Klassenstärken waren das!

Niemand sonst hatte einen Bolero.
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Einundsechzig (61) Schülerinnen und Schüler in der Klasse 2 b der Volksschule Heikendorf an der Kieler Förde. Heutzutage würde das die Eltern auf die Barrikaden treiben. Zu meiner Grundschulzeit ging es aber nicht anders. Die Bevölkerungszahl war durch den Zuzug von Flüchtlingen enorm gestiegen. Weder der zur Verfügung stehende Schulraum, noch die verfügbaren Lehrkräfte reichten hin, um die Situation zum Besseren zu wenden.

Die Volksschule umfasste damals acht Jahrgänge und war in Heikendorf, zumindest in den ersten sechs Klassen, zweizügig. Da es nur sechs Klassenräume gab, musste der Unterricht in einer Vormittags- und einer Nachmittags-Schicht stattfinden. In der 2. Klasse saßen wir noch zu acht auf langen Bänken und schrieben auf grauem Papier, das mit Doppellinien oder, im Fach Rechnen, mit Karos bedruckt war.

Ist es bei einem solchen Gedränge in der Klasse ein Wunder, dass ich mich nur noch an wenige Mitschüler/innen mit Namen erinnern kann? An meine Freunde Peter Juckel und Klaus Danker, an Bernd, Uwe, Axel, Paul und Johnny etwa oder an Christine, Gisela, Helene, Ilse, Edda und Heike. An die Jungen aus den Landarbeiterfamilien des Gutes Schrevenborn, die die Klasse immer verpetzte, an allem und jedem Schuld zu haben und die sich nicht wehren konnten. An den Mitschüler, der Epileptiker war oder an die Klassenkameradin, die mit mir den gleichen Schulweg hatte und nicht begreifen konnte, wie man die Zeit von der Uhr abliest - trotz aller Tipps, die ich ihr zu geben versuchte.

Unsere Klassenlehrerin Fräulein Bley bemühte sich redlich, uns alle im Zaum zu halten und uns den vorgeschriebenen Lehrstoff zu vermitteln. Sie war streng. Selbst die unter uns, die ihre Diktate fehlerfrei und in gestochener Schrift zu Papier gebracht hatten, fanden unter ihren Arbeiten nur: 0 Fehler - 2; Schrift - 2; Gesamtzensur - 2. Ein Klassenkamerad, der auch dieses Ergebnis hatte, fasste sich schließlich ein Herz und fragte: "Fräulein Bley, ich habe null Fehler und sehr ordentlich geschrieben, weshalb kriege ich eine Zwei und keine Eins?" "So gut kann niemand sein, dass er eine Eins bekommen kann!", war da die Antwort.

Wir nannten Fräulein Bley heimlich "der Bleireiter" und fühlten uns dabei als Meister im Kodieren. Auch für andere Lehrkräfte hatten wir unsere Spitznamen: "Kratzefuß", "Frickmops" und "Enter-Penter" beispielsweise und der Schulleiter Vetter hieß einfach "die Leiter" - mit seinem Nachnamen Späße zu treiben, wagten wir uns denn doch nicht.

Der Ton unter den Jungen war recht rau: "Wist wat op dat Muul?" gehörte zum üblichen plattdeutschen, herausfordernden Vokabular. Und der Frage folgten dann auch schon mal Taten. Auf das absolut Notwendige beschränkte sich der Kontakt mit "den Weibern". Jungen und Mädchen - das waren zwei Welten.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Bildungsaussichten bei den geschilderten Voraussetzungen für die Masse der Schüler/innen nicht rosig waren. Zwar bestanden vielleicht zehn aus dem Jahrgang (zwei Parallelklassen) die einwöchige Aufnahmeprüfung für die Oberschule, wie das Gymnasium seinerzeit noch hieß. Doch es wurde im ersten Halbjahr dort so streng gesiebt, dass die meisten wieder zurück an die Volksschule mussten. Nur drei aus der Klasse 2 b legten später das Abitur ab und konnten danach auf die Universität gehen. Heute liegt die Abiturientenquote um vieles höher.

Die Zeiten haben sich wahrlich geändert.

Bürgerreporter:in:

Peter Perrey aus Neustadt am Rübenberge

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