Erster Erfahrungsbericht von Rainer aus der Stadt der Engel

Von meinem alten Schulfreund Rainer habe ich noch einen Brief vom Sommer 1974 gefunden, aus dem ich gern zitieren möchte:
"Ein paar Worte zum amerikanischen Alltag im Allgemeinen...
Wir haben hier seit zwei Monaten Mallorca-Wetter, was meint, der blaue Himmel lacht mit unserer guten Stimmung um die Wette, nur unwesentlich getrübt durch den unvermeidlichen Smog, der aus Industrie- und Autoabgasen gebildet, oft wie ein gelblich-bräunlicher Nebel über der Stadt liegt. Los Angeles liegt in einem weiten Talkessel, der nur zum Meer hin offen ist.
Und ausschließlich von dort wehen die Winde und drücken den Smog gegen die Berge, der unter diesen Umständen nur langsam abzieht, überwiegend nachts. Zeitweise ist er derart stark, daß die Sicht nur 200 - 300 Meter beträgt, vergleichbar mit dem Morgennebel in der Leineniederung zwischen Letter und Seelze. Augenröte und das brennen derselben sind die unausbleiblichen Folgen. Schlimmstenfalls rinnen die Tränen und spülen den Staub aus den Augenwinkeln. Auch das ist California und hier ganz besonders Los Angeles. Doch dem Himmel sei Dank, nicht jeden Tag. Das wäre ja noch schöner.
Von der Wetterbetrachtung hinüber zu der wohl interessantesten Erfahrung, die ich seit Beginn meines Aufenthalts erfahre: Das Lernen der Amerikanischen Sprache, die sich von der englischen nicht nur durch den Akzent unterscheidet. Der Amerikaner und hier ganz besonders der Californier verstümmelt sozusagen das gute alte Schulenglisch.
Er gebraucht Wort- und Satzverkürzungen, die der guten alten Oma Hansing die spärlichen Haare hätten zu Berge stehen lassen. So betrachtet wirst Du es ohne Überraschung zur Kenntnis nehmen, daß ich in den ersten beiden Monaten meines Hierseins kaum ein Wort verstand. Angesichts der unendlichen Geduld und Hilfsbereitschaft meiner überwiegend amerikanischen Umwelt nicht immer eine erfreuliche Sache.
Missverständnisse waren permanent, wenn auch zumeist humorvoller Natur. Nun, ich machte Fortschritte, mit jedem neu gelernten Wort, mit jeder richtig formulierten Redewendung wuchs meine Sicherheit. Heute macht es mir keine Schwierigkeiten mehr, mich flüssig in Englisch zu unterhalten. Freunde sagen, ich spreche beeits besser als der Durchschnittsamerikaner, doch das ist sicher übertrieben, ich weiß, was mir noch fehlt. Selbstverständlich war und ist das Fernsehen hierzulande eine große Hilfe, etwa 14 Programme zeigen Spielfilme und Shows rund um die Uhr. Allein die Art, wie hier Nachrichtensendungen an den Mann gebracht werden, bedarf für einen "überzeugten" Deutschen einiger Gewöhnung.
Da gibt es keine Köpckes mit der ihnen verordneten Seriösität, alles ist entspannt und lässig mit einer gehörigen Portion Humor. Schlicht ein Spiegelbild der Amerikanischen (kalifornischen) Lebensart.
...Da wir gerade vom Geld reden, hier ein paar Preise, die sicher ganz interessant sind. So kostet ein Liter Benzin umgerechnet etwa 43 Pfennig, 20 Zigaretten 1,25 DM, ein guter Anzug 200 DM,
1/2 Liter Bier im deutschen Restaurant etwa 1,25 DM, Jahressteuer für meinen Käfer 50,- DM usw.. Im Vergleich zu Deutschland also das wahre Preisparadies. Doch die Inflation rennt auch hier, besonders in Lebensmitteln und Dienstleistungen."
Dies soll für heute genügen. Ich will von Rainer erst erfahren, ob ich weitere Zitate bringen darf. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in Kürze ein farbiger Präsident Amerika regieren wird, bin ich mir nicht ganz sicher, ob seine damaligen Äußerungen zu den "Back Americans" in vollem Umfang so stehen bleiben können.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Jenke aus Seelze

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