Am Rössinger Schlossteich

Mein Lieblingsplatz
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Vor einiger Tagen hatte ich Kontakt mit Herrn B. in Rössing aufgenommen, ihm mitgeteilt, dass ich von 1945 bis 48 als Kind zusammen mit meinen Eltern in seinem Haus gewohnt habe und ihm gesagt, wie gern ich noch einmal seinen Hof, meinen einstigen Spielplatz wiedersehen würde. Er zeigte Verständnis für mein Anliegen.
Das Besondere an diesem Grundstück war und ist seine Lage am Rössingbach, Beeke genannt, und seine Nähe zum Schlossteich.

Sollte man als alter Mann Orte seiner Kindheit noch einmal aufsuchen?

Ich meine ja; selbst auf die Gefahr hin, dass sich die inzwischen veränderten Perspektiven, die zu erwartenden Veränderungen sowohl des Ortes wie des Gedächtnisses, Voraussetzungen für Enttäuschungen bieten könnten. Schlimmer noch, dass die Erinnerungen durch ein Update überschrieben werden, Authentisches dabei also verloren gehen könnte.
Ich bin das Wagnis eingegangen, habe den Versuch unternommen und einen Ort meiner Kindheit aufgesucht und mich der Nostalgie hingegeben.
Am Rössinger Schlossteich bin nicht enttäuscht worden, sondern erlebte ein zwei Stunden lang Glückseligkeit. Zugegeben, emotionsgeladen, mit feuchtem Auge, also sollte ich statt von Glückseligkeit besser von Rührseligkeit sprechen.
Ob, oder wie weit das meine Gedächtnisinhalte veränderte vermag ich nicht zu sagen.
Als ich den Hof betrat, erfreute mich der Anblick von zwei Knaben, die spielerisch an der Wasserpumpe den alten Steintrog zum Überlaufen brachten und dem Rinnsal des abfließenden Wassers ihre Aufmerksamkeit widmeten. Ich sah mich an Stelle des Kleinsten, wie in einer filmischen Rückblende. Nur Unwesentliches hatte sich in den mehr als sechs Jahrzehnten verändert. Viele Details erkannte ich sofort wieder und alles war mit angenehmen Erinnerungen verbunden.
Unterm Schauer, heute mit einer bequemen Sitzbank, wird noch immer Holz gelagert. Das Dach schützt Gartengeräte und ähnliche Utensilien wie ehedem. Daneben führt der Steg über die Beeke, fast so, wie ich mich an ihn erinnere.
Von ihm gelangt man auf einen nur wenige Meter breiten Geländestreifen, den wir damals Damm nannten. Er trennt den Bachlauf vom Schlossteich, war Auslauf für die Gänse des damaligen Hofbesitzers, des Bäckermeisters D., und wenn diese großen Vögel es zuließen auch Tummelplatz für uns Kinder.
"Die Gänse sind ja auch noch da", staunte ich und machte mich innerlich schon bereit ihnen gegenüber meine Anwesenheit zu behaupten. Belehrt, dass es sich um Wildgänse handeln würde, wollte ich mich langsam an sie heranpirschen, sie fotografieren. Das misslang. Ohne Gezeter machten sie den Platz frei, begaben sich auf den Teich und schwammen davon. Die Hausgänse von damals waren nicht so zahm, sie hätten mich mit vorgestrecktem Hals attackiert.
Eine Stelle am Teichufer hatte es mir besonders angetan. Dort lag ich manchmal lang ausgestreckt auf dem Bauch, den Oberkörper weit über die Uferkante geschoben, so dass ich alles was sich am schlammigen Boden des Teichs abspielte dicht vor Augen hatte. Hier gab es für mich immer etwas zu entdecken und zu beobachten. Das Wasser war an dieser Stelle nicht tief, vielleicht vom Wasserspiegel bis zum Grund nur dreißig oder vierzig Zentimeter. Wenn die Sonne kräftig wärmte, setzte ich mich wohl auch mal hin, um die nackten Beine im Wasser zu kühlen. Hinstellen konnte man sich nicht, denn es gab keinen festen Grund. Die Schlammschicht, Mudde genannt, ließ die Füße tief einsinken. Sie war schwarz und übelriechende Gasblasen stiegen daraus hervor, sobald man sie berührte. Wir Dorfkinder schreckten vor normalem Dreck und Schmutz nicht so leicht zurück, aber mit Mudde mochte niemand gern in Berührung kommen. Bäuchlings im Gras liegend, mit dem Gesicht dicht über dem Wasser, konnte ich durch es hindurch auf diese Schlammschicht schauen, sah geduldig zu, was sich dort abspielte. An den meisten Uferstellen gelang das nicht, weil dort ein dichtes Paket von Fadenalgen wuchs oder weil die Kante des Ufers zu hoch und damit der Abstand bis zum Wasser zu groß war.
Dort konnte ich bestenfalls auf das Algenpaket sehen, auf dessen grüner Oberfläche Insekten und anderes Kleingetier herumkrabbelten. Junge Augen sind oft kurzsichtig, deshalb ließ sich manches Detail ohne Lupe, die mir ohnehin nicht zur Verfügung stand, bei geringem Abstand gut erkennen.
Was ich im einzelnen alles beobachte erinnere ich nicht, weiß aber, dass es mir niemals langweilig wurde.
