Die Fähre

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Schon beim Näherkommen an den Fähranleger Greffern am Oberrhein West-Süd-West von Baden-Baden kann ich meine Chancen erkennen, die Straße durch die Rheinauen führt geradewegs darauf zu. An den dort wartenden Autos kann ich abschätzen ob ich die erste, zweite oder dritte Fähre erwische.
Anders als bei einer Ampel, bei der es schwer vorherzusagen ist wie viele Fahrzeuge bei einer Grünphase passieren können gibt es hier ein festes Limit. 10 PKw oder Transporter, mehr nicht. Ein Fahrzeug mit Anhänger zählt zwei Plätze, evtl. kommt noch ein Smart oder Mini mit.

„ Mach hinne Du Schnarchhahn!“ entfährt es mir schon mal an einer Kreuzung wenn es dem Fahrer zwei Wagen vor mir völlig schnurz ist ob noch jemand hinter ihm rüber kommt. Daß ein LKW nicht wie ein PKW beschleunigt ist auch klar. Ich werde manchmal mit jeder Ampel stinkiger.

Die Fähre ist wie eine wundersame Wandlung.
10 Autos – Schluß. Egal wie schnell Du Dich bewegst. Und wenn Du Dich so dicht an Deinen Vordermann klemmst daß Du die Ampel am Anleger garnicht mehr wahrnehmen kannst – nützt nix, du must leider draussen bleiben, Rückwärts die nasse Betonrampe hoch mit dem Spott im Nacken.
Das erzieht. Auch zur Solidarität.
Niemand kommt auf den Gedanken zu seinem Vordermann auf dem Deck zwei Meter Abstand zu lassen „Hauptsache ICH bin drauf“. Oft schaffen es die Fährleute kaum sich zwischen den Fahrzeugen durchzuquetschen.

Ich weiß, es wird eng als ich auf den Anleger zufahre. Zweite Fähre schätze ich schnell.
Ich stelle mich an, stelle den Motor ab und hole die Zeitung aus der Tasche. Aus zwei Autos steigen die Fahrer, Franzosen. Stehen am Rand und unterhalten sich, ganz die Ruhe. Undenkbar an einer Ampel, wo Du sozusagen sprungbereit auf „Gelb“ wartest – und auf Deinen Vordermann fluchst. „Schnarchhahn!“. Gelb – Rot. „Sch....e!“

Die Fähre fährt alle 15 Minuten oder wenn sie voll ist. Die 15 Minuten kommen kaum einmal zusammen; es geht viel Berufsverkehr von Greffern nach Drusenheim und umgekehrt.
Erster oder sechster, das bedeutet sozusagen Logenplatz ganz vorn. Ich habe kurz gezählt wieviele vor mir sind. Die Fähre kommt, die Rampe knallt auf den Beton, das Zeichen sich langsam zu seinem Auto zu bequemen. Die Entgegenkommenden fahren vorbei, nun kannst Du in aller Ruhe Deinen Motor anlassen. Nur keine Hektik. Die Fähre fährt bei Zehn. Die Ampel wird grün, und nun kannst du den erfahrenen Fährbenutzer vom Nullité unterscheiden. Der Erfahrene zählt mit und zieht rechtzeitig nach links – er hat die Sechs.
Ich rolle langsam vor. Gas geben nützt nix. Die Ampel wird vor mir Rot, ob langsam oder schnell.
Erziehung zur Gelassenheit, Motor aus.

Ich freue mich drüber.

Ich schaue der Fähre nach, beobachte die Schwäne und Enten am anderen Ufer. Neben mir ein Sprachgemisch zwischen Elsässisch und Französisch. Vor mir die Schranke, die Rampe, der Rhein. Auf der anderen Seite fahren die Autos auf die Fähre.
Rheinkähne aller Größen ziehen unbeladen schnell vorbei oder schieben, tief im Wasser liegend eine mächtige Bugwelle vor sich her; Drusus, die Fähre tänzelt geradezu hinter ihnen vorbei. Französische Leichtigkeit und Verspieltheit.
Die Rampe knallt auf den Beton, die Schranke hebt sich, die Autos fahren an Dir vorbei. Die Ampel wird Grün; Du läßt den letzten Entgegenkommer ruhig vorbei und rollst auf das Deck bis die Schranke dort fast deine Frontscheibe berührt. Die Fähre legt ab kaum das das letzte Rad an Deck ist. Und Du schaust vor Dir auf das Wasser, das gegenüberliegende Ufer, die Schwäne erwarten Dich. Die Rampe knallt auf den Beton, Du läßt den Motor an, die Schranke hebt sich, Du winkst dem Fährmann kurz zu und fährst los. Du freust dich auf Morgen, auf diesen breiten Trennungsstrich zwischen Arbeit und Leben und fürchtest den Tag wenn die Fähre nicht fahren kann wegen Wasserstand oder Eisgang denn die Brücken bedeuten nicht nur ein Umweg sondern dort sind auch Ampeln.
„Sch....e!“

Bürgerreporter:in:

Edgard Fuß aus Tessin

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