Das HOHE VENN, ein Ehrenfriedhof der Römer!?

Paul Siebertz, der Venn-Maler

Damit es nicht verloren geht!

Da, wo keine schriftlichen Dokumente mehr vorhanden sind, müssen mündliche Überlieferungen die fehlenden Puzzles ersetzen. Diese mündlichen Überlieferungen wurden als Geschichten von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei runden Orts- und Flurnamen (in alter Volkssprache), Wegverläufe sowie Reste von alten Gebäuden und Gräber (Kulturdenkmale) das geschichtliche Erscheinungsbild ab. Geschichtliche Interpretationen werden nie ein endgültiges Erscheinungsbild präsentieren können, denn die Interpretationen sind immer subjektiv und erleben durch spätere Neuentdeckungen oftmals eine gewaltige Veränderung. Wenn die vorhandenen Puzzlesteine auch noch kein scharfes Bild ergeben, sollten sie trotzdem archiviert werden, damit spätere Erkenntnisse womöglich leichter einzuordnen sind.

Die neue Serie hat sich zum Ziel gesetzt, einen breiten Kreis von geschichtlich Interessierten anzusprechen, sich zu beteiligen um vergessene Geschichte wieder mit Leben zu erfüllen. Heute geht es um:

Das HOHE VENN, ein Ehrenfriedhof der Römer!?

Die letzten Römer, die in der Nordeifel gekämpft haben, sind – bis auf wenige – im Hohen Venn im Moor versunken. So will es Gregor von Tours erfahren haben. Ihr Weg auf dem Feldzug gegen die Franken ging von Neuss, über Düren, dann durch das große Waldgebiet über Simmerath, Konzen und Mützenich ins Hohe Venn.

Der fränkische Historiker und Geistliche Gregor von Tours nennt Novaesium als Ausgangspunkt eines römischen Feldzuges gegen die Franken im Jahre 388. Wenige Jahre zuvor, 383, hatte Maximus, der Oberbefehlshaber der römischen Truppen in Britannien, die Herrschaft über Gallien und Germanien an sich gerissen und regierte von Trier aus. Da der zwölfjährige Kaiser des Westens, Valentinianus II., in Mailand nicht in der Lage war, gegen den Usurpator vorzugehen, musste er 387 nach Thessaloniki zum oströmischen Kaiser Theodosius fliehen. Im darauf folgenden Jahr besiegten die Truppen des Theodosius den Maximus bei Aquileia. Da durch diesen Bürgerkrieg die römische Herrschaft in den gallischen und germanischen Provinzen geschwächt war, nutzten fränkische Verbände die günstige Gelegenheit, um erneut in linksrheinisches Gebiet einzufallen.

Gregor von Tours berichtet nun in seiner Historia Francorum, unter Berufung auf das verlorene Geschichtswerk des Sulpicius Alexander, dass der römische Feldherr Quintinus den Rhein circa Nivisium castellum überschreitet, um die Franken auf ihrem eigenen Gebiet zu stellen, dabei jedoch seine Truppen selbst fast völlig aufgerieben werden.

"Eo tempore Genobaude, Marcomere et Sunnone ducibus Franci in Germaniam prorupere, ac pluribus mortalium limite inrupto caesis, fertiles maxime pagus depopulati, Agrippinensi etiam Coloniae metum incusserunt. Quod ubi Treverus perlatum est, Nanninus et Quintinus militaris magistri, quibus infantiam filii et defensionem Galliarum Maximus conmiserat, collecto exercitu, apud / Agripinam convenerunt. Sed onusti praeda hostes, provinciarum opima depopulati, Rhenum transierunt, pluribus suorum in Romano relictis solo, ad repetendam depopulationem paratis, cum quibus congressua Romanis adcomodus fuit, multis Francorum apud Carbonariam ferro perimptis. Cumque consultaretur succensu, an in Franciam transire deberit, Nannenus abnuit, quia non inparatus et in locis suis indubiae fortiores futurus sciebat. Quod cum Quintino et reliquis viris militaribus displicuisset, Nanneno Mogontiacum reverso, Quintinus cum exercitu circa Nivisium castellum Rhenum transgressus, secundis a fluvio castris, casas habitatoribus vacuas atque ingentes vicos distitutos offendit. Franci enim simulatu metu se in remotiores saltus reciperant, concidibus per extrema silvarum procuratis. Itaque universis domibus exustis, in quas saevire s[t]oliditas ignava victoriae consummationem reponebat, nocte sollicita militis sub armorum onere duxerant. Ac primo diluculo Quintino proelii duci ingressi saltus, in medium fere diem inplicantes se erroribus viarum, toto pervagati sunt. Tandem cum ingentibus saeptis omnia a solido clausa offendissent, in palustres campus, qui silvis iungebantur, prorumpere molientibus, hostium rare apparuere, qui coniuncti arborum truncis vel concidibus superstantes, velut e fastigiis turrium sagittas turmentorum ritu effudere inlitas herbarum venenis, ut summe cutis neque letalibus inflicta locis vulnera aut dubiae mortis sequerentur. Dehinc maiore multitudine hostium circumfusus exercitus, in aperta camporum, quae libera Franci reliquerant, avide effusus est. Ac primi / equites voraginibus inmersi, permixtis hominum iumentorumque corporibus, ruinam invicem suorum oppraessi sunt. Pedites etiam, quos nulla onera equorum calcaverant, inplicati limo, egre explecantes gressum, rursus se, qui paulo ante vix emcrserant, silvis trepidantes occulebant. Perturbatis ergo ordinibus, caesae legionis. Heraclio Iovinianorum tribuno ac paene omnibus qui militibus praeerant extinctis, paucis effugium totum nox et latibula silvarum praestiterunt." Haec in tertio Historiae libro narravit.

