Mein Gott Navi: Ein Himmelreich für eine aktuelle Landkarte

Ein primitives Druckerzeugnis schlägt das eigentlich überlegene digitale Navi: Endlich besitze ich wieder eine hundsnormale aktuelle Landkarte, Gott sei Dank.
  • Ein primitives Druckerzeugnis schlägt das eigentlich überlegene digitale Navi: Endlich besitze ich wieder eine hundsnormale aktuelle Landkarte, Gott sei Dank.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas

Vorgestern hätte ich noch jede Wette angenommen, niemals mehr auf eine schnöde Landkarte zurückgreifen zu müssen. Gestern hat mich das Navigationssystem (original VW, RNS 300) an Bord meines Passats so gefoppt, dass ich plötzlich in einem Autobahn-Bermudadreieck strandete. Seit heute liegt wieder eine nagelneue Landkarte griffbereit im Fond. Ein ganz herkömmliches Druckerzeugnis. Gott sei Dank, dass es so etwas überhaupt noch gibt.

Was war ich gestern erst guter Dinge: Tochter Nummer zwei wohlbehalten an ihrem Studienort Jena untergebracht. Dann per Stippvisite mit einem abendlichen Abstecher meiner Frau in Leipzig mein Geburtshaus gezeigt. Schließlich ist Leipzig in unserer heutigen mobilen Gesellschaft weder eine Tagesreise noch ein Katzensprung, sondern eher eine abendliche Spazierfahrt vom heimischen Deister entfernt. Wer sich auskennt, hat sicherlich nichts zu befürchten. Doch wer ahnungslos und unkundig umherfährt und sich nur mit einem warnenden Bauchgefühl herumschlagen kann, ist auf Gedeih und Verderb der elektronischen Souffleuse des Navigationssystems ausgeliefert.
In vertrautem Gelände weiß ich mir gegen alle digitale Unbill schon zu helfen, aber im unbekannten Terrain ist Hopfen und Malz verloren. Vor allem, wenn das Navi einen im Dunkeln auch noch im Kreis an der Nase herumführt und gleich ein paar Mal hintereinander zu der selben imaginären Autobahnauffahrt lenkt. Dann ist jede Orientierung zum Teufel.

Schon in Leipzig waren mir erste Bedenken gekommen, weil ich die rettende Autobahnzufahrt eigentlich im Norden wähnte, als ich der virtuellen Dame den Auftrag erteilte, mich zurück an den Deister zu geleiten. Zu meiner Überraschung wählte sie eine Route im Süden des Völkerschlachtgeländes und lenkte mich unbeirrbar durch die Nacht über die A38 bis hinter Merseburg auf ihren vermeintlichen Geheimtipp: ein Neubaustück namens A143. Als dieses plötzlich und ganz unvermutet endete, fand ich mich in viel fremder Gegend wieder. Jeder Fluchtversuch war zwecklos. Wenn ich nach etlichen Kilometern in jegliche Richtung mein Navi wieder einschaltete, führte es mich mit der gleichen wahnwitzigen Zielstrebigkeit zu der fraglichen Zufahrt, die offenbar geplant, aber noch unvollendet ist und erst Ende nächsten Jahres als Querverbindung zur Autobahn via Magdeburg einen Sinne ergeben soll.

So lernte ich völlig Neues. Dass ein Navigationsgerät nach ein paar Jahren überholt und veraltet sein würde, hatte ich längst begriffen. Dass ein Navi seiner Zeit aber um Meilen und Jahre voraus sein könnte, hätte ich mir bis gestern nicht träumen lassen.

Und was machst Du, wenn Dich das Navi verraten hat, keine Landkarte an Bord ist und außer vorbeihuschenden Scheinwerfern keine Menschenseele in Reichweite scheint. Du fährst erst auf Gefühl und vertraust Dich dann der nächsten sich bietenden Autobahn an, wenn sie Dir eine Richtung ankündigt, die Dir nicht abwegig vorkommt. Da ich nirgends irgendeinen Hinweis auf Magdeburg fand, mir aber unverhoffterweise Göttingen ins Auge sprang, überlegte ich nicht lange und schlug einen Weg ein, der mit der ursprünglichen Route nicht mehr viel zu tun hatte und an diesem Abend noch für manche Kalamität sorgte. Mit rund zweistündiger Verspätung, einigen Dutzend Kilometern Umweg im Gepäck und einer Illusion ärmer, erreichte ich dann doch noch vor Mitternacht heimische Gefilde.

Zwischendurch war noch ein Versuch an Straßensperrungen gescheitert, über Bundesstraßen einen kürzeren Weg durch den Harz zu finden. Und als ich dem Navi in dieser neuerlichen Notlage eine zweite Chance gab, führte es mich an anderer Stelle - bei Bleicherode - wiederum an eine unvollendete Autobahnzufahrt. Da endlich fand ich eine beleuchtete Tankstelle und konnte die virtuelle gegen eine lebendige Stimme eintauschen. Das tat richtig gut und führte auf den richtigen Weg. Aus Dankbarkeit habe ich meine nagelneue Landkarte heute auch in einer Tankstelle gekauft und bin wiederum dem Rat einer Frau gefolgt, die ihr Handwerk versteht. Fortan kann mich kein Navi dieser Welt mehr in die Irre führen.

Bürgerreporter:in:

Clemens Wlokas aus Springe

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