Unterwegs im Darknet

The Dark Net | Foto: Buchcover; © Plassen Verlag
  • The Dark Net
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Jamie Bartlett war in den dunklen Kanälen des Internets unterwegs. Der Journalist hat Beziehungen zu Menschen aufgebaut, die sich hinter Profilen in den Tor Hidden Services – der digitalen Unterwelt – verstecken und bisweilen Straftaten oder zumindest moralisch verwerfliche Handlungen begehen.

Im Darknet ist alles möglich. Hier werden – praktisch nicht zurückverfolgbar – Morde in Auftrag geben, Waffen verkauft und viele schlimme Transaktionen, die mit staatlichen Gesetzen kollidieren, abgewickelt. In diesen abgrundtiefen Sumpf des Verbrechens im Netz ist Jamie Bartlett nicht eingetaucht, zumindest schildert er diese Abgründe nicht in seinem Buch „The Dark Net“. Doch er hat bei seinen Recherchen online Drogen bestellt, mit Pädophilen gesprochen, Extremisten befragt und Trolle getroffen. Die Menschen hinter den Internetprofilen waren seiner Einschätzung nach im echten Leben viel freundlicher als ihre anonymen alter Egos im Netz.

Mit Nacktfotos ein Leben ruinieren
In der verborgenen Welt der Tor Hidden Services hat Jamie Bartlett den administrierten Marktplatz Silk Road 2.0 ausprobiert, in dem Drogen von hoher Qualität gegen Bitcoins den Besitzer wechseln und in dem User die Verkäufer und deren Service wie bei Ebay bewerten. Er ist auf ein illegales Wettbüro gestoßen, in dem die Interessenten Wetten auf den Tod von (hauptsächlich berühmten) Personen abschließen können und ihnen freigestellt wird, beim Eintreffen ihrer Vorhersage nachzuhelfen. Außerdem geht er ausführlicher auf Foren-Seiten wie 4chan* ein, wo sich Trolle einen verbalen Schlagabtausch liefern und Hacker gierig darauf sind, sogenannte Camwhores – also Mädchen, die so naiv und freizügig sind, sich vor der Kamera auszuziehen und Bilder davon im „geheimen“ Forum zu veröffentlichen – zu „doxen“. Die Hacker finden also binnen weniger Minuten den realen Namen und die Adresse ihres Opfers heraus, schicken die Nacktbilder an dessen soziales Umfeld und ruinieren damit mutwillig sein Leben.

Aussichtsloser Kampf gegen Kinderpornos
Neben diesen offenbar gelangweilten Gestalten und ihren menschenverachtenden Hobbys tummeln sich im Darknet reihenweise Pädophile. Die Menge an Bildern und Videos, auf denen Minderjährige sexuell missbraucht werden, ist Jamie Bartlett zufolge immens hoch. Verborgene Kinderporno-Seiten zu schließen, gleicht einem Kampf gegen Windmühlen, denn – um ein Bild aus der griechischen Mythologie zu bemühen - wo Kinderschützer der Hydra einen Kopf abschlagen, wachsen zwei neue nach. Er berichtet von der Arbeit einer britischen Organisation, die genau das versucht und deren Mitarbeiter beim Einstellungstest eine fünf-stufige Skala von Kindesmissbrauch betrachten müssen, um auf die brutale multimediale Realität vorbereitet zu sein. Das Verzwickte an diesem Job: Man kommt oft nicht an die Betreiber heran und wenn die Server im Ausland liegen, blockieren angeblich auch noch die Provider – ungeachtet des schändlichen Materials, das auf ihren Servern liegt. Häufig würden Internetnutzer Webseiten mit Kinderpornografie melden, doch bei der Überprüfung des Links seien meist nur erlaubte Pornografie zu sehen. Zugang zum verbotenen Material erhalten die Nutzer demnach nur, wenn sie einen bestimmten Klick-Weg (über andere Pornoseiten) beschritten haben.

Zweischneidige Selbsthilfegruppen
Neben diesen verwerflichen Marktplätzen im Internet hat Jamie Bartlett auch in weniger dunklen Kanälen recherchiert. Diese sind zwar auch eine fragwürdige Erscheinung, die das Internet hervorgebracht hat, doch letztlich weder verboten noch geheim. Selbstmord-Communitys, in denen sich die Nutzer Tipps geben, wie man sich selbst ums Leben bringt oder im Sportunterricht selbst beigefügte Schnittwunden verbirgt. Foren, in denen sich vor allem Mädchen und junge Frauen gegenseitig darin bestärken, pro Anorexie und Bulimie zu sein. Jamie Bartlett gibt seine Eindrücke wieder, spielt dabei aber nicht den Moralapostel, sondern lässt Beteiligte zu Wort kommen (ohne sie zu demaskieren) und wägt Schaden und Nutzen ab. Nur bei der Betrachtung von Amateurpornoseiten, auf denen vor allem junge Frauen (Camgirls) ihr Geld mit Stiptease, Blowjobs und Sex vor der Kamera verdienen, fallen seine Schilderungen tendenziell positiv aus.

Darknet als Spiegelbild der Gesellschaft
Im Abschlusskapitel stellt er den Transhumanismus und die technologie-feindliche Einstellung der Anarchoprimitivisten gegenüber und fasst seine Eindrücke vom Darknet zusammen. „Letzten Endes ist das Darknet nichts anderes als ein Spiegelbild der Gesellschaft: ein durch die seltsamen, unnatürlichen Bedingungen des virtuellen Lebens verzerrtes, vergrößertes und mutiertes Bild – aber immer noch deutlich und unverkennbar ein Bild von uns“ (S. 269). Vor der Danksagung folgen die Quellenangaben und zusätzlichen Anmerkungen, auf die im jeweiligen Kapitel allerdings nicht hingewiesen wird, was dem Buch ein strukturelles Manko bescheinigt. Denn auch die Kapitelüberschriften (z.B. „In den Untiefen von Galts Schlucht“ oder „Drei Klicks“) selbst bieten dem Laien nach der Lektüre keine wirkliche Hilfe, um bestimmte Sachverhalte wiederzufinden.

*4chan wurde vor Monaten in den Mainstream-Medien erwähnt, da dort reihenweise Nacktfotos von Prominenten veröffentlicht wurden, die Hacker sich illegal aus deren Smartphones beschafft hatten.

Titel: The Dark Net
Autor: Jamie Bartlett
Verlag: Plassen Verlag
Infos: 336 Seiten, gebunden, erschienen am 2. September 2015
ISBN: 9783864702846

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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