und den Bericht des UN Independent Expert on human rights and environment vom 22. Mai 2014 in Bangkok). Land Grabbing findet leider sehr häufig statt, so in Äthiopien, Kenia, Uganda und vielen anderen Ländern. Das alles ist nur deshalb möglich, weil Freihandelsabkommen mit diesen Ländern entsprechende Gesetze fordern. Daher bitte ich Sie dringend, die Freihandelsabkommen mit allen Entwicklungsländern zu überprüfen. Hier müssen auch die Verträge genannt werden, die mit Hilfe der WTO geschlossen wurden. Es ist ein Skandal, dass es Entwicklungsländern im Rahmen der jetzt schon gültigen WTO-Verträge nicht gestattet ist, große Vorräte an Nahrungsmitteln anzulegen, weil dies die Nahrungsmittel-Spekulationen behindern würde. (Ich erinnere daran, dass das kürzlich erzielte Moratorium für Schiedsgerichtsverfahren hierzu keine bindende Wirkung hat.). Jetzt sollen ihnen in Nairobi die zwei neuen Verträge ITA (Informationstechnologie) und EGA (Umwelttechnologie) aufgezwungen werden.
Es hilft nicht, die jetzige Situation zu bedauern. Natürlich muss Europa Ihrem Aufruf zu mehr Solidarität folgen. Am wichtigsten ist es jedoch, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Am dringlichsten sind eine aktivere Friedenspolitik der EU im Nahen Osten und eine Überprüfung der Handelsverträge mit den Entwicklungsländern. Aus diesem Grund möchte ich Sie bitten, die Überprüfung der EU-Handelsverträge mit Entwicklungsländern in die Agenda der nächsten Ministerialkonferenz der WTO im Dezember aufzunehmen und keinen Druck auf die Entwicklungsländer auszuüben, weitere Freihandelsverträge zu unterzeichnen.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Klaus Buchner
Mitglied des Europäischen Parlaments für die ÖDP

Bürgerreporter:in:

Michael Falke aus Uelzen

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