myheimat Neusäß: NÄCHSTER ABZWEIG "HIRBLINGER STRASSE"

Auf Höhe der ehemaligen Schuhfabrik Wessels zweigte das Gleis der alten Route am Gaswerk vorbei Richtung Westheim ab (siehe rechte Bildseite).
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  • Auf Höhe der ehemaligen Schuhfabrik Wessels zweigte das Gleis der alten Route am Gaswerk vorbei Richtung Westheim ab (siehe rechte Bildseite).
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AUF ALTEN UND NEUEN SCHIENEN VON AUGSBURG NACH WESTHEIM

Die zweigleisige Bahntrasse von Augsburg nach Ulm steht derzeit im Mittelpunkt kontroverser Diskussionen, da zur Verbesserung der veralteten Situation insbesondere für den überregionalen Fernverkehr unterschiedlichste Lösungsansätze in den Ring geworfen werden. Neben einem kompletten Neubau abweichend von der jetzigen Trasse durch Neusäß, steht seit langer Zeit auch der mehrgleisige Ausbau des bestehenden Fahrwegs im Raum. Dieses Projekt mitten durch eng bebaute Wohngebiete wie in Alt-Neusäß, Westheim und Diedorf in die Tat umzusetzen, erscheint von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Große Veränderungen beim Streckenverlauf gab es allerdings schon vor Jahrzehnten, aber damals waren die Voraussetzungen hierfür noch grundlegend andere.

Die Bahn machte richtig Dampf

Nachdem im Jahr 1835 zwischen den Städten Nürnberg und Fürth die erste Eisenbahngesellschaft in Deutschland ihren Betrieb aufgenommen hatte, setzte eine rasante Entwicklung auf diesem neuen Verkehrszweig ein. Für die gute alte Zeit atemberaubend wirken dabei im Vergleich zu heute die unglaublich kurzen Fristen, die zwischen der Planung, dem Bau und der Fertigstellung neuer Linien vergingen. So konnte bereits anno 1840 die Strecke von München nach Augsburg in Betrieb genommen werden. Als Teil der sog. „Bayerische Maximiliansbahn“ sollte sie in ihrem weiteren Verlauf das bayerische Eisenbahnnetz mit dem württembergischen verbinden und im Jahr 1850 einigten sich die beiden benachbarten Königreiche auf eine Streckenführung über Ulm. Schon vier Jahre später, im Mai 1854 konnten täglich 4 Züge die gesamte neu gebaute Strecke durchgehend eingleisig befahren. Wegen des rasanten Anwachsens des Personen- und Güterverkehrs wurde die Trasse von 1892 an zweigleisig ausgebaut. Ab 1931 wurde die Strecke dem technischen Fortschritt im Bahnverkehr folgend mit einer elektrischen Oberleitung ausgestattet.

Die alte Trasse nach Westheim

Im Bereich der Gemeinde Neusäß verlief der alte Fahrweg jedoch anders als heute. Die historische Bahnlinie ist aber immer noch erhalten und theoretisch sogar weiterhin befahrbar. Deren ursprüngliche Trasse zweigt nach dem Bf Augsburg-Oberhausen auf Höhe des Gaskessels in Richtung Westen ab, durchquert im Bärenkeller das weitläufige Gelände des Gleisbauhofs der DB Bahnbau, erreicht schließlich Neusäß im Osten und überquert dort südlich des ehemaligen Gasthofs Schuster die Augsburger Straße und trennt diese von der Hauptstraße. Gleich neben der Überführung befand sich der damalige Haltepunkt Neusäß. Heute hätte man hier vom Zug aus einen schönen Blick auf die im Bau befindliche "Neue Mitte" der Stadt einerseits und den Beethovenpark andererseits. Als hier ab 1853 die ersten Züge hielten, blickten die Fahrgäste in nördlicher Richtung auf das dörfliche Neusäß und südlich über weitgehend unbebautes Grünland. Weiter westlich kreuzt das noch verbliebene Gleis zunächst die Fahrbahn der Oskar-von-Miller-Straße auf Höhe der Firma ABB und anschließend den Radweg, bevor die Trasse schließlich in die jetzige Hauptstrecke einmündet. Auf diesem Areal hatte einst das Wärterstellwerk des Bahnhofs Westheim gestanden. Vielen ist auch noch die Halle der Firma Attinger bekannt, die ebenfalls dort ansässig war. Das historische Gleis verbindet somit im Jahr 2022 immer noch den Bahnhof Westheim mit Augsburg-Oberhausen, es wird jedoch nur noch für seltene Sondertransporte im Rahmen von Bauarbeiten befahren oder man sieht dort gelegentlich auszubildende Gleisfacharbeiter der DB im Praxistraining.

