Die Grimms im ABBA-Sound

Hausmeister Tietje greift ein. | Foto: Anja Daniela Wagner
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  • Hausmeister Tietje greift ein.
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Jugendclub junior entzaubert die zertanzten Schuhe

Diese Inszenierung hat ihren ganzen besonderen Reiz. Bianca Sue Henne, Daniela Zinner und die 14 Kinder des Theaterjugendclub junior haben "Die zertanzten Schuhe" der Brüder Grimm zerlegt, entzaubert und nach Heute gebeamt. Heraus gekommen ist ein Stück, das nicht nicht märchenhaft ist, sondern frech, keck, witzig, ironisch, spontan, mutig, kindgerecht, zeitgemäß, innovativ und vor allem eins: sehenswert. Am Sonntag war Premiere im Theater unter Dach in Nordhausen, der härteste aller Kritiker (siehe unten) war mal wieder mit von der Partie. Auch er hat sich gefreut, dass Märchen auch heute noch begeistern können.

Die Brüder Grimm sollte man nur als Anregung verstehen. "Die zertanzten Schue" des Theaterjugendclub kommt ganz ohne Pluderhose, Feder am Hut, Puff-Ärmelchen und Spitzenkleidchen aus. Bianca Sue Henne wagt eine Kostümierung, die man so nicht erwartet hat. Diese Inszenierung ist ein Wettrennen zwischen Vater und Töchter und deshalb ist sportliche Bekleidung geboten. Das Bühnenbild verzichtet auf Türmchen und Zinnen und ist auf einen Vorhang reduziert, der als Projektionsfläche, als Trennwand und als Versteck dient. Jeder kann sich sein eigenes Schloss denken. So wird es aus dem Märchen ein Stück in der Tradition der Studio-Bühnen.
Auch das Personal wurde auf das Minimum reduziert. Henne und Zinner verzichten auf die geheimnisvolle Alte und führen stattdessen jetztzeitige Personen wie Hausmeister Tietje und den Mann vom Bringdienst ein. Einen. Hausmeister gibt es doch in jedem großen Gebäude und einen Bringdienst an der nächsten Ecke, das weiß doch jedes Kind. Aus dem Soldaten, der sein Glück versucht, das Rätsel löst und zum guten Schluss die Hand einer Prinzessin als Lohn erhält, wurde ein Detektiv mit Vorliebe für chinesisches Fast-Food und mit Smartphone. Die verwunschenen Prinzen spielen keine Rolle, so wird aus dem unerklärlichen Mythos etwas ganz Reales.

Die Story

Die Ausgangslage ist prekär. Die Staatskasse ist leer, weil die zwölf Töchter des Königs jeden Morgen neue Schuhe brauchen. Trotz intensiver Befragung kann der pubertierende Nachwuchs keine befriedigende Erklärung für das Phänomen liefern. Die Mäuse müssten schuld sein, schließlich schliefe man nachts tief und fest. Bei Eltern und Großeltern stellt sich sofort der "Ach ja, kenne ich zu genüge"-Reflex ein und die Verbindung Bühne-Publikum ist da.
Der Herr Vater engagiert einen Wärter, der dem nächtlichen Treiben einen Riegel vorschieben soll. ein älterer Herr aus der ersten Reihe muss nach kurzer Einweisung dieses Amt versehen. Wer keine Ambitionen auf einen schnellen Bühnentod hat, der sollte bei den weiteren Vorstellungen die erste Reihe. Denn der Wärter muss scheitern, weil die Prinzessinnen ihn mit einem Trank betäuben und ihrem nächtlichen Treiben weiter nachgehen. Also verliert der Mann seinen Kopf. Strafe muss sein, für einige zumindest schon. so geht es weiter, bis der coole Detektiv auf den Plan tritt.

Erzählstrang aufgelöst

Der Theaterjugendclub hat den klassischen Erzählstrang in einzelne Szenen aufgelöst. Es geht nicht mehr "und dann kommt das und dann das und dann ...". Das Ensemble hat seinen eigenen Grimm-Clip aus theatralischen Mosaiksteinen zusammengeschnitten. In rasanter Folge lösen sich die Szenen, die aufeinander aufbauen und viele Aspekte desVater-Töchter-Konflikts erzählen, ab. Der härteste aller Kritiker (8 Jahre) kann die Abfolge mühelos zu seinem Kopfkino zusammensetzen. Wunderbar, auch Kinder verstehen diese Struktur.
Das geht wunderbar mit pop-kulturellen Versatzstücken wie mit der "keine Panik, dies ist kein technischer Defekt"-Sequenz. Ein Highlight ist die Talkshow, an deren Ende der Herr König so ziemlich blamiert ist. Seht euch vor, Väter dieser Welt. Medienerfahrene Mädchen lügen in die Kamera ohne rot zu werden. Das manche Übergang in der Ausführung etwas holprig gerät, macht den besonderen Charme aus. Es ist halt Theater von Kindern.
Simpel aber eindrucksvoll gelingt die Hinrichtung des Wärters. Der Overhead-Projektor, richtig gelesen, der Overhead-Projektor wirft den Scherenschnitt einer Guillotine auf den Vorhang, das Fallbeil saust hinab und ein Farbtrick färbt die Projektionsfläche blutrot. Dem härtesten aller Kritiker (8 Jahre) wird an dieser Stelle weich in den Knien und mulmig im Magen. Wunderbar, auch Kinder verstehen diese reduzierte Formensprache.

Hier weiterlesen.

Das Stück
Der Spielplan

Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
Der härteste aller Kritiker - Teil drei

Bürgerreporter:in:

Thomas Kügler aus Bad Sachsa

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