Die ehemalige jüdische Gemeinde in Hatzbach

Die frühere Synagoge in Hatzbach. Sie wurde 1816 erbaut, nach der Schließung der jüdischen Gemeinde 1913 durch Anton Bötel erworben und 1966 wegen Baufälligkeit abgerissen.  Die heutige Anschrift ist Lumpsgasse 1.
  • Die frühere Synagoge in Hatzbach. Sie wurde 1816 erbaut, nach der Schließung der jüdischen Gemeinde 1913 durch Anton Bötel erworben und 1966 wegen Baufälligkeit abgerissen. Die heutige Anschrift ist Lumpsgasse 1.
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Hatzbach hatte früher eine überdurchschnittlich große jüdische Gemeinde. Wann genau die ersten Juden in Hatzbach siedelten ist nicht überliefert. Dies dürfte aber im Vergleich zu den Ortschaften der Umgebung schon relativ früh der Fall gewesen sein.
Die Barone von Knoblauch zu Hatzbach waren auch mit dem Recht der Judenansiedlung belehnt, was bei den Adelsfamilien in Hessen eher selten war. Das Recht der Judenansiedlung war ursprünglich ein königliches Recht, das seit dem 13. Jahrhundert auf die Territorialherren übergegangen ist. Dem Landesherrn fiel die Entscheidung zu, wo sich die Juden in seinem Land ansiedeln durften. Es war ein Schutzrecht, für das die Juden Abgaben zu entrichten hatten. Mit der Belehnung mit dem Recht der Judenansiedlung hatten die Barone von Knoblauch vom Landgrafen sowohl die Entscheidungsbefugnis über die Ansiedlung von Juden in Hatzbach erworben, als auch das Recht die Abgaben, den sogenannten Judenzins, einzuziehen. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Barone von Knoblauch zu Hatzbach wegen dieser Einnahmequelle schon früh bemüht waren in Hatzbach Juden anzusiedeln. In Hessen sind die Juden schon vor 1300 nachzuweisen. Zunächst siedelten diese aber überwiegend in den Städten. Für das 14. Jahrhundert lassen sich in einigen Städten geschlossene jüdische Gemeinden belegen. In Hatzbach dürften bereits im 15. Jahrhundert die ersten Juden aufgenommen worden sein. Seit dieser Zeit dürften kontinuierlich Juden in Hatzbach gelebt haben.
Zwar ordnete Landgraf Philipp der Großmütige 1524 die Ausweisung der Juden aus Hessen an. Dabei wies er seine Amtsleute ausdrücklich an, auch die benachbarten Adligen aufzufordern, seinem Beispiel zu folgen. Viele Adlige ignorierten aber diese Aufforderung. Als Inhaber des Rechts der Judenansiedlung konnten die Barone von Knoblauch selbst entscheiden, ob sie die in Hatzbach ansässigen Juden ausweisen wollten oder nicht. Philipps Amtsleute scheinen diesen Befehl auch nur sehr oberflächlich gehandhabt zu haben. Durch einen Schutzbrief des Landgrafen von 1532 wurde den Juden der Aufenthalt in Hessen auch wieder ausdrücklich erlaubt. In 1539 wurde eine neue, verhältnismäßig milde Judenordnung erlassen, in der der Landgraf Philipp von Hessen die Bestimmungen des Römischen Rechts in einem für Juden günstigeren Sinne auslegte. Somit dürfte die Ausweisungsanordnung von 1524 keine Auswirkungen auf die jüdischen Einwohner in Hatzbach gehabt haben. Im Gegenteil scheinen die Barone von Knoblauch zu Hatzbach nicht nur ihre Hand schützend über die Hatzbacher Juden gehalten zu haben, sondern auch in späteren Jahren noch weitere Juden aufgenommen zu haben. Darauf deutet zumindest die Aussage des Speckswinkeler Pfarrers aus dem Jahre 1577 hin, der zu dieser Zeit auch für Hatzbach zuständig war, wonach bei den „Junkern“ von Knoblauch in Hatzbach ein Wiedertäufer lebte, „neben dem Geschmeiß der Juden, von denen auch etliche in wenigen Jahren da untergeschleift“ sind.