"Zu dieser Zeit brachen die Franken unter ihren Anführern Genobaudes, Marcomeres und Sunno in [die Provinz] Germania ein, sie durchbrachen den Limes, töteten viele Menschen, verwüsteten die fruchtbarsten Gegenden und versetzten auch Colonia Agrippinensis [Köln] in Furcht und Schrecken. Als dies in Treveri [Trier] bekannt wurde, sammelten die Heermeister Nanninus und Quintinus, denen Maximus seinen unmündigen Sohn und die Verteidigung der gallischen Provinzen anvertraut hatte, ihr Heer und zogen nach Agrippina [Köln]. Die beutebeladenen Feinde aber, die den Reichtum der Provinzen geplündert hatten, gingen über den Rhein zurück, ließen jedoch viele der Ihren auf römischem Gebiet zurück, in der Absicht, es erneut zu verwüsten. Mit diesen hatten die Römer ein siegreiches Treffen, in dem viele Franken bei Carbonaria [im Kohlenwald ( 1 )] getötet wurden. Als sie aber nach diesem Erfolg darüber berieten, ob sie nicht in das Frankenland selbst einrücken sollten, lehnte dies Nanninus ab, weil er wusste, dass sie nicht unvorbereitet und in ihrem eigenem Lande zweifellos überlegen sein würden. Da jedoch Quintinus und die übrigen Offiziere anderer Meinung waren, kehrte Nanninus nach Mogontiacum [Mainz] zurück, während Quintinus mit dem Heer bei dem Kastell Nivisium [Neuss] den Rhein überquerte, und als er zwei Tagemärsche vom Fluss entfernt war, stieß er auf Hütten, die von ihren Bewohnern geräumt waren, und auf große, verlassene Siedlungen. Die Franken hatten sich nämlich in vorgetäuschter Furcht in weiter entfernte waldige Höhe (Nordeifel?) zurückgezogen und am Rande der Wälder Sperren [aus gefällten Bäumen] angelegt. So wurden sämtliche Häuser in Schutt und Asche gelegt; feige Dummheit sah in diesem Gewaltakt die Vollendung des Sieges. Dann verbrachten die Soldaten unter Waffen eine unruhige Nacht. Bei Tagesanbruch aber rückten sie unter Führung des Quintinus in die Wälder ein, gerieten bis gegen Mittag auf Irrwege, kamen aber unbehelligt voran. Als sie schließlich auf gewaltige Sperren trafen, von denen alle Durchgänge fest verbaut waren, und in das sumpfige Gelände (Hohes Venn?), das sich an die Wälder anschloss, durchzubrechen suchten, zeigten sich einzelne Feinde, die, auf übereinander gelegten Baumstämmen und Verhauen stehend, wie von hohen Türmen aus Pfeile, Geschützen gleich, verschossen. Diese waren mit pflanzlichen Giften bestrichen, so dass auch oberflächliche Verletzungen, die nicht einmal lebenswichtige Organe betrafen, unweigerlich zum Tod führten. Das Heer, danach von einer größeren Anzahl von Feinden umzingelt, drängte mit Hast ins offene Gelände (Hohes Venn?), das die Franken noch unbesetzt gelassen hatten. Dort sanken die Reiter als erste in die moorige Tiefe, die Leiber von Menschen und Tieren miteinander, und wurden von ihren nachstürzenden Kameraden hinuntergedrückt. Auch die Legionssoldaten, von schweren Pferdeleibern nicht bedrängt, gerieten ins Moor, aus dem sie nur mit Mühe ihre Füße herausziehen konnten, um sich ängstlich wieder im Wald zu verbergen, dem sie doch eben erst kaum entronnen waren. So geriet die Ordnung durcheinander, und die Legionen wurden vernichtet. Heraclius, Tribun der Jovianer, und fast alle Offiziere kamen ums Leben, nur wenigen ermöglichten die Nacht und Verstecke im Wald ein unbehelligtes Entkommen." Die hat er [Sulpicius Alexander] im dritten Buche seines Geschichtswerkes berichtet.[ 2 ]

[ 1 ] Als Kohlenwald (lat. silva carbonaria) wurde eine in nordsüdlicher Richtung verlaufende Waldzone in Belgien bezeichnet, ein Teil der Ardennen, das sich von der Sambre in der Gegend von Thuin nordwestlich bis gegen die Schelde erstreckt. Es war Grenzgebiet zwischen den Provinzen Belgica II und Germania II. In merowingischer Zeit galt es zudem als Grenze der salischen gegen die austrasischen Franken.
[ 2 ] Gregor hat demnach die Passage von der Historia des Sulpicius Alexander, der vermutlich Anfang des 5. Jh. gelebt hat und von dem ansonsten keine weiteren Informationen überliefert sind, im Wortlaut übernommen. Im Folgenden zitiert Gregor noch weitere Passagen aus dem 4. Buch seines Werks.

Text und Übersetzung nach:
Gregor von Tours. Zehn Bücher Geschichte I, auf Grund der Übersetzung von W. Giesebrechts neu bearbeitet von R. Buchner, Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters Bd. 2 (Darmstadt 1959) 82-85 und G. Chr. Hansen in: J. Herrmann (Hrsg.), Griechische und lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis zur Mitte des 1. Jahrtausends u. Z., Bd. 4, Schriften und Quellen der Alten Welt 37, 4 (Berlin 1991) 222-225.

Bürgerreporter:in:

Klaus Wilhelm von Ameln aus Simmerath

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