Abschluss der Deutschlandreise - Teil V: Von Passau bis Salzburg (A)

Passau, die Dreiflüssestadt, wo sich Donau, Ilz und Inn finden, hat mich überrascht. Meine Vorurteile musste ich zum Teil revidieren. Ich stellte mir die hier in der niederbayerischen Stadt lebenden Menschen vor als katholisch, konservativ und zum Teil verbohrt. Gut, die meisten Passauer sind tatsächlich katholisch, das stimmt. Aber das war's eigentlich schon. 40.000 Katholiken und 5.000 Protestanten ungefähr. Der Stephansdom symbolisiert die Verbreitung des katholischen Glaubens.
Übrigens ist Passau recht überschaubar. Ein Ort mit seiner Einwohnerzahl von etwas mehr als 50.000 Menschen würde im Ruhrgebiet gar nicht auffallen. Aber das geschichtsträchtige Passau liegt schließlich nicht in einem Ballungsraum. Seine Geschichte reicht bis hinein in die Römerzeit, ließen wir uns erzählen, als es auch schon Grenzstadt war. Die Bajuwaren nahmen Passau zu Beginn des Mittelalters im 6.Jahrhundert in Besitz. Die Passauer beanspruchen das Nibelungenlied gern für sich. Aber ob es wirklich dort entstand, ich weiß nicht. Die Passauer, die erstaunlich modern daherkommen trotz ihres - sorry - fürchterlichen Dialekts - ach, wieder die Vorurteile der arroganten Preußen -, wissen dennoch um ihre zeitweise martialische Vergangenheit, die allerdings damals typisch für das christlich dominierte Europa war, das oftmals nichts ausließ, um den Namen Jesus Christus posthum zu beflecken. So hörten wir die Geschichte des Christen Christoph Eysengreißheimer, der sich im Jahr 1477 der Anklage ausgesetzt sah, er hätte den "jüdischen Feinden des Heilands" - der Antisemitismus hat eine lange Tradition - acht gestohlene Hostien verkauft. Und diese Juden hätten die Hostien, die ja schließlich den Leib Christi darstellten, dann geschändet. Eysengreißheimer wurde nach der Überlieferung gefoltert, bis er gestand. Daraufhin wurde er enthauptet, womit er noch relativ glimpflich davon. Wäre er nämlich nicht getauft gewesen, hätte man ihn mit glühenden Zangen zerfleischt und anschließend verbrannt.

In einem bayerischen Gasthof aßen wir zu Abend und wurden dort zufälligerweise Zeuge einer politischen Podiumsdiskussion. Wahlen standen ins Haus. Mein Freund Kai-Uwe und ich konnten uns überzeugen von moderner, fortschrittlicher und zielführender bayerischer Politik, auf die ganz Deutschland inzwischen oftmals neidisch guckt, weil sie erfolgreich ist. In Passau ringen SPD und CSU um die Mehrheit, auch die Grünen sprechen ein gewichtiges Wort mit. Die Zeiten, als man dachte, in Bayern gäbe es praktisch nur die CSU, sind längst Vergangenheit. Passau ist übrigens auch Universitätsstadt mit 13.000 Studenten.

Braunau (A), Altötting, München, Augsburg

Aber jetzt genug über Passau. Kai-Uwe und ich haben mal wieder unser startbereites kleines Flugzeug erreicht, das uns jetzt gewohnt sicher auf der letzten Etappe unserer Deutschlandreise begleiten soll. Begleiten ist gut. Ein letztes Mal hebt unsere Maschine ab, Kai-Uwe schlägt mir freundschaftlich auf die Schulter, ich quittiere es mit einem Nicken und Lächeln. Nach Süden folgen wir dem Inn, der hier die deutsch-österreichische Grenze markiert. Auf beiden Seiten landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Vereinzelt wird auf den Feldern geerntet. Dann erreichen wir schleichend das etwas welligere und zum Teil bewaldete Alpenvorland. Und dann sehen wir auf Österreicher Seite den Ort, aus dem so viel Unheil kam: Braunau am Inn, der Geburtsort Adolf Hitlers. Nun, der Ort kann nichts dafür. Wir lassen Braunau links liegen und folgen dem nach rechts abbiegenden Inn. Noch weiter nach rechts? Geht doch gar nicht. Es ist aber der Geographie geschuldet.

