Wenn süße Laster Wohlstand bringen – 150 Jahre Zucker aus Clauen

Hist. Darstellung der Zuckerrübe
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Schon vor 8000 Jahren baute man Zuckerrohr im indisch-asiatischen Raum an, um daraus Süßstoff zu gewinnen. Nur langsam verbreitete sich diese Kulturpflanze weltweit; noch um 1500 sprach man in Bezug auf Zucker vom „weißen Gold“, so kostbar wurde das Produkt bewertet! Auch Honig wurde seit vielen Jahrtausenden zum Süßen von Speisen und Getränken verwendet; der legendäre „Met“ der alten Germanen wird schon in der Edda-Sage beschrieben und soll ihn bekanntlich enthalten haben.
Der Berliner Chemiker Andreas Sigismund Marggraf erbrachte 1747 den Beweis, dass auch im Rübensaft Zucker enthalten ist. Die Fabrikationsverfahren, die sein Schüler Franz Karl Achard um 1800 entwickelte, führten 1825 zur Entstehung der Rübenzucker-Industrie, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Weltmaßstab ebenso viel Zucker erzeugte wie die traditionelle Rohrzuckerindustrie. Marggrafs Schüler steigerte durch Auslese den Zuckergehalt in der Runkelrübe und baute in Kunert in Schlesien im Jahr 1802 die erste Rüben-Zuckerfabrik der Welt. Als dann der Zuckergehalt der Rübe von 1,5 % auf 5 % gesteigert werden konnte, betrachtete man diese Züchtung als neue Pflanze und nannte sie schlicht Zuckerrübe. Ganze Landstriche stellten sich alsbald auf den Anbau von Rüben ein, so auch die Hildesheimer Börde, deren Bauern alsbald zu bescheidenen Wohlstand gelangten und sich teilweise um 1900 recht prächtige Höfe erbauten, die Neider alsbald mit dem Spottnamen „Rübenburgen“ belegten. Die Rüben-Monokulturen, die viel Dünger benötigten, beförderten ihrerseits aber auch die Entwicklung der Düngemittelindustrie.

Fabriken für den Zucker

In der Region entstanden die ersten Zuckerfabriken schon um 1865. Im Jahr 1864 wurde die genossenschaftliche Zuckerfabrik Groß Lafferde gegründet. Und schon 1866 begann auch die Gründung der „Actien-Zucker-Fabrik Peine“ in der Stadt; kurz darauf folgte vor nunmehr 150 Jahren 1869 auch Clauen als AG, gegründet durch Bauern der Region, die sich damit quasi selbst verpflichteten ihre Ernte künftig an „ihre“ Zuckerfabrik zu liefern. Zurück geht die Gründung des Werkes Clauen auf die beiden aus dem Baltikum stammenden Brüder Leopold und Peter Behrens. Ihnen gelang es, die Landwirte rund um Clauen für das Projekt zu gewinnen.
1896 erhielt die Zuckerfabrik Clauen ein Anschlussgleis an die Hildesheim-Peiner-Kreis-Eisenbahn. Der Versuch, eigenen Weißzucker, sogenannten Kornzucker herzustellen, scheiterte allerdings: Clauen konnte hierbei im Wettbewerb mit der Aktien-Zuckerraffinerie in Hildesheim nicht bestehen und stellte ab 1890 wieder ausschließlich Rohzucker her. Vor rund 100 Jahren wurden im Herbst 1918 dann Verträge zwischen der Hildesheim-Peiner Kreis-Eisenbahn-Gesellschaft und der Elektricitäts-Genossenschaft Clauen über den Anschluss des Bahnhofs Clauen Dorf bzw. das Ortsnetz Clauen für eine Gebühr von je 100 Mark geschlossen.
Equord wurde erst 1877 Standort einer Zuckerfabrik; diese ist jedoch vor genau 50 Jahren 1965 bereits aufgelassen worden. 1963 stellte auch die Fabrik Hohenhameln ihren Betrieb ein. 1873 nahm die Ahstedt-Schellerter-Zuckerfabrik AG ihren Betrieb auf. Sie produziert bis 1964 selbständig Zucker aus den Rüben der Region. Dann fusioniert sie mit der Zuckerfabrik in Rethen. 1967 stellt auch die Ahstedt-Schellerter-Zuckerfabrik ihren Betrieb ein. Rund 600 Zuckerfabriken existierten noch vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland nebeneinander; nur ein halbes Jahrhundert später setzte jedoch, wie erkennbar, das „Standort-Sterben“ ein.
Die Clauener Fabrik aber hat selbst den einstigen Zucker-“Giganten“ Lehrte „überlebt“ und besitzt nunmehr schon seit Jahren eine Art Monopolstellung, nur die Nordzucker AG - Standorte Uelzen, Nordstemmen und Schladen bieten noch Ausweichmöglichkeiten für die Anbauer.
Der Boden der Hildesheimer Börde ist für den Rübenanbau gut geeignet und steht dem Boden der Magdeburger Börde kaum nach. Der Rübenanbau änderte die Wirtschaftsart der bäuerlichen Betriebe. Das bedeutete auch mehr Arbeit. Sie lieferte aber für das an Weiden eher arme Gebiet mit ihren Neben- und Abfallprodukten (Schnitzel, Blättern und Melasse) die Grundlage für eine gesteigerte Viehhaltung. Durch die intensive Bearbeitung des Bodens und den stärkeren Anfall an Stall-Dung erhöhte die Rübe somit wiederum die Fruchtbarkeit des Bodens.
Mit den Leuten seines Hofes konnte der Bauer oftmals die durch den Rübenanbau anfallenden Arbeiten kaum bewältigen. Er vergab das „Rübenhacken“ an betriebsfremde Personen; eine sehr mühselige Beschäftigung, die viel Kraft und Ausdauer erforderte. Besonders schwer und langwierig was das sogenannte Verziehen der Rüben. Nicht nur die Frucht selbst gedieh auf den guten Böden, auch das Unkraut wuchs stets kräftig mit. Die Beseitigung war zeitraubend und oft Aufgabe der Frauen. In den vergangenen 2 Jahrzehnten sind es jedoch vermehrt Wanderarbeiter aus Ost-Europa die sich dieser lästigen „Nebenwirkung“ annehmen. In früherer Zeit war aber besonders das Rübenroden Schwerstarbeit. Jede einzelne Rübe musste mit einer Rode-Gabel aus dem schweren Boden gehoben werden, bei der langen Pfahlwurzel der Zuckerrübe eine harte und anstrengende Sache. Viele Hände waren hierzu nötig.

