A bitzale ausganga . . .

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Heute ist so ein Tag – trüb – die Nebelschleier wabern über die Felder – und ich bin daheim. Der Fernseher läuft. Um diese Zeit ist, das ist für mich sehr ungewöhnlich. ABER . . . heute brauch ich das – der Fernseher läuft . . .

„100 Sekunden Leben - DIE BESCHEIDENE“

eine ältere Frau mit Einkaufstrolley geht still ihren Weg. „Erzählen Sie kurz aus Ihrem Leben, erzählen Sie wie es Ihnen heute geht, erzählen Sie, wie Sie Ihr Leben gestalten“ möchte eine neugierige Reporterin wissen.

„ . . . .was ich mach? mein tägliches Leben bestreiten, ich bin Rentnerin und mach es mir gemütlich, mach` mein kleines Gärtle, a bitzale ausganga . . . des isch scho elles – und zufrieden sein dabei, ganz zufrieden sein . . . des isch des Allerwichtigste, das Zufriedensein – ich bin zufrieden“ . . .

Eine ältere Frau? Vermutlich so alt wie ich. Den Krieg hat sie erlebt, so erzählt sie. November, der Monat für Rückblenden:

Es war einmal . . . mein Bruder war 2 Jahre jung und ich knappe 4 Jahre. Mit den Kleidern ging`s ins Bett, so war das jede Nacht um 1944. Die Schuhe standen griffbereit. Mutter und Oma wachten, horchten in die Nacht hinein, hörten die Flieger in der Ferne brummen, sahen die fernen Irrlichter der Schlacht. Und wenn die Sirenen heulten, dann wurden wir aus den Betten gerissen, die Rucksäcke übergestülpt, die Lieblingspuppe in den Arm gedrückt - und ab mit uns in den Keller . . .

Tag für Tag, Nacht für Nacht - und dann kam der Tag X . . .

Oktober 1944, gewaltige Flüchtlingstrecks der deutschen Bevölkerung setzten sich in Bewegung. Zunächst aus Ostpreußen, schließlich aus Schlesien und dann aus Pommern.

Stettin-Gollnow in Pommern, das war unsere Heimat, da waren wir Zuhaus. Millionen Menschen zogen in den Wintermonaten 1944/45 bei Schnee und Kälte meist zu Fuß mit Handwagen oder mit Pferdefuhrwerken in das westliche Reichsgebiet. Viele Fluchtwillige wurden von politischen „Grössen“ zu lange vom Verlassen ihrer Orte zurückgehalten, denn Flüchtlingsströme passten nicht zu den bis zuletzt verkündeten Siegesparolen. Wer von der schnell vorrückenden Roten Armee eingeholt wurde, dem drohten Misshandlung, Vergewaltigung und Ermordung. Zahlreiche Flüchtlingstrecks gerieten zwischen die Fronten und wurden aufgerieben. Zehntausende starben an Hunger, Erfrierungen oder durch gezielte Tieffliegerangriffe der Alliierten.

Mutter hatte uns rechts und links an ihren Rucksack rechts angebunden. Oma trug Rucksack und Koffer. Vater, Opa und Onkel, alle waren als Soldaten im Krieg. Eine Flucht ins Ungewisse begann . . .

Die Bescheidenen, das sind die Frauen, die Mütter von damals, von über 60 Jahren Vergangenheit, die Trümmerfrauen, die Kriegerwitwen – ja, und das sind die Bescheidenen von heute.

„und zufrieden sein dabei, ganz zufrieden sein . . . des isch des Allerwichtigste, das Zufriedensein – ich bin zufrieden“ . . . danke du Bescheidene – danke

Und jetzt nerv` ich wieder mit Bildern von damals aus meiner Heimat, mit geretteten Bildern aus dem Rucksack. Und was glauben Sie was noch im Rucksack war? Unterwäsche, Seife, Brotzeit – und Schlüssel, viele Schlüssel. Mutter hatte alle Schränke und Türen abgeschlossen und auf die Reise ins Ungewisse mitgenommen. Sie wollte ja wieder heimkommen – sie wollte . . .

Bürgerreporter:in:

Heidi Kaellner aus Nördlingen

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