Über diese von mir entdeckte Wunderwelt erfuhr ich in der Rössinger Volksschule leider fast nichts. Erst als wir ein Radio bekamen, damals waren wir innerhalb des Dorfes in eine Mietwohnung umgezogen, weit entfernt von Beeke und Schlossteich, lernte ich Einzelheiten über die heimische Flora und Faune durch den Schulfunk kennen. Als gedruckte Informationsquelle kam der Schulfunk-Bilderdienst hinzu.
Ein Beitrag über die Teichmuschel ermunterte mich sie in natura zu beobachten, näher zu untersuchen. Ihre Schalen waren an vielen Uferzonen leicht finden.
Einmal habe ich eine Muschel an meine Beobachtungsstelle "verpflanzt", konnte in den folgenden Tagen zusehen, wie sie sich am Grunde langsam fortbewegte. Aus dem Schulfunk wusste ich, was dabei geschieht, wie sie das bewerkstelligt.
Als ich jetzt auf dem Damm meinen Beobachtungsplatz nach mehr als 60 Jahren wiederfand, legte ich mich nicht auf den Bauch, wohl wissend wie schwer es ist wieder auf die Beine zu kommen. Vielleicht sah ich deshalb keine Muschel, keine Wasserflöhe oder andere Kleinkrebse. Vielleicht sah ich sie nicht, weil das Wasser sehr viel trüber war, als einst.
Diesmal saß ich auf einen bequemen Gartenstuhl blickte
auf die ruhig dahin schwimmende Schar der schönen Wildgänse und die zielstrebig auf mich zukommenden Futter erwartenden Enten, sah die kaum bewegte Wasserfläche, auf der sich die Bäume des gegenüberliegenden Ufer spiegelten und das rote Ziegeldach sowie die goldgelb gestrichene Fassade des Schlosses leuchteten.
Seit einiger Zeit scheint sich in der Mitte des Teiches eine kleine Insel zu bilden. Möglicherweise handelt es nur um eine schwimmende, um Teile einer angeschwemmten Baumkrone, die sich im schlammigen Untergrund festsetzte und sich erst in etlichen Jahren zu einer festen Insel entwickeln wird. Soviel Freiheit ließ man der Natur in den ersten Nachkriegsjahren leider nicht. Sicherlich hätte man damals Anstrengungen unternommen, um das angeschwemmte Holz als Brennmaterial aus dem Teich zu fischen. Sogenanntes Totholz, Eschen ohne ein einziges grünes Blatt, ja ohne Krone stehen auf dem Damm und bieten Hornissen Wohnraum. Am Ende des Dammes, an der Grenze zum Biotop, Kastens- Pump, liegt ein gestürzter Baumriese. Er bietet ebenfalls Lebensraum für Insekten. Das Areal rings um den Teich hat sich in ein Paradies für Naturfreunde verwandelt. Sie bauen auf dem Damm Nistmöglichkeiten für den Eisvogel, der seine Bruthöhlen normaler Weise in senkrechte Steilwände aus Lehm oder festem Sand gräbt.
Noch eine weitere Veränderung ist mir aufgefallen, die einst üppig wuchernden Fadenalgen sind verschwunden. Zeigt ihr Fehlen eine, gegenüber den 50er Jahren verbesserte Wasserqualität an? Wasserlinsen sah ich ebenfalls nicht, statt dessen schien mir das Wasser trüber zu sein als zur Zeit meiner Kindheit.
Diese Trübung mag aber jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen zu sein. Was es damit auf sich hat, werde ich bei gelegentlichen erneuten Besuchen heraus finden. Als ich mich damals über das Wasser beugte, um zu sehen, was sich am schlammigen Boden abspielt, muss das Wasser klar gewesen sein. Sonst hätten sich Erinnerungen an die verschiedenen Einzelheiten, eine Teichmuschel, über deren "Atemloch" sich kleine Schwebeteilchen hin und her bewegten, nicht im Gedächtnis verankert. Ebenso jene Bilder der Unterwasserwelt, die mich an einen Wald denken ließen, in dem ein kaum fingerlanger Hecht auf Beute wartete. Um solche Einblicke in die Unterwasserwelt zu bekommen, war es manchmal erforderlich, die dichte schwimmende Decke der Fadenalgen beiseite zu schieben. Vorsorglich schuf ich mir wohl auch für die nächsten Tage solche Beobachtungsfenster im Algenteppich. Am besten eignete sich dafür ein rauer Stock, besser noch ein Stück einer groben Holzlatte, damit konnte man die Algenfäden aufwickeln. Vorsichtig und langsam, um keinen Schlamm aufzuwirbeln, zog ich den Wickel heraus und schleuderte ihn an Land. Er triefte vor Wasser, roch intensiv, typisch nach Teich und Mudde. Mit den Algen landeten zugleich etliche Kleintiere auf dem Trockenen. Sie zappelten und krabbelten um ihr Leben, wollten nicht im Trockenen sein. Besonders Auffällige, etwa Schnecken oder Schwimmkäfer setzte ich oft wieder zurück, beobachte sie noch eine Weile so gut das im Teich ging, sperrte sie aber dazu auch manchmal in ein Weckglas ein; so begann meine erste lockere Hinwendung zur Aquaristik. Ich erinnere mich auch an Tierchen, die wir Asseln nannten. Es wird sich dabei aber um Insektenlarven gehandelt haben.

