Lappland – Erlebnisse in Kiruna und Jukkasjärvi

Eingeschneiter Spielplatz in Kiruna (1)
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Direkt nach unserem Aufenthalt in Stockholm, haben mein Bruder und ich Ende März / Anfang April den Winter im schwedischen Teil Lapplands nachgeholt. Hier erzähle ich von unseren fünf Tagen in Kiruna und Jukkasjärvi.

Per Inlandsflug am Samstag von Stockholm nach Kiruna, beginnt unser Abenteuer in Lappland nach dem kostenlosen Bustransfer ins Zentrum mit einem Stadtbummel. Meterhohe Schneedecken weit über Zaunhöhe verpassen den farbigen Holzhäusern in Kiruna einen Puderzucker-Anstrich. Manche dieser Häuser weisen ein abgerundetes Dach auf, andere frohlocken mit moderner Architektur, doch Kiruna zeigt sich auch mit einem hässlichen Antlitz aus 60er-Jahre-Bauten. Tolle Bilder liefert ein völlig im Schnee versunkener Spielplatz, auf dem Schaukeln und Rutschen viele Monate lang schwierig ist.

Architektonischer Höhepunkt ist die Kirche, ein weiterer das Rathaus. Denn dieses wird noch vor den übrigen Gebäuden der Stadt in wenigen Jahren umziehen. Warum zieht eine ganz Stadt um? In Kiruna ist Bergbau die Haupteinnahmequelle. Doch der Untertagebau wandert immer weiter unter die Stadt, was zu Rissen in Gebäuden führt und es unumgänglich macht, das Stadtzentrum einige Kilometer weiter entfernt neu zu errichten. An diesem Samstagabend gönnen wir uns noch einen Aufenthalt in der Sauna unserer Unterkunft Hotel Kebne und kommen anschließend im Bishop's Arms bei zwei Bier mit Schweden ins Gespräch.

IceHotel in Jukkasjärvi
Am Sonntag zieht es uns mit dem Bus nach Jukkasjärvi. Dort unternehmen wir zunächst einen Spaziergang durch den Ort und meterhohen Schnee. Je näher man der kleinen Kirche mit dem Friedhof kommt, der eine sehr hohe Kindersterblichkeit Anfang des 20. Jahrhunderts dokumentiert, desto eher sinkt der Spaziergänger bis zu einen halben Meter im Schnee ein. Nordic Walker und Langläufer haben damit weniger zu kämpfen. Durch den Ort ebnen wir uns den Weg auf Glatteis bis zur eigentlichen Kirche von Jukkasjärvi, die vom Volk der Samen geprägt ist. Kurz darauf steht die dritte Kirche auf dem Programm: Die Eiskirche des IceHotels, in der inzwischen echte Trauungen und offene Gottesdienste stattfinden. Den Rest des IceHotels sehen Lappland-Reisende im Rahmen einer Führung, in dem auch alle Suiten besichtigt und fotografiert werden dürfen.

Jedes Jahr wird das IceHotel neu mit Eis aus dem Fluss Torne direkt hinter dem Grundstück in mehreren Bauphasen errichtet. Genau genommen handelt es sich um "Snice", wie das Material mit einer Konsistenz zwischen Eis und Schnee hier genannt wird. Künstler aus aller Welt bewerben sich mit Design-Ideen, um die individuellen Luxus-Suiten zu kreieren. Bei der Umsetzung werden sie von den Eisskulptur-Experten des Hotels unterstützt. Es gibt natürlich auch preiswertere Standard-Suites. Egal, in welchem Raum der Übernachtungsgast residiert, seine Verweildauer darin ist limitiert. Denn tagsüber spazieren Touristen duch die Hotelanlage, fotografieren die Zimmer und legen sich verbotenerweise auch mal auf die Betten. Und nachts verbringen die Gäste in der Regel viel Zeit an der Bar, wie ein Hotelangestellter verrät. Privatsphäre ist Mangelware. Vorhänge ersetzen Türen, die Temperatur liegt konstant bei -7 Grad Celsius. Die IceBar im IceHotel ist deutlich fetziger als in Stockholm, die allerdings wie alles, wo „by IceHotel“ draufsteht, nur Eis aus dem Torne verwendet. Die Drinks sind nach den Luxus-Suites benannt und werden bei flockig-abwechslungsreicher Musik eingeschenkt.