Eindeutig belegt ist, dass 1629 vier jüdische Familien in Hatzbach lebten. Insgesamt gab es zu dieser Zeit nur 28 Haus- oder Hofstellen, so dass ein verhältnismäßig großer Anteil der Hatzbacher Bevölkerung Juden waren. Auch in 1684 lebten noch vier jüdische Familien in Hatzbach. Zur gleichen Zeit gab es nur eine jüdische Familie in Erksdorf und nur drei in der Amtsstadt Rauschenberg, was die besondere Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Hatzbach belegt.
Auch für 1742 sind vier Familien belegt. Die jeweiligen Haushaltsvorstände sind: 1. Löb Abrahams Witwe, 2. Meyer Salomon, 3. Hirsch Katz und 4. Moses Spiers Witwe Sara. Die gleichen Namen werden auch 1744 genannt. Von diesen Familien sind dann nur die Familien Spier und Katz noch später nachweisbar. Die Familie Katz führte dann seit Beginn des 19. Jahrhunderts den Doppelnamen Katz-Willersdorf, eine Bezeichnung, die sich von der ehemaligen Siedlung Willersdorf zwischen Hatzbach und Emsdorf ableitet. Um 1800 kommt dann der jüdische Schuhmacher Pinhas aus Amsterdam nach Hatzbach und heiratet die Hatzbacher Jüdin Derz Katz. Er nimmt den Familiennamen Theisebach an, benannt nach dem von Erksdorf her kommenden Bach, der beim heutigen Festplatz in den Hatzbach mündet. In der Familie erzählt man sich noch heute die Geschichte, dass Pinhas einen Goldbeutel des Barons von Knoblauch gefunden habe, den dieser zuvor am Theisebach verloren hatte. Als Belohnung soll er vom Baron bei der Rückgabe des Goldes den deutschen Namen Theisebach erhalten haben. Das Schuhmacherwerkzeug von Pinhas war noch in den 1930er Jahren im Besitz der Familie Theisebach. Sein 1805 in Hatzbach geborener Sohn Jakob Theisebach war später auch Schuhmacher in Hatzbach.
Um 1785 scheinen dann nur drei jüdische Familien In Hatzbach gewohnt zu haben. Jedenfalls wird in der Vorbeschreibung zu Hatzbach aus diesem Jahr ausgeführt, dass in Hatzbach an Juden „drei Männer, drei Weiber, fünf Söhne und drei Töchter“ leben. Ebenfalls 1785 werden die Juden Wolf Katz und Meier Wertheim als „unbegüterte Beisitzer“, d.h. als Bewohner ohne Haus und Grundbesitz erwähnt. Jedoch zahlte Wolf Katz „von seinem Handel“ jährlich 42 Gulden Steuer. Um 1800 heiratet der um 1775/76 geborene Meier Wertheim die um 1780/81 geborene Hatzbacher Jüdin Fradchen Katz. Sie haben acht Söhne und eine Tochter. Sowohl der Familienname Theisebach als auch Wertheim kam durch Einheirat in die Familie Katz nach Hatzbach. Zusammen mit den weiter fortbestehenden Familiennamen Katz und Spier bildeten diese vier Familien von da an die jüdische Gemeinde in Hatzbach.
Wie bereits erwähnt, lebten 1785 14 Juden in Hatzbach. Bei einer Gesamtbevölkerung von 321 Einwohnern waren demnach knapp 4,4 Prozent Juden. Dieser Anteil sollte aber in den nächsten Jahrzehnten deutlich ansteigen. So waren 1838 von insgesamt 434 Einwohnern 45 Juden , was einen Anteil von knapp 10,4 Prozent der Bevölkerung entspricht. In 1858 lebten bei einer Gesamtbevölkerung von 438 Einwohnern 67 Juden in Hatzbach, was einem Anteil von fast 15,3 Prozent entspricht. In 1861 waren von insgesamt 447 Einwohnern 63 und somit über 14 Prozent der Gesamtbevölkerung Juden. Dies war der höchste Prozentanteil im damaligen Kreis Kirchhain. Nur Rauischholzhausen mit 12 und Josbach mit 11 Prozent hatten zu dieser Zeit einen vergleichbaren hohen jüdischen Bevölkerungsanteil. Der Kreisdurchschnitt lag bei 5 Prozent. In der Kreisstadt Kirchhain lag der Anteil der jüdischen Bevölkerung mit nur 49 Juden bei nur 2,8 Prozent, in den Nachbardörfern Erksdorf bei 6,4 in Wolferode bei 2,1 und in Speckswinkel bei nur 1,5 Prozent. Diese Zahlen machen deutlich, wie herausragend hoch der Anteil der Juden in Hatzbach war und welche entsprechende Bedeutung auch die jüdische Gemeinde in Hatzbach hatte, vor allem wenn man bedenkt, dass das heutige Bundesland Hessen die Region war, in der der Anteil der jüdischen Bevölkerung am höchsten über dem Gesamtdurchschnitt des Deutschen Reiches lag. Noch in 1905 lebten 65 Juden in Hatzbach.