Es war für uns Kinder kaum möglich über die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten Einzelheiten zu erfahren.
Die Erwachsenen, einschließlich der Lehrer hatten durch die Kriegsfolgen "weiß Gott" andere Probleme, als uns die die im Gewässer lebenden Tiere näher zu bringen, Die meisten Menschen hätten ohnehin nur Interesse an Pflanzen u. Tieren gezeigt, soweit diese essbar oder nahrhaft waren. So lernten wir zwar grob einige Fischarten kennen, konnten Hechte und Rotfedern unterscheiden, erfuhren wohl auch, dass der eine ein Raubfisch, die anderen aber Friedfische seien, und lernten, dass eine andere, aus damaliger Sicht wichtigere Einteilung kennen. Nämlich eine Ordnung entsprechend der Begehrlichkeit, Nützlichkeit. Fünf dicke Rotfedern, ergaben eine Mahlzeit, ein halbwüchsiger Hecht bescherte dem Angler höchstens ein wenig Aufmerksamkeit, machte aber nicht satt. Nur wenn er einen ausgewachsen fing, erntete er Bewunderung und eine Mahlzeit. Als Information musste das dem Dorfkind vorerst genügen.
Wer etwas lernen will "muss mit den Augen stehlen" hörte ich meinen Vater sagen. Er (Heinrich Zeuner, geb. 1882 in Lauenau am Deister) stammte aus einer kleinbäuerlichen Handwerkerfamilie. Bei praktischen Tätigkeiten mag dieser Spruch noch immer Bedeutung besitzen. Irgendwann genügte mir das ausschließliche Beobachten nicht mehr.

Ein Beitrag im Schulfunk-Bilderdienst behandelte den Bitterling und seine Lebensgemeinschaft mit der Muschel.
Teichmuscheln gab es in Rössinger Gewässern häufig, aber von einer Fischart Bitterling wussten selbst die erfolgreichsten Angler nichts zu sagen. Als ich einem einmal sagte, der Bitterling würde seine Eier in die Teichmuschel legen fand ich kaum Gehör, merkte wie unterschiedlich unser beider Interessen offenbar waren.
Es wäre fast ungewöhnlich für einen Jungen meines Alters in Rössing nicht irgendwann auch einmal zur Angel gegriffen zu haben. Die Beeke oberhalb des Mühlenwehrs und der Mühlenkolk bis zur Pferdeschwemme waren die beliebtesten Angelplätze; nicht aber Teich und Schlossgraben. Sie wurden aus Respekt vor dem Baron oder dessen Verwalter weitgehend gemieden.
Die als Angelruten bei der Jugend begehrten Haselnusstriebe wuchsen im Schlosspark, gleich hinter der Mauer, also auf verbotenem Terrain, glücklicherweise vom Schlossgebäude nicht einsehbar. Mein Vater vertraute mir sein Taschenmesser an und ich wagte mich auf das Parkgelände. Schnell hatte ich eine schöne gerade Haselnussrute ergattert.
Zuhause im Nähkasten gab es schwarzen Zwirn. Etliche Stecknadel verbrauchte ich, bis es mir gelang einen geeignet erscheinenden Haken zu biegen. Jetzt fehlte noch der Schwimmer. Einen Korken zu finden, ihn zu durchbohren stellte die größte Schwierigkeit beim Anfertigen meiner Angel dar. Dann war schnell alles verknotet, zuerst der Zwirnfaden, durchs Korkenloch gezogen und mit einem Federkiel fixiert. Innerhalb eines Tages stand ich als Angler an der Beeke.
Meine Begeisterung hielt nicht lange an. Der erhoffte Erfolg stellte sich nicht ein. Erst als ich meine Angel, mit einem richtigen Haken ausstatten und auch sonst verbessern konnte, fing ich einige Fische, solche von der friedfertigen Art. Ich scheute mich sie zu töten. Ein Spielkamerad brachte sie mit seinem Taschenmesser brutal um.
So klein sie auch waren, meine Mutter briet für mich. Nie hätte ich geglaubt, dass die Winzlinge so viele Gräten haben könnten. Ich hätte sie besser im Bach lassen sollen. Angeln war nicht meine Sache.

Bürgerreporter:in:

Rolf Schulte aus Hildesheim

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