Pizza mit Rentierfleisch
Zurück in Kiruna speisen wir in der Pizzeria Palladium, in der gute, große Portionen Abnehmer finden. Außergewöhnliche Zutaten wie Rentierfleisch verleihen beispielsweise der Pizza Paris eine rauchig-zarte Note. Kreative Belag-Kombinationen zeichnen Chef Ali Chahrour aus, der während des Restaurantbetriebs schon mal seine Urkunden von Pizza-Wettbewerben (nimmt als zweitbester schwedischer Pizzabäcker an Weltmeisterschaften teil) austauscht. So reizvoll die Pizzen, desto befremdlicher die Atmosphäre und der Service. Die Karte holen Gäste an der Theke selbst ab, wo sie auch bestellen und vorab bezahlen. Kaltgetränke nimmt man selbst aus dem Kühlschrank. Wer das karge Interieur in Kauf nimmt und den Personenkult um den Küchenchef schluckt, wird hier zu einem für Schweden sehr fairen Preis leckere Pizzen futtern.

Überleben im Iglu
Natürlich bin ich am zweiten Abend in Lappland der Erste von uns Brüdern, der dem Glatteis in Kiruna Tribut zollt. In Anbetracht dessen, dass praktisch sämtliche Straßen und Wege vereist sind und nur mäßig gestreut wird, hat es mit dem Kniefall länger gedauert als erwartet. Positiven Auswirkung der Dauerglätte ist das vorsichtige Verhalten der Autofahrer, die langsam fahren und weit vor Zebrastreifen halten, allerdings ihre von Steinschlag gebeutelten Scheiben nicht reparieren. Am dritten Tag geht es auf dem Schneeschlitten (dem „Anhänger“ eines Schneemobils) zu einem Camp in die Wildnis. Auf kurzen Streckenabschnitten peitscht uns der kalte Schnee trotz Helm und Schneebrille ins Gesicht. Ungefähre Höchstgeschwindigkeit laut Guide Finn: 70 Stundenkilometer!

Angekommen in der schneebedeckten Natur von Kurravaara, erklärt uns Finn, wie wir aus einem Schneehaufen ein Iglu machen. Wir höhlen den Schneehaufen weitgehend zu zweit aus und legen Rentierfälle als Unterboden aus. Zum Mittagessen gibt es Lachs-Kartoffelsuppe in Plastikschüsseln in einer Holzhütte mit Feuerstelle. Zu nah stehen die übrigen Plastikgefäße an der Hitzequelle, weswegen sie zu schmelzen anfangen. Finn bemerkt es, stellt das Plastik jedoch immer wieder in die Nähe der Hitzequelle. Andere Dinge kann er besser. Finn zeigt uns, wie man mit Messer und Metallstift Feuer macht. Wir schaffen's nach etlichen Versuchen und Korrekturen doch noch. In der Wildnis wären wir wohl verloren. Gestärkt wird das Iglu fertig eingerichtet, mit Foto-Nische und Teelichtern ausstaffiert. Wieso habe ich die extra für diese Nacht eingepackte Stirnlampe eigentlich im Koffer, der in Kiruna verweilt?

Schnee-Spiele in der Einsamkeit
Nach abgeschlossenem Häuslebau und dem Abschied von Finn, der uns morgen Früh abholen wird, geht der Spaß so richtig los! Arschteller fahren, Schneespringen, in den Wald pinkeln, verstecken, Ringkampf. Der Spieltrieb kennt kaum Grenzen. Im vierten Versuch gelingt es mir, den Handschuh auf ein Elchgeweih, das in der Erde steckt, zu werfen. Das bringt mich in unserem brüderlichen Schnee-Wettbewerb wieder etwas voran, ebenso wie das Versteckspiel. Doch letztlich entscheidet der Ringkampf zu Gunsten meines Bruders. Die Schweizer Camp-Leiterin Regula ist der einzige Mensch in der Umgebung, ihr einäugiger Hund Nino, der fast als Eisbär durchgeht, ein knuffiger Wächter. Toll, wenn man praktisch alleine im Camp ist. Zum Abendessen werden wir mit einem leckeren Rentier-Rahmgeschnetzeltes mit Bratkartoffeln und einem Paprika-Kartoffel-Zucchini-Gemüse samt Preiselbeeren verwöhnt. Als Dessert winkt ein schwedischer Zuckerkuchen mit Sahne und Maulbeermarmelade. Gut gekocht, Regula!