Hilfe durch neue „Hardware“ aus Harber

Neben der Wissenschaft hat sich auch die Technik der Bearbeitung der Zucker-Rüben angenommen. Ausgerechnet im kleinen Ort Harber bei Hohenhameln entwickelte ein leider eher glückloser Erfinder die ersten automatischen Erntemaschinen für Rüben. Otto Wilke hatte die Idee eine Maschine zum Ernten der Zuckerrüben zu bauen, die die schwere Hand-Rodung überflüssig macht. Dabei sollten die Rübenblätter exakt abgetrennt, die Zuckerrüben gerodet und beides getrennt auf dem Acker abgelegt werden. In Zusammenarbeit mit Elektromeister Heinrich Meisoll und Schlossermeister Friedrich Bote baute Wilke 1927 die ersten Prototypen eines Vollrübenroders. Ein mit Zinken bestücktes Rad, der sogen. Igeltaster sorgte bei diesen Konstruktionen für das Ertasten der Rübenkopfhöhe und für ein exaktes Abtrennen des Blattes. Eine, 1928 patentierte, Rübenhebevorrichtung zog die Rüben aus dem Boden, um sie anschließend in einer Reihe zu legen. Für den Antrieb der Siebketten und Fördereinrichtungen wurde die Drehbewegung der gezackten Räder verwendet. Wollte der Rüben-Bauer fortan seine Arbeit wirtschaftlich bewältigen, so musste er sich letztlich moderne Maschinen anschaffen. Kriegswirren und andere unglückliche Umstände verhinderten, dass Wilke seine Erfindung erfolgreich vermarkten konnte.

Rüben auf Rädern

Heute befördert der Landwirt seine Rüben mit dem Trecker oder dem Lastwagen in die Zuckerfabriken, oft über weite Entfernungen. Somit wurde aber auch die große Anzahl der Zucker-Fabriken in unserer Region überflüssig, da man auch weite Wege bewältigen kann. Die Zentralisierung der Standorte bedingt jedoch eine Zunahme des Transport-Verkehrs - Nicht immer aber gefällt das den Anwohnern der Börde-Orte, wenn während der sogenannten Kampagne die schweren Laster mit der süßen Fracht rund um die Uhr durch die Straßen poltern!
Dank der Industrialisierung ist der Zucker trotz seines schlechten Rufes als Karies-Förderer seit langem schon erschwinglich und fester Bestandteil unserer modernen Ernährungskultur geworden.

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