Die Zeit im Rundfunkchor war meine schönste Zeit

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Vor neun Jahrzehnten erblickte Mathilde Kraemer das Licht der Welt – sie hat ein bewegtes musikalisches Leben hinter sich

Ausgerechnet an diesem großen, runden Geburtstag hab ich verschlafen, erzählte die Jubilarin. Die meisten ihrer Gratulanten meldeten sich, aufgrund der momentanen Situation, telefonisch oder schriftlich, um das Geburtstagskind mit herzlichen Glückwünschen zu bedenken. Auch die Geburtstagspost des Landrates Klaus Metzger, in Form einer Kerze, kam pünktlich und erfreute die Jubilarin.

Der Bürgermeister der Stadt Aichach, Klaus Habermann, ließ es sich nicht nehmen persönlich zum Gratulieren vorbei zu schauen und überreichte Mathilde Kraemer einen Geschenkkorb, auch als kleines Zeichen der Wertschätzung, sind es ja doch schon einige Jahrzehnte die Kraemer in Aichach lebt.

Mathilde Kraemer wurde vor 90 Jahren in Hergatz-Wohmbrechts geboren und durfte in diesem Ort behütet aufwachsen. Hier wurde sie auch eingeschult, wechselte nach 5 Jahren Volksschule an die Mädchenrealschule in Lindau und danach an die Frauenfachschule Marienheim in der Bodenseestadt. Sie hatte noch eine um ein Jahr ältere Schwester.

„Die Kriegszeit, die ich voll erlebte, war nicht schön“, schilderte die Jubilarin und erzählte viele bewegende Geschichten aus dieser Zeit, die sie am liebsten nicht hätte erleben mögen. Ihre Erinnerungen reichten weit zurück, besonders was ihre Eltern und Großeltern anbelangt. Dass genau an ihrem 14. Geburtstag die Franzosen in ihren Ort einmarschiert sind empfand sie als furchtbar. Der Landkreis Lindau war damals der einzige Landkreis in Bayern, der von französischen Soldaten besetzt wurde.

Die junge Mathilde absolvierte ein Praktikum im Sanatorium für lungenkranke Kinder in Scheidegg, wo sie auch dem Kirchenchor beigetreten ist. Als Solistin mit „Mariä Wiegenlied“ von Max Reger überzeugte und begeisterte sie die Anwesenden bei einer Weihnachtsfeier, besonders aber ihre Klavierbegleiterin war angetan. Diese Ärztin erkannte sofort die musikalische Begabung der Praktikantin und konnte sie überzeugen, eine musikalische Ausbildung zu absolvieren. Von da an nahm das Gesangsleben seinen Lauf. In Weiler-Simmerberg, bei Lindau, bekam sie zweimal in der Woche Gesangsunterricht von zwei Lehrern, eine davon Johanna Fritsch, Opernsängerin aus Berlin, die nach Lindau übersiedelt ist. Hier wurde die junge Frau auch unterrichtet.

Mathildes Vater, dem das Talent und die Musikalität seiner jüngeren Tochter gefiel, bat seinen Freund Rudolf Hartmann, der zum Intendant der Staatsoper München ernannt wurde, um einen Vorsingtermin für seine Tochter - und es wurde ihm gewährt. Ihre Gesangslehrerin begleitete sie nach München wo sie als Letzte bei diesem „Vorsingen für Stellungssuchende“ ihr Bestes geben durfte. Der Intendant empfahl die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik in München, und verwies die junge Frau an Robert Heger dem damaligen Präsidenten dieser Einrichtung. Die Umstände waren alles andere als gut. Trotz hohem Fieber bestand sie aber die Aufnahmeprüfung und nahm so das Studium auf. Selbst von Gelbsucht und Rippenfellentzündung ließ sie sich nicht entmutigen. Sie bewarb sich weiterhin um eine Stelle im Aushilfschor des Bayerischen Rundfunks, wo man sie als Einzige von einhundert Bewerberinnen aufgenommen hat. Mit dem Vorsingen der „H-Moll-Messe“ von J.S.Bach, weiterer Kunstlieder und ihre guten Blattsingkenntnisse überzeugte sie auch hier.

„Die Zeit im Rundfunkchor war meine schönste Zeit“ schwärmte die 90-Jährige. 1958 erhielt die junge Künstlerin prompt ein Engagement an der Oper in Pforzheim und zwei Jahre später erfolgte ein Engagement an der Oper Trier. Fünf Jahre verbrachte die junge Sängerin in dieser Stadt, doch das Heimweh wurde gar groß.

1965 verlobte sie sich mit Josef Kraemer, Präfekt am Internat des Kloster Schäftlarn, den sie während ihres Studiums in München kennen und lieben lernte. Die Hochzeit fand ein Jahr später in Hergatz statt und das junge Ehepaar zog nach Aichach, wo die Jubilarin noch heute lebt. Ihr Gatte wurde als hauptamtlicher Kirchenmusiker an der Stadtpfarrkirche Aichach angestellt. Die studierte Sängerin nahm hier als Solistin eine wichtige Rolle ein, war als Sopran im Chor, sowohl bei Gottesdiensten als auch bei Konzerten, eine wertvolle Stütze. In den 90er Jahren beendete sie ihre musikalische Karriere.

Sohn Wolfgang Kraemer, ebenfalls Kirchenmusiker, ging aus dieser Ehe hervor. Mathilde Kraemer freut sich auch über ihre Enkelin Alina. Die 18-jährige und ihre Oma sehen sich einmal in der Woche. Alina fühlt sich wohl und glücklich in der Nähe ihrer Großmutter, „verarztet“ sie schon mal mit Rheumasalbe und sie lachen viel gemeinsam. Alina verrät auch dass ihre Oma noch immer eine "Meisterin" im Kreuzworträtsel lösen ist! „Ich finde es ganz besonders toll, dass sie zuhört, immer ein offenes Ohr für mich hat“, so die junge Frau und lächelt die Oma an.

Bürgerreporter:in:

Claudia Neumüller aus Kulmbach

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