Anschließend nutzen wir die kleine Holzsauna und befolgen Finns Tipp zur Abhärtung: Raus aus der Sauna und nackt im Schnee wälzen. Das Schlimmste daran sind die paar Meter von der Sauna über den eisigen Boden bis zur unberührten Schneedecke. Unfassbar, wie kälteempfindlich Fußsohlen sind! Zurück in die Sauna, mit etlichen Aufgüssen einheizen und auf zur zweiten Runde im Schnee wälzen. Inzwischen bricht die Nacht über die freie Wildnis herein und wir stapfen, wieder dick in Schneekleidung eingepackt, zum Iglu. Teelichter an, Fotos knipsen, in den Schlafsack mummeln. Trotz drei paar Socken erweisen sich die Füße, die gen Eingang gerichtet sind, erneut als überaus kälteempfindlich, wobei auch die übrigen Extremitäten bibbern. Während die Temperatur im IceHotel konstant -7 Grad betragen soll, frieren wir die Nacht bei rund -15 Grad. Schlaf finden wir kaum, doch Nordlichter sehen wir auch nicht. Auf die bequeme Ersatz-Unterkunft im Camp verzichten wir trotzdem. Dort machen wir uns am nächsten Morgen allerdings frisch und ziehen uns um, ehe Finn uns nach dem Frühstück mit dem Schneeschlitten von Kurravaara in die Zivilisation zurückbringt.

Hundeschlittenfahrt: Niemand warnt dich vor dem Gestank!
In Kiruna erkunden wir weitere Ecken der Stadt zu Fuß. Dabei stoßen wir auf den Schnee- und Eisspielplatz von Gruvstadsparken, wo wir uns ein bisschen austoben. Abends machen wir einen Ausflug mit Hundeschlitten. Wenn sie nicht vor einen Schlitten gespannt werden, verbringen die Hunde ihre Lebenszeit in Zwingern bzw. unwesentlich größeren Käfigen an der frischen Luft. Richtig frisch riecht die Luft allerdings nicht, es stinkt an allen Ecken und Enden. Manche der Hunde haben ein bisschen Husky in sich, reine Huskies haben Seltenheitswert. Denn die Züchter versuchen Vierbeiner zu entwickeln, die bestmöglich an die Gegebenheiten angepasst sind. Elf Hunde ziehen uns, den Schlitten lenkt ein Spanier. Der älteste Hund, mit schwarzem Fell, rechts in der vierten Reihe, beißt so oft es geht in den Schnee am Wegesrand, um sich abzukühlen. Bei unserer Picknick-Station, einem Zelt angekommen, bellt sein Nachbar immer wieder aufgeregt, während der schwarze Kollege dahinter winselt. Nur die beiden Leithunde sind ruhig, ihre Verfolger sogar für Streicheleinheiten zu haben.

Bequem ist eine Hundeschlittenfahrt nicht und definitiv nichts für feine Nasen. Insbesondere die erste Viertelstunde des Trips wird zur Hölle für Riechkolben. Denn die Hunde furzen und kacken fast die ganze Stecke bis zum Zelt. Sobald sie Auslauf bekommen, werden offenbar einige Körperfunktionen aktiviert. Im Hotel Vinterpalatset gönnen wir uns am späteren Abend noch einen Sauna-Gang mit Jacuzzi-Nutzung. In Schweden wird ein Whirlpool übrigens als Bubblepool bezeichnet; eines der vielen lustigen Wörter der Landessprache. Ein weiterer vermeintlicher Höhepunkt in Kiruna fällt aus, denn eine Tour in die Untertagegrube des Kebnekaise erfordert mindestens ein Dutzend Teilnehmer. Garantietermine gibt es zumindest außerhalb der Saison trotzt Ankündigung nicht. Laut temporären Ortsansässigen stimme das Preis-Leistungs-Verhältnis bei der als Führung getarnten Werbeveranstaltung ohnehin nicht.

Endlich hübsche Schwedinnen beim Rentier-Erlebnis mit Samen
An unserem fünften und letzten ganzen Tag in Lappland, der gleichzeitig der elfte Tag unserer Schweden-Reise ist, tauchen wir noch ein bisschen in die Kultur der Samen ein. Schon im Vorfeld haben wir über Kiruna Guidetur die Sami Siida Tour in Jukkasjärvi gebucht (wie auch die Hundeschlittenfahrt und die Iglu-Übernachtung). Daran, dass wir atemberaubend hübsche Schwedinnen sehen, glauben wir schon gar nicht mehr. Nicht in einem Dorf im hohen Norden. Doch beim Sami Siida Ausflug begleiten uns und den lokalen Sami-Guide vier Praktikanten: ein junger Mann und drei attraktive Mädels. Wo kommen die denn plötzlich her? Aus Stockholm, wird uns erklärt, denn sie machen hier ein Tourismus-Praktikum. Na dann ist ja auch klar, warum wir hinsichtlich der erwarteten Attraktivität keine Muster-Schwedinnen in der Hauptstadt entdeckt haben, wenn diese temporär alle im Hinterland verschwinden. Die bildhübsche Blondine sitzt hinter unserem Guide auf dem Schneemobil und dreht sich mit einem gewinnenden Lächeln mehrmals zu uns auf dem Schlitten um. Da schmelzen Eisberge, wobei es heute auch Plus-Grade hat. Nebenher brettern die beiden anderen Mädels gemeinsam auf einem weiteren Schneemobil über das schneebedeckte Eis bis zur Rentier-Koppel.

