Georg Schramm in Neusäß

Georg Schramm
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Die Kritiker überschlagen sich regelmäßig vor Begeisterung. Und Georg Schramm übertraf live auf der Bühne alle noch so hoch gespannten Erwartungen. Da begriff man, warum Schramm aus dem „Scheibenwischer“ ausstieg, ja aussteigen musste, weil er „nicht zum Stereotyp, zum Krawallbruder verkommen wollte“, auch wenn es „keine leichte Entscheidung“ für ihn war. „Auf der Bühne fühle ich mich wohler“ begründete er den Abschied zusätzlich. In Neusäß war das nun hautnah nachvollziehbar. Hier konnte er endlich einmal neben den polternden Rentner Lothar Dombrowski auch anderen Gestalten stellen, den Oberstleutnant Sanftleben, den Sozialdemokraten August. Und gerade der Wechsel tat auch dem Zuschauer gut. Wenn Schramm ganz heikle Themen ohne Tabus berührt und dabei natürlich bewusst die Schmerzgrenze streift. Wenn der Mann einer Schlaganfallpatientin nach deprimierenden Erfahrungen mit menschenunwürdigen Behandlung Pflegebedürftiger konstatiert: „Hätte ich doch nur nicht den Notarzt gerufen“. Das sitzt. Während der Zuschauer noch an derart Schwerverdaulichem kaut, schlüpft Schramm auf der Bühne in die Jacke des beredten Presseoffiziers der Bundeswehr, Oberst Sanftleben. Und genau dieser Szenenwechsel auf offener Bühne in der Manier des epischen Theaters hilft, den nötigen Abstand zu bekommen und zu wahren. Im persönlichen Gespräch hinterher bei Kaffee und selbstgebackenen Streuselkuchen bekennt der unprätentiöse Großmeister der Kabarettszene Schramm. „Ja das ist sehr gefährlich und kann auch ins Auge gehen, wenn das Publikum die scharfen Schnitte nicht mitmacht. Auch das ist schon passiert.“ Hier aber ging das Publikum gebannt, ja mit jeder Nummer, jedem Szenenwechsel noch gebannter mit, auch wenn es verdammt aufpassen musste bei dem Tempo, in dem Schramm seine bitterbösen Pfeile abschoss. Herrlich Schramm als aalglatter Moderator der Hilfsveranstaltung zugunsten des „Sanierungsfalls Deutschland“. Als Problem macht er den Langzeitarbeitslosen aus, der „dem Einzelhandel nichts bringt“. „Der Einzelhandel“ wird in der Szene zum Bonmot. Um dessen Geschäft zu beleben und damit der Wirtschaft zum Aufschwung zu verhelfen, führt der Moderator ein makaberes Rechenbeispiel vor. 600.000 € kostet das Arbeitslosengeld vom 25. bis zum 85. Lebensjahr. Die Summe könnte man ihm in Monatsraten von 1500 € auszahlen, das gäbe Impulse für den Einzelhandel. Einziger Haken, das Geld reicht nur bis zum 55. Lebensjahr. „Wir sollten ernsthaft über ein sozialverträgliches Frühableben nachdenken.“ Das Wortungetüm traf messerscharf. So mancher Zuschauer begann sogleich zu rechnen, wenn er nicht gar schon jenseits war. Auch der Kopf stehenden Alterspyramide wäre damit gedient, den Not leidenden Krankenkassen und Ärzten, die Schramm ordentlich aufs Korn nahm, oder der Bundeswehr. Da erinnerte er daran, dass der Tod das reguläre Ende eines normalen Soldatenarbeitstages sein könne. Das Lachen aber blieb einem oft eben nicht im Hals stecken, leider nicht, müsste man nach dem Programm sagen, denn entweder es reizt zum „Totlachen“ oder alternativ zum Erschossenwerden. Erst zum Abschluss lüftete Schramm das Geheimnis des Programmtitels „Thomas Bernhard hätte geschossen“. In dem Stück des österreichischen Dramatikers erschießt ein Autor seelenruhig alle Zuschauer, die an der falschen Stelle seine Stücks lachen. Nur die Akteure auf der Bühne spielen weiter. Das wären in Neusäß viele hundert Leichen gewesen. Wer hätte etwa nicht gelacht bei dem ausgemusterten SPD-Veteranen, der einen neuen Arbeitskreis innerhalb der SPD gründete „Sozialdemokraten in der SPD – seit dem Wochenende sind wir schon zweit“. Tja, wenn Schramm dann aber gleich die Vereinsmeierei mit aufs Korn nimmt, die Begeisterung, wenn sie endlich als Vertreter in die Programmkommission abgesandt würden, ja dann würden sie Bäume ausreißen. Und dennoch lacht man und ist zugleich verstört. Und genau deshalb feierte das Publikum frenetisch den auf der Bühne so unendlich wandlungsfähigen Schramm. Seitdem geht bei vielen Besuchern ein geflügeltes Wort um, „Thomas Bernhard hätte geschossen“. Hoffentlich schießt er bald wieder einmal in Neusäß und lässt sein begeistertes Publikum nicht mehr so lange darauf warten mit Pointen und Tiefsinnigem abgeschossen zu werden.

Bürgerreporter:in:

Kulturbüro Neusäß aus Neusäß

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