Die ehemalige Weldenbahn

Auf diesem geschichtsträchtigen Bahndamm mitten durch Neusäß verkehrten nicht nur die Züge in Richtung Ulm, sondern dort lagen auch die ersten Schienen der Weldenbahn. Diese Nebenbahn wurde am 05. Dezember 1903 eröffnet und beförderte bis ins Jahr 1986 Personen und Güter in den sogenannten „Holzwinkel“ rund um Welden. Im Neusässer Ortsteil Lohwald wurden die „Industriewerke Lohwald“ und später die Firma „Keimfarben“ mit einem eigenen Gleisanschluß bedient, ein weiteres Verladegleis für Güter gab es in Hammel, dort wo sich heute der Parkplatz des großen Wasserspielplatzes befindet.

Die neue Trasse nach Westheim

Mit dem Plan zur Elektrifizierung der Linie zwischen Augsburg und Ulm wurde auch deren Streckenführung neu überdacht. Das bedeutendste Projekt wurde dabei im Bereich Augsburg-Oberhausen mit großem Aufwand umgesetzt, im Rahmen dessen auch die Trasse nach Neusäß weiter in Richtung Norden verlegt wurde. Ab 1931 wurde das imposante Überwerfungsbauwerk errichtet, welches seither die Strecken nach Ulm und in Richtung Donauwörth kreuzungsfrei trennt. Auch das Gleis der Weldenbahn folgte ab diesem Zeitpunkt der neuen Route, blieb jedoch dauerhaft ohne Stromleitung. Die alte Trasse vorbei am Gaswerk wurde wie beschrieben nicht komplett zurückgebaut und dient nun vorwiegend als Zubringer zum Gleisbauhof der DB.

Der Haltepunkt Hirblinger Straße

Viele Pendler werden sich an den „Haltepunkt Abzweigung Hirblinger Straße“ erinnern. Dieser Nahverkehrsbahnhof wurde im Bereich des Augsburger Stadtteils Bärenkeller im Jahr 1940 eröffnet. Im Gegensatz zum nächsten Haltepunkt Neusäß, der dagegen ziemlich dörflich erschien, gab es hier vier Gleise, zwei breite Mittelbahnsteige und eine mächtige eiserne Brücke, über die man den hochgelegenen Bahnhof mit dem damals berüchtigten Kiosk erreichte, den es heute als Kneipe immer noch gibt. Ab dem Haltepunkt Hirblinger Straße führte die Trasse der Weldenbahn zwischen den beiden Schienensträngen der Hauptstrecke bis Neusäß, wo sie ohne Weiche unter dem Bahndamm hindurch in Richtung Lohwald abzweigte. Das mittlere Gleis existiert nicht mehr, aber die Reste der baulichen Anlagen lassen sich neben dem in Neusäß beginnenden Weldenradweg noch gut erkennen. Auch heute noch werden die aus Richtung Ulm kommenden Züge an der Abzweigung Hirblingerstraße quasi „vorsortiert“ für ihren weiteren Weg zu den entsprechenden Güter- bzw. Personenzuggleisen in Augsburg-Oberhausen und am Hauptbahnhof.