Schon bald kommt der Wallfahrtsort Altötting in Sicht, wenige Kilometer vom Inn entfernt, Heimat der Schwarzen Madonna, deren dunkle Färbung neben natürlicher Veränderung auf den Kerzenruß zurückzuführen ist. Eine Millionen Pilger machen sich jährlich auf den Weg nach Altötting, wo der Legende nach ein ertrunkenes Kind in der Gnadenkapelle von Maria, der Mutter Gottes, wieder zum Leben erweckt wurde.

Wir verlassen den Inn und steuern westwärts auf München zu, der drittgrößten Stadt Deutschlands, Hauptstadt Bayerns und Touristenmagnet, durchzogen von der Isar. Wir gönnen uns einen Blick von oben auf das Zentrum der Metropole mit der Frauenkirche, machen Abstecher zur Allianz-Arena des FC Bayern München und zum Olympiapark, bevor wir München hinter uns lassen Richtung Augsburg. Ich mache Kai-Uwe an der Peripherie Münchens auf Dachau aufmerksam, das zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat durch sein Konzentrationslager während der Nazizeit. Ich denke an Siegfried Schmulowitz, einen Juden aus meiner von Duisburg 1975 eingemeindeten Heimatstadt Walsum, für den Dachau die Endstation seines Lebens war.

Und nun Augsburg, die Fuggerstadt am Lech. Die Fugger galten im 15.Jahrhundert als reichste Kaufmannsfamilie weit und breit, sie stieg schnell auf in den Hochadel und nahm manche Schlüsselstellungen in Wirtschaft und Politik ein. Durch Unterstützung des Hauses Habsburg nahmen die Fugger erheblichen Einfluss auf die europäische Politik. Ursprünglich schrieben die Fugger ihren Namen Fucker. Wer würde heute gerne Fucker heißen?! Schlimmer als Johnny Cashs "Boy named Sue". Mein Gott, was habe ich wieder für Assoziationen? Ich muss selbst lachen, woraufhin Kai-Uwe mich nur verwirrt und fragend anschaut.

Notlandung Friedrichshafen

Kai-Uwe dreht ab nach Südwest und nimmt Kurs auf den Bodensee, wobei wir das Allgäu zur Linken streifen. Wir erlauben uns einen Rundkurs über den von Obstwiesen gesäumten größten See Deutschlands, der ja eigentlich nichts anderes ist als eine immense Verbreiterung des Rheins. Friedrichshafen, die Mainau, Konstanz, Bregenz (Österreich) und Lindau sind unsere Orientierungspunkte. Aber bereits, als wir das Schweizer Südufer des Sees überfliegen, verfinstert sich Kai-Uwes Miene. Ein Propeller läuft nicht rund, höre ich ihn sagen. Er entschließt sich, in Friedrichshafen zu landen, so dass wir von Bregenz und Lindau nur flüchtige Eindrücke aus der Ferne bekommen. Was heißt wir? Kai-Uwe ist nur auf seine Maschine und die Landung in der Zeppelinstadt Friedrichshafen fokussiert und ist in regem Funkaustausch mit dem dortigen Flughafen.

Puh! Wieder normal atmen. Sicher gelandet. Mechaniker kümmern sich um die Maschine, in intensivem Gespräch mit dem besorgten Kai-Uwe vertieft. Ich halte Abstand. Dann kommt er freudestrahlend auf mich zu. Nur eine Kleinigkeit, ist behoben, wir können weiter, sagt er sichtlich erleichtert. Oder traust du dich jetzt nicht, schiebt er grinsend nach. Was Kai-Uwe von mir hält? Ich bin doch kein Angsthase. Vor meinem geistigen Auge taucht Dürers Feldhase auf.

