Wir Kinder der Fünfzigerjahre auf Korügen

Auf Korügen mit unserer zugelaufenen Katze 'Susi'.
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Korügen ist ein Ortsteil der großen Gemeinde Heikendorf an der Kieler Förde. Dort gab es in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts eines der vielen Flüchtlingslager in Schleswig-Holstein. Bevor dieses Barackenlager Flüchtlingen vor allem aus Ostpreußen - aber auch einigen ausgebombten Einheimischen - Unterschlupf bot, war es nach dem Krieg ein Lager für 'Displaced Persons' gewesen, die mit den Gebäuden nicht gerade pfleglich umgegangen waren, so dass Schritt für Schritt eine Menge renoviert werden musste. Etwas mehr als vier Jahre meiner Kindheit habe ich "auf Korügen" verbracht.

Zum Spielen war Korügen wunderbar. Da die Wohnverhältnisse recht beengt waren, spielten wir so oft es ging im Freien unsere abwechslungsreichen Spiele oder suchten uns andere Beschäftigungen. Alle die weit verbreiteten Kinderspiele spielten auch wir:

Pickern: So heißt in Schleswig-Holstein das Murmelspiel mit den kleinen farbigen Tonkugeln oder den großen bunten Glaskugeln. Letztere wurden nur selten eingesetzt, konnte man sie doch nach den gleichen Regeln verlieren wie die billigen Tonkugeln.

Suchen/Anstehen: Unter dem Namen 'Versteckspielen' kannte ich das schon aus dem Ostharz, ebenso wie den Vers: "Eins, zwei, drei, vier, Eckstein, alles muss versteckt sein. Vorder mir und hinter mir, das gibt es nicht..." Allerdings hieß es auf Korügen nicht "vier, Eckstein" sondern "für Eckstein", was mir auch irgendwie besser zu passen schien.

Radschlagen: Dazu diente eine Fahrradfelge, von der die Speichen entfernt waren. Man konnte sie mit einem Stock vorwärts treiben; dann kamen wir aber darauf, dass es mit einem zurecht gebogenen starken Draht besser ging, Die Felge wurde nun nicht mehr weiter geschlagen sondern per Draht geschoben.

Hinkelchen/Himmel und Hölle: Ein typisches Mädchen-Hüpfspiel auf in den Sandboden geritzten oder mit Kreide auf Stein gemalten Feldern verschiedener Art. Wenn wir Jungen sonntäglich angezogen waren und gar nichts Ordentliches mit uns anzufangen wussten, hüpften wir auch schon mal mit "den Weibern" mit.

Ansonsten gingen wir am Sonntagnachmittag ins Kino, um uns einen amerikanischen Western anzusehen. Die Filme waren dann oft Anlass, Cowboy und Indianer zu spielen. Jeder Junge besaß eine Spielzeugpistole mit der sich kleine rote Papierrollen mit Knallplätzchen 'verschießen' ließen. Allerdings waren die schnell aufgebraucht und so ging es dann nur noch lautmalerisch weiter: "Kch, kch, du bist tot!" Seltener wollten wir Indianer sein, denn die zogen in den Western immer den Kürzeren. Dennoch hatte jeder Junge auch seinen selbst gemachten Bogen, hergestellt aus einer kräftigen Weidenrute und einer Sehne aus festem Netzgarn, das wir "Fischerschnur" nannten und im Herbst auch beim Steigenlassen unserer selbst gebauten Drachen nutzten.

Unsere Pfeile stellten wir aus Reet her. Als Pfeilspitzen benutzten wir ausgebrannte Pistolenmunition. Alte Munition fand sich um Korügen herum immer mal wieder. Wir machten uns auf einem Feld - abseits der Kontrollmöglichkeiten der Erwachsenen - ein Feuer und warfen die Munition dort hinein. Jedes Geschoss knallte, wenn die Pulverladung ausbrannte. So sorgten wir selbst für den Nachschub an Pfeilspitzen. Allerdings schossen wir mit unseren Bögen nie aufeinander.

Zeigte das Kino mal einen "Zorro"-Film, dann kam das Fechten in Mode. Wir schnitten uns unsere möglichst geraden "Stöcker" von den Büschen, schälten sie fein säuberlich und fertig waren unsere 'Degen'. Allerdings sagten Kinder mit einem begrenzten Wortschatz nicht 'Degen'. Die Aufforderung zum Spiel lautete bei ihnen: "Wolln wer mit de Fechters?"

Das waren dann auch die, mit denen wir hinterhältige Wetten abschließen konnten: "Wetten, dass Du keine Kuhschiet isst?!" Und tatsächlich fand sich auch jemand, der gegen 10 Pfennige von einem noch nicht ganz durch getrockneten Fladen probierte.

Im Sommer badeten wir in der nahen Kieler Förde und kamen oft schmutziger vom Bad nach Hause als wir hin gegangen waren, denn es wurde auch schon mal Teer am Strand angeschwemmt, der sich dann zu Hause nur mit Margarine wieder abkratzen ließ.

Konnte man nicht rausgehen, wurde gebastelt, Karten gespielt, gemalt, Nützliches eingeübt (unsere Oma brachte uns Häkeln und Stricken bei) und sehr viel gelesen. Das Lesen wurde mir bald zum Hobby und so manches Mal kamen die Freunde dann umsonst fragen: "Kommt er raus?" Und meine Mutter musste antworten: "Er kann jetzt nicht, er liest gerade." Wie man sich denken kann, kam das nicht sehr gut an. Da ich auf Korügen auch der einzige Schüler war, der die Oberschule (heute Gymnasium) besuchte, hatte ich bald den Spitznamen "der Professor" weg - was mir gewaltig gegen den Strich ging.

Bürgerreporter:in:

Peter Perrey aus Neustadt am Rübenberge

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