1967 – Peinlicher Presse-Zoff nach dem Wunder von Lengede Vor 50 Jahren klagte „Stern“ vergeblich gegen „Bild“ wegen Exklusiv-Rechten

Die Rettung

„Freud und Leid liegen oft dicht bei einander!“ Diese Binsenweisheit gilt in besonders schmerzlicher Weise auch für das schwere Grubenunglück von Lengede im Jahre 1963. Über Generationen hinweg ist es uns in Erinnerung geblieben, gehört noch heutzutage zum Lehrstoff an vielen Peiner Schulen, etliche Berichte wurden darüber geschrieben und sogar eine hochkarätig besetzte Kino-Verfilmung entstand vor wenigen Jahren!

In der Tat waren die Ereignisse an Dramatik kaum zu überbieten. Zu diesem Unglück war es dadurch gekommen, dass das Wasser eines Klärteichs, dessen Sohle gebrochen war, das Lengeder Bergwerk überflutete; zwei Wochen nach dem Unglück wurden noch elf Bergleute gerettet, die in einen Hohlraum hatten flüchten können, der in einem sogenannten "Alten Mann" oberhalb herabgebrochenen Gesteins entstanden war, und die dort von den hereinflutenden Wassermassen nicht hatten erreicht werden können. Dabei hatte keine Hoffnung mehr auf Überlebende bestanden und es wurde schon mit dem Abzug der zahlreichen Rettungskräfte begonnen. Dann jedoch folgte eine letzte Bohrung die zu dem führte was unter dem „Wunder von Lengede“ in die Geschichte der Grubenunglücke einging. Klopfzeichen am Bohrgestänge ließen die ungläubigen Retter erstarren und machten klar: „Da sind noch Überlebende!“ Deren Bergung mittels einer modernen Rettungskapsel, der sogenannten „Dahlbuschbombe“, geriet zu einem weltweiten Medienspektakel! Selbst der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard verzichtete auf seine obligatorische Zigarre und sprach höchstpersönlich mit den noch eingeschlossenen Bergleuten am Bohrloch. Letztlich wurden die Geretteten wie Helden gefeiert; zu groß waren Freude und Anteilnahme in aller Welt!

Vermarktung eines Martyrium

Letztlich war es aber wohl genau dieser „Rummel am Bohrloch“, der den Verlag der bekannten deutschen Wochenschrift „Stern“ zu einem besonders aussichtsreichen Exklusiv-Vertrag mit den Geretteten bewegte.
Mit diesen elf Bergleuten schloss man schon am 7./9. November 1963 eine Vereinbarung, in der sie sich gegen eine Vergütung von 250.000,- DM (damals eine sehr hohe Summe), die Weltrechte an den Erlebnisberichten der elf in jener Höhle Eingeschlossenen vom Augenblick der Katastrophe bis zur Rettung übertragen ließ; die Bergleute verpflichteten sich, diese Erlebnisberichte weder im Inland noch im Ausland anderen Publikationsorganen zugänglich zu machen. In der Folge wurden die dramatischen Erlebnisse zwar sehr erfolgreich im Stern publiziert, aber auch die Bild-Zeitung berichtete über die Phase im alten Mann und genau das wurde Gegenstand eines mehrjährigen, zähen und peinlichen Rechtstreits über alle Instanzen!

Peinlicher Poker der deutschen Mediengiganten

Die beklagte Bild-Zeitung hatte sich nämlich ihrerseits bei den elf Bergleuten um Veröffentlichungsrechte bemüht; sie hatte Bilder in Händen, die mit einer von ihr zur Verfügung gestellten und über eine Versorgungsbohrung in die Höhe niedergebrachten Kamera aufgenommen worden waren. Vergeblich versuchten die Bild-Leute, sich mit dem Stern über einen Bild- und Nachrichtenaustausch zu verständigem. Darauf brachte die Beklagte in der "Bild-Zeitung" in der Zeit vom 15. bis zum 19. November 1963 einen Bericht über das Unglück in vier Folgen unter der Überschrift "Unsere Höhle war die Hölle" und mit dem Untertitel "Die Männer von Lengede berichten"; Verfasser des Berichts waren 3 Bild-Reporter; in den Texten waren zahlreiche, als wörtliche Zitate gekennzeichnete Äußerungen der Bergleute über ihre Erlebnisse in der Höhle eingestreut, was wiederum der Stern-Leuten äußerst missfiel und die letztlich vergebliche Forderung nach Schadensersatz (100 000 DM) initiierte. Erfolgreich wehrte sich Bild auch in letzter Instanz vorm Bundesgerichtshof (Urteil vom 27.10.1967), denn die Richter folgten der Argumentation der Beklagten, dass die in der Bild zitierten Sachverhalte quasi schon live und somit öffentlich am Bohrloch von den betroffenen Bergleuten geäußert worden waren!

Der vom Stern angepeilte „Schadensersatz infolge Entwertung eines Exklusivrechts und vorgetäuschter Exklusivinterviews“ wurde vom Bundesgerichtshof abgeschmettert und die Klägerin musste ferner zähneknirschend auch noch die Verfahrenskosten tragen.
Angesichts der Toten und auch der traumatisierten Geretteten, des Lengeder Grubenunglücks bleibt bei der Angelegenheit ein fader Beigeschmack zurück, denn beide Verlage haben sich damals nicht gerade mit „Ruhm bekleckert“, und sie haben durch den Streit um Exklusiv-Berichte über eine große Tragödie sicherlich ihr heutiges Image selbst ein Stück weit mitgestaltet. Letztlich bleibt die traurige Gewissheit, dass schon vor einem halben Jahrhundert bisweilen rein kommerzielle Überlegungen die Sensationspresse steuerten, was sich leider vielfach wiederholt hat.

Bürgerreporter:in:

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