Im Gegensatz zu dem ganz überwiegenden Teil der christlichen Hatzbachern hatten die Juden kein Ackerland und lebten meist vom Handel. So waren 1858 sieben jüdische Hauseigentümer in Hatzbach Händler, davon sechs Viehhändler. Immerhin zwei jüdische Hauseigentümer waren um 1873 Lumpensammler. Da beide Häuser in der heutigen Lumpsgasse standen, ist ihr Gewerbe vermutlich namensgebend für den heutigen Straßennamen gewesen. Schon früh erwarben die Juden auch Grundbesitz in Hatzbach. Im Jahre 1788 erwarb der oben genannte Wolf Katz zwei Drittel des Hauses Nr. 19, dessen anderes Drittel Heinrich Sofrian gehörte. Insgesamt sind im 19. Jahrhundert in Hatzbach 15 Wohnhäuser nachweisbar, deren Eigentümer Juden waren.
Das wichtigste jüdische Gebäude in Hatzbach war die Synagoge. Da schon früh mehrere jüdische Familien in Hatzbach ansässig waren, dürften diese sich auch in Hatzbach zu gemeinsamen Gottesdiensten getroffen haben. Da die Errichtung neuer Synagogen noch bis Ende des 18. Jahrhunderts verboten war, mussten die Juden ihren Gottesdienst lange Zeit in Privathäusern abhalten. Durch ihre Kultvorschriften waren die Juden gehalten in ihren Wohnorten eine Kultgemeinde zu bilden, die aber eine Mindestanzahl von zehn männlichen Erwachsenen voraussetzt. Da aber in 1785 nur drei erwachsene Männer in Hatzbach lebten, dürfte es zu dieser Zeit noch keine richtige Kultgemeinde in Hatzbach gegeben haben. Bereits seit 1602 sind dann aber Juden in Allendorf und seit 1665 in Erksdorf nachweisbar. Zusammen mit den Juden aus diesen Orten bestand eine sogenannte Synagogengemeinde, deren Synagogenlokal sich zentral in Erksdorf befand. Wann diese Gemeine gebildet wurde, ist nicht überliefert. Hinweise auf die frühere Synagogengemeinde sind erstmals aus dem Jahr 1846 überliefert. Am 8. Oktober diesen Jahres beschwerte sich nämlich der Erksdorfer Jude Markus Rothschild beim Kreisamt in Kirchhain über den Allendorfer Gemeindeältesten Heli Wertheim, weil dieser seinem Vater in der Allendorfer Synagoge den Ständeplatz verweigere. In dem Schreiben berichtet er, dass vor etwa 40 Jahren Allendorf, Erksdorf und Hatzbach eine Synagogengemeinde gebildet und den Gottesdienst in Erksdorf abgehalten hätten. Dann hätten sich Allendorf und Hatzbach abgespalten und „für sich den Gottesdienst“ gehalten. Somit dürfte es bereits seit kurz nach 1800 in Hatzbach eine eigenständige Synagogengemeinde gegeben haben.
