Wie lässt sich Glück fangen?

Die kleine Vase ist noch bangig leer.

Auf der Bank im Garten thront eine kleine Vase. Bisher ist sie leider noch leer geblieben. Meine Augen haben noch kein vierblätteriges Kleeblatt entdecken können. Zweiblättrige schon, wie das Zweirädrige. Das Rad war früher ja die Normalität, nicht das Auto wie heute. Auch Dreiblättrige haben die Augen bereits ausmachen können. Dreirädrige mag ich übrigens gar nicht. Ich hätte immer Angst, mit so etwas umzufallen. Meine Hände haben einen Tisch geerbt mit drei Beinen. Wenn sie sich darauf stützen, müssen sie höllisch aufpassen. Am falschen Punkt fällt der Tisch schnell um, und das Gesicht schlägt mit den Händen auf den Boden.

Doch zurück: Das Vierte müssen sich meine Augen stets hinzudenken. Obschon es nicht einmal vollkommener oder schöner aussieht. Wäre es denn wirklich ein Glück, ein Vierblättriges zu finden. Was würde sich ändern, wenn die Augen es gefunden hätten. Aber unser Glücksbegriff ist eben auf diesen Standard gepolt.

Was aber ist ein Glücksbringer? Das Glück bringt doch niemand vorbei. Wer es hat, behält es für sich. Möglicherweise gibt es ja Glücksholer. Ob es mir vergönnt ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht besitze ich es ja schon, ohne es wahrzunehmen. Das Bewusstsein ist noch trüb, meine lange Dienstfahrt rauscht meinen Ohren noch mächtig. Meine Ohren fangen oft ein Klingeln ein, wie von einer Schulglocke. Gut, mein Mund hat Pause und will dennoch reden. Aber nie mehr im Sprechen schweigen. Das will gelernt sein, trotz der Pause. Vielleicht rauscht es deshalb noch so heftig in den Ohren.

Mein Darm ist schon fast kuriert. Mehr als 33 Jahre hat die Dienstfahrt gedauert. Eine mittlere Ewigkeit. Das hat meinen Darm ziemlich geschlaucht. Das ewige Schaukeln, das ewige Beschleunigen ebenso wie das ewige Abbremsen, das ewige Reagieren, das ewige Hetzen und das ewige Gehetztsein, das ewige Getriebenwerden. Kurzum, darunter hat der Darm gelitten. Deswegen hat er jetzt auch für jedes Jahr der Dienstfahrt exakt einen Zentimeter eingebüßt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Bis mein Darm wieder vierblättrige Kleeblätter verdauen kann, wird es noch etwas dauern.

Aber meine Träume sehen sie jede Nacht. Doch sie sind kaum greifbar und wechseln immer ihre Form. Mal ähneln die vierblättrigen Kleeblätter einem Fotoapparat, mal einem beschriebenen Blatt Papier, mal einem Düsenjet, mal einem Surfbrett, mal einer Stadt, mal einem Landstrich, mal Flimmern sie wie ein Fernsehbild ohne Empfang. Was bisweilen auf dem Blatt Papier steht, können meine Träume leider nicht entziffern. Wenn ihnen die Augen die Arbeit abnehmen wollen, ist das Blatt Papier meist schon wieder wie leer gefegt. Und wenn ich aufzuwachen drohe, verwelken die Träume im Nu. Die vier Blättchen fallen vom Stengel, ohne zuvor gelb zu werden. Sie verwelken wie einen Seifenblase zerplatzt. Was meine Träume an Bildern sahen, ergeben daher noch nicht einmal Gedanken, geschweige denn Sätze. Bevor sich meine Hände ans Aufschreiben machen, ist alles gelöscht. Wie um alles in der Welt lässt sich das Glück einfangen?

Auf der Bank im Garten thront eine kleine Vase. Wenn meine Augen schon keine vierblättrigen Kleeblätter entdecken, soll die kleine Vase wenigstens ein paar Tropfen Tau einfangen. Jetzt im Herbst kann das gut gelingen. Damit die Kleeblätter etwas zu trinken haben, falls meine Augen doch noch fündig werden sollten.

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Bürgerreporter:in:

Clemens Wlokas aus Springe

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