Die Alpenregion

Wir sind wieder in der Luft, um ein letztes Mal Deutschland zu queren entlang der deutschen Alpenregion. Kai-Uwe bereitet mich auf einen Achterbahnflug vor, rauf über die Berge, runter in die Täler. Hinter Lindau, das wir nun doch ein bisschen mehr in Augenschein nehmen können, bringt uns das Flugzeug über den Bregenzer Wald (Österreich), bevor wir wieder über deutschem Boden sind und in das Allgäuer Tal der Iller hinabfliegen und es bis Oberstdorf begleiten, der ersten Station der alljährlichen Vierschanzentournee. Unsere Maschine wird wieder nach oben gerissen, um die Allgäuer Alpen und das Ammergebirge zu überqueren, zwischen denen der Lech das gleißende Sonnenlicht widerspiegelt. Faszinierend, diese Bergwelt. Und dann taucht sie auf, majestätisch und schneebedeckt, die Zugspitze mit ihren 2962m, der höchste Berg Deutschlands. An ihrem Fuß kauert Garmisch-Partenkirchen, die zweite Station der Vierschanzentournee. Wir erkennen die Zahnradbahn, wie sie sich den Berg hinaufquält. Kai-Uwe zieht die Maschine hoch bis auf Gipfelhöhe, von wo wir nicht nur einen Blick auf das Schneefernerhaus haben, sondern nach Süden hin auch einen überwältigen Blick auf die österreicherischen Alpen. Ich weiß, von hier aus ist es nur ein Katzensprung über das Karwendelgebirge hinweg ins österreichische Innsbruck. Ach, die arme Katze!

Nun fliegen wir einen sehr, sehr sanften Bogen nach Osten durch die Bayerischen Alpen, überfliegen den Walchensee mit seinem gewaltigen Wasserkraftwerk, den Tegernsee und erreichen bald, nachdem wir südlich von Rosenheim den Inn überquert haben, die Chiemgauer Alpen. Aber noch bevor jenseits der Grenze Salzburg in unseren Blick gerät, dreht Kai-Uwe nach Süden ab und steuert auf Berchtesgaden zu, die äußerste Südostecke unseres Landes. Kaum haben wir diesen Alpenort überflogen, taucht auch schon der Königssee auf am Fuße des Watzmanns, der dunkel erscheint, da die Sonne hinter ihm steht. Apropos dunkel, da ist ja auch noch der Berchtesgadener Ortsteil Obersalzberg, wo sich Adolf Hitler häufig aufhielt, sein beliebtestes Feriendomizil. Aber da sind wir wieder an einem Punkt deutscher Geschichte, der unsere Deutschlandreise nicht trüben soll. Kai-Uwe dreht wieder ab nach Norden und peilt Salzburg jenseits der Grenze an, wo wir auch schon bald sicher landen.

Wir klatschen uns wie gewohnt ab und liegen uns in den Armen. Für den Abend haben wir ein Mozart-Konzert gebucht und freuen uns schon jetzt darauf, zumal es einen stimmigen Abschluss bildet:
Eine kleine Nachtmusik

Nachtrag:

Als wir vor Tagen unsere Deutschlandreise antraten, schrieb ich:
"Deutschland, im Herzen Europas, immer wieder eine Reise wert. Lassen Sie sich also mitnehmen auf einem Streifzug durch unser Heimatland, und zwar aus der Vogelperspektive."
Auch wenn Deutschland viel mehr ist als das, was unsere Flugreise kreuz und quer hergab, so hoffe ich doch, dass die Leser überzeugt werden konnten, wenn sie's nicht zuvor schon waren, dass Deutschland immer wieder eine Reise wert ist.
Darüber hinaus möchte ich mich bei Ihnen, meinen Lesern, bedanken, dass Sie mich auf Kai-Uwes und meiner Reise begleitet haben.

Bürgerreporter:in:

Helmut Feldhaus aus Rheinberg

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