Da in Hatzbach alleine mehr Juden lebten als in Allendorf und Erksdorf zusammen, war es verständlich, dass die Hatzbacher Juden sobald wie möglich eigene Gottesdienste in Hatzbach abhalten wollten. Am 12. Februar 1831 genehmigte die Kreisbehörde in Kirchhain die Anstellung des Moses Karfunkel als Vorsänger der jüdischen Gemeinde in Hatzbach. Hierfür sollte er 97 Gulden erhalten, wovon aber 60 Gulden für Kost und Logis in Abzug gebracht wurden. Unterschrieben war der Anstellungsvertrag von den Hatzbacher Juden Hirsch Jakob Spier, Isaak Wertheim, Manes Katz, Theisebach, J. Spier und Meier Wertheim. Demnach dürfte bereits vor 1831 in Hatzbach ein eigener Synagogenraum bestanden haben. Am 12. Mai 1837 erwarb dann die Hatzbacher Judenschaft das Haus, das Jakob Spier 1816 in seinem früheren Hausgarten errichtet hatte „zu gemeinschaftlichem Eigentum“, um darin eine Synagoge einzurichten. Eigentümer waren Isaak Wertheim I., Hirsch Wertheim, Liebmann Katz-Willersdorf, Jakob Katz-Willersdorf, Jakob Theisebach, Daniel Katz-Willersdorf, Lob Spier und Isaak Wertheim II. Die Hatzbacher Synagoge war ein schlichtes unscheinbares Fachwerkgebäude, das sich von den umliegenden Gebäuden kaum absetzte. Im inneren waren die Bereiche für Frauen und Männer getrennt. Die Frauen nahmen auf den Emporbühnen Platz. An der Ostseite, also in Richtung Jerusalem, befand sich der Thoraschrein. In ihm wurden die Thorarollen aufbewahrt. Die Thorarolle ist ein Pergament, auf der die fünf Bücher Mose des Alten Testaments geschrieben waren. Das Gestühl war zum Thoraschrein hin orientiert. Um 1890 gehörten zur Einrichtung der Hatzbacher Synagoge ein Altar, ein Thoraschrank, drei Emporbühnen mit Vergitterung, zwei Tafeln der Gesetze und Spruchtafeln und 12 Bänke. Zwei Kammern sowie Keller und Boden des Hauses wurden weiter privat genutzt.
Im Synagogengebäude war auch ein „Mikwe“ genanntes Ritualbad. Das Ritualbad diente Männern und Frauen der rituellen Körperreinigung. Insbesondere Frauen war es vorgeschrieben sich nach der Menstruation, vor der Hochzeit und nach der Geburt eines Kindes dort zu reinigen. Das Becken war so groß, dass es möglich war, ganz unterzutauchen. In 1827 befand sich das sogenannte Judenbad noch im Haus von Isaak Spier. Die Synagoge in Hatzbach wurde auch von den Juden aus Speckswinkel aufgesucht. Die Synagogengemeinde bestand noch bis 1910. Die frühere Synagoge wurde 1913 durch Anton Bötel erworben und 1966 wegen Baufälligkeit abgerissen. Das Judenbad war zu dieser Zeit noch erhalten. Das frühere Badebecken war durch eine Klappe im Fußboden erreichbar und wurde als Kartoffellager verwendet. Heute steht dort das Haus mit der Anschrift Lumpsgasse 1. Auf dem Nachbargrundstück neben der Synagoge befand sich die sogenannte Judenschule. Auch sie wurde abgerissen. Reste der Grundmauern sind noch als Stützmauer erhalten.
Trotz der zeitweise großen Zahl an jüdischen Einwohnern, die das Gemeindeleben begünstigte, zogen nach und nach alle jüdischen Familien von Hatzbach fort. Dies ist allerdings keine Hatzbacher Besonderheit, sondern war eine allgemeine Tendenz. In allen Dörfern des damaligen Kreises Kirchhain lässt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine verstärkte Abwanderung in die zentral gelegenen Städte feststellen. Unter diesen nimmt die Kreisstadt Kirchhain eine herausragende Stellung ein. Zu einer vollständigen Abwanderung von allen jüdischen Einwohnern wie in Hatzbach kam es allerdings nur noch in Erksdorf, Wolferode, Ernsthausen, Speckswinkel und Schiffelbach. In keinen dieser Dörfer war aber die jüdische Gemeinde nur wenige Jahrzehnte zuvor derart groß wie in Hatzbach, so dass die völlige Abwanderung von hier zunächst erstaunt.
Die Abwanderung der Juden aus Hatzbach dürfte vor allem mit dem Ausbau der Eisenbahnverbindungen und der Einrichtung der Kirchhainer Rinderviehmärkte Ende des 19. Jahrhunderts zusammenhängen. Lebten 1861 nur 49 Juden in Kirchhain, so waren es 1895 schon 134 und 1910 dann 219. Die Kirchhainer Rinderviehmärkte standen kurz nach 1900 in voller Blüte und zählten zu den bedeutendsten in Hessen. Der Handel bei den Rinderviehmärkten lag durchweg in jüdischen Händen. Jüdische Viehhändler kauften in weitem Umkreis bis in die Gegend von Marburg bei den Bauern Vieh auf und setzten dieses bei den in der Regel in Abstand von 14 Tagen in Kirchhain stattfindenden Rindermärkten an die aus dem Rhein-Main-Gebiet, aus Süddeutschland und aus Westfalen kommenden Großhändler ab. Um den Marktort Kirchhain näher zu sein, verlegten viele bisher auf den Dörfern der Umgegend wohnende Juden ihren Wohnsitz nach Kirchhain und betrieben von hier ihren Handel. Wie bereits oben erwähnt, waren auch die meisten Juden in Hatzbach als Viehhändler tätig. Auch von Hatzbach zogen viele Juden nach Kirchhain, vor allem von der in Hatzbach zahlreichen Familie Wertheim. In 1904 wurde dann eine große Synagoge in Kirchhain errichtet. Auch dies mag ein Anreiz für die noch in Hatzbach verblieben Juden gewesen sein, aus der nun durch die Abwanderung kleiner gewordenen jüdischen Gemeinde fortzuziehen.