Das Rentier mit der Nummer 21 wird eingefangen und vor einen kleinen Holzschlitten gespannt. Mein Bruder kniet sich wie angewiesen auf den Schlitten und hält das Seil (quasi die Zügel). Nummer 21 geht in einem von Zäunen begrenzten Rundkurs ab wie eine Rakete. Beim nächsten Ausflugsteilnehmer und bei mir trabt das Rentier wesentlich gemächlicher los, bei einer britischen Touristen als vierter Teilnehmerin legt das lustlos und womöglich auch erschöpft wirkende Tier mehr Pausen als Bewegungsphasen ein. Anschließend verschwinden drei Praktikanten und wir setzen uns auf Rentierfelle ins Samen-Zelt, wo uns die hübsche schwarzhaarige Schwedin als „Rentier-Taco“ deklariertes Suova mit Preiselbeermarmelade reicht. Dazu gibt’s leckeren Preiselbeersaft. Gestärkt wagen wir uns wieder auf die Koppel zur Rentierfütterung. Schon niedlich, diese teils nur einhörnigen oder gar hornlosen treudoof guckenden Tiere mit dem warmen Fell und der platten Nase.

Auf die Flechten in unseren Händen haben sie ziemlich schnell keine Lust mehr. Lieber fressen sie der Stockholmer Schönheit aus der Hand, ist doch klar. Dann dürfen wir ein Rentier im eingezäunten Kreis, der vorher für die Schlittenfahrt benutzt wurde, an der Leine führen. Anfangs sträubt es sich. Bei meinem Bruder rennt es sofort los und ist nach wenigen Metern auf und davon. Mir erklärt unser Sami-Guide dann die Grundregel: Halte das Rentier an der kurzen Leine und geh voran! Das klappt dann im Vergleich zu den übrigen Ausflugsteilnehmern recht gut. Manchmal erwecken „mein“ Rentier und ich den Eindruck, Spaziergang-Kumpels zu sein. Dann wieder bleibt Nummer 40 stehen und schaut seinen Artgenossen zu. Als uns kurz vorm Ziel weitere Rentiere, die sich losgerissen haben, entgegen kommen, ist auch bei Nummer 40 der Freiheitsdrang groß. Also lasse ich das Tier ziehen anstatt selbiges am Seil zu tun wie ein Berserker. Den Abschluss des Ausflugs bildet der Besuch eines kleinen Freilichtmuseums zur Sami-Kultur. Abends bleibt uns der Genuss von Elch-Fleisch verloren, denn das einzige Lokal in zu Fuß erreichbarer Umgebung in Kiruna, hat keinen Platz mehr frei. Also gibt’s zum Abschied noch eine Rentier-Pizza im Palladium und Saunieren im Vinterpaletset. Zum Flughafen am nächsten Vormittag benötigen wir ein Taxi, denn der öffentliche Nahverkehr ist mit Ablauf des Monats März und damit der Wintersaison eingestellt.

Lappland lohnt sich
Insgesamt ziehen wir ein positives Fazit unter unseren Schweden-Aufenthalt. Stockholm ist eine schöne und kulturell interessante Metropole, Kiruna eine Stadt im Wandel und der Winter in Lappland bietet Ruhe und Abenteuer gleichzeitig. Eine Übernachtung im Iglu ist ein Erlebnis, auf das wir nicht verzichten möchten, auch wenn mir diese Art der Übernachtung einmal genügt. Schweden wartet mit weiteren schönen Flecken und ganz anderen Natur-Eindrücken auf einen weiteren Besuch, für die ein Mietwagen die sinnvollere Art der Fortbewegung ist. Für unsere Bedürfnisse bei diesem Trip waren öffentliche Verkehrsmittel aber der richtige Weg. Tipp für Hundefans: Wer einen Hundeschlitten selbst lenken will, kann das bei Buchung im Voraus direkt vom Flughafen aus als Einstiegserlebnis machen. Mehr über Infrastruktur in und Reisetipps zu Schweden gibt’s hier!

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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