Der Bahnhof Westheim

Westheim mit seinem noblen Villenviertel war bereits in den Tagen der alten Streckenführung ein bedeutender Bahnhof mit einem repräsentativen Dienstgebäude. Das Fahrgastaufkommen war bis in die 60er Jahre hinein sehr hoch. Dafür sorgten neben Pendlern und Schülern vom Land in die Augsburger Fabriken und Gymnasien vor allem in den Vorkriegsjahren unzählige Wallfahrer und Sonntagsausflügler. Die weithin bekannte Marien-Wallfahrt führte die Pilger auf einem Kreuzweg hinauf zur Kobelkirche, aber auch die berühmte Ausflugsgaststätte mit ihrem idyllischen Biergarten und dem hölzernen Aussichtsturm lockte Massen von Besuchern auf den heiligen Berg vor den Toren Augsburgs. Aber um am Bahnhof Westheim auszusteigen, gab es noch weitere gute „wirtschaftliche“ Gründe: das „Tirolerhaus“ des umtriebigen Wirts Burkhart lockte die Gäste mit seinem ganz besonderen alpinen Ambiente. Wanderfreudige Sommerfrischler machten sich in Scharen auf den Weg quer durchs Schmuttertal hinüber nach Hainhofen, wo die Biergärten des „Schwäbischen Himmelreichs“ und die Sommerrodelbahn der „Restauration Waldfrieden“ Jung und Alt anzogen. Ab 1891 verfügte man in Westheim über eine Naturheilanstalt, was die Gemeinde für kurze Zeit zu einem fahrgastfördernden Luftkurort machte. Von der Jahrhundertwende bis zum 2. Weltkrieg konnte man auf den Ansichtskarten zudem mit dem „Schmutterbad“ als weiterer Touristenattraktion werben. Am belebten Bahnhof Westheim gab es Wartesäle erster und zweiter Klasse, eine Bahnsteigsperre, einen florierenden Kiosk, einen Güterbahnhof und nach der Anbindung an die neue Trasse 1932 zusätzlich im Norden ein großes Wärterstellwerk. Erst zu Beginn der 80er Jahre zwangen Personaleinsparungen und die technische Angliederung an das Zentralstellwerk in Augsburg den Bahnhof Westheim wie so viele andere Dienststellen der Deutschen Bundesbahn endgültig in die Knie.

Und heute?

Wenn man 2022 von Augsburg Hbf mit der Regionalbahn nach Westheim fährt, ist von der Eisenbahnromantik vergangener Tage nicht mehr viel zu spüren. Der einstmals bedeutende Vorortbahnhof Augsburg-Oberhausen ist zu einem graffitibesprayten düsteren Treff verkommen, den man als Reisender nur ungern betritt. Am Haltepunkt Hirblinger Straße wird erst gar nicht mehr gehalten und den zugigen Bahnsteig in Neusäß verläßt man schnellen Schrittes, bevor einen der Sog eines vorbeidonnernden ICE mitreißt. Selbst in Westheim wird der Fahrgast demnächst ebenfalls sprichwörtlich „im Regen stehen“, sobald das hölzerne Bahnsteigdach einer kleineren Konstruktion weichen muß, aber immerhin punktet daneben das stimmig instandgesetzte Bahnhofsgebäude nach wie vor mit seiner ansprechenden Architektur und zweimal im Jahr läßt sich hier in Gedanken echte Dampflokluft schnuppern, nämlich dann, wenn der dort (noch) untergebrachte Modelleisenbahnclub Neusäß seine Türen für alle eisenbahnsüchtigen Besucher öffnet.

Und morgen?

Der Bau einer völlig anders verlaufenden neuen Trasse für den schnellen Fernverkehr mag aus Kosten-Nutzengründen sowie aus umweltpolitischer Sicht wenig sinnhaft und schwer durchsetzbar erscheinen. Für die Bahnhöfe in Westheim und in Neusäß wäre jedoch eine Zukunft ohne Hochgeschwindigkeitszüge, dafür mit sicheren und witterungsresistenten Wartebereichen für die Fahrgäste des öffentlichen Nahverkehrs eine Variante, von der man gerade an einem kalten Wintertag gerne mal träumt, während man fröstelnd auf den verspäteten Fuggerexpress wartet. Aber auch die bekannten knallroten Nahverkehrszüge der DB werden bald aus dem Landschaftsbild unserer Region verschwunden sein, wenn ab Ende 2022 die blauen Fahrzeuge des britischen Unternehmens Go-Ahead ihren Dienst aufnehmen. 

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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