Dagegen dürfe die nach 1887 in Oberhessen erstarkte antisemitische Bewegung um Otto Böckel keinen entscheidenden Einfluss auf die Landflucht der Juden in die Städte gehabt haben. Denn der in unserer Gegend populäre Antisemit und Reichstagsabgeordnete Böckel, der anfangs auch in Hatzbach stets bei Reichstagswahlen die überwältigende Mehrheit der Stimmen bekam, war bereits 1903 aus dem Reichstag ausgeschieden und seine Bewegung hatte zu dieser Zeit schon stark an Bedeutung verloren. Zu dieser Zeit lebten aber in Hatzbach noch zahlreiche Juden. Zudem war sein Engagement für die Bauern der eigentliche Grund für Otto Böckels Popularität auf dem Lande. Daher dürfte auszuschließen sein, dass eine antisemitische Haltung der Hatzbacher zur Abwanderung der Juden beigetragen hat.
Wann die letzten Juden aus Hatzbach fortzogen, lässt sich nicht mehr exakt ermitteln. Dass manche Häuser von Juden erst zu Beginn der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von den jüdischen Voreigentümern erworben wurden, sagt jedenfalls nicht zwingend aus, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch von Juden bewohnt waren. Eine der letzten in Hatzbach belegten jüdischen Geburten ist die von Walter Plaut am 26. August 1909 im Haus Nr. 1 als Sohn von Samuel und Minna Plaut. Noch 1908 unterrichtete ein jüdischer Lehrer die jüdischen Kinder in Hatzbach. Noch in 1905 lebten 65 Juden in Hatzbach. Die jüdische Kultgemeinde in Hatzbach soll bis 1910 bestanden haben. Auf dem ältesten Schulfoto von Hatzbach von ca. 1911 sind noch drei jüdische Schülerinnen zu sehen, die sich durch ihre Kleider von den christlichen Mädchen in ihren Trachten deutlich unterscheiden. Sicher sind auch jüdische Jungen auf dem Bild, die sich aber nicht in der Kleidung von ihren christlichen Schulkameraden unterscheiden. Das Foto ist das jüngste Dokument, das noch die Anwesenheit von Juden in Hatzbach belegt. Fest steht, dass in 1925 dann keine Juden mehr in Hatzbach lebten.
Da schon lange vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 keine Juden mehr in Hatzbach lebten, mussten die Hatzbacher die Diskriminierung, Entrechtung und später die Deportation der Juden nicht vor der eigenen Haustüre miterleben. Bei Aufenthalten in Kirchhain und anderen Orten mit jüdischer Bevölkerung blieb den Hatzbachern freilich die Behandlung der jüdischen Bevölkerung nicht verborgen. Wenn auch die meisten Hatzbacher nicht unmittelbare Zeugen der Deportation der Juden waren, so muss doch festgestellt werden, dass 25 Juden, die in Hatzbach geboren wurden und hier ihre Kindheit und Jugend verbrachten, im Holocaust umkamen.
Einige in Hatzbach geborene Juden bzw. deren Kinder haben sich durch Auswanderung gerettet. So leben heute Wertheims in Israel und den Vereinigten Staaten. Spiers und Nachkommen der Familie Katz-Willersdorf leben ebenfalls in den Vereinigten Staaten. Auch Nachkommen der Theisebachs leben dort. Sie legten irgendwann nach 1948 deutschen Namensteil „Bach“ ab und nennen sich nur noch Theise. Es gibt aber heute auch Theisebachs in der Gegend von Danzig. Ein Teil ihrer Wurzeln liegt in Hatzbach.

Bürgerreporter:in:

Eike Erdel aus Stadtallendorf

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