Haus Wienburg: Stark beschädigte Figuren zeugen von barocker Lebensart

La Nuit
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Schon 1905 stellte der Kunsthistoriker Ferdinand Koch in einer Veröffentlichung fest, dass in Münster mit den Werken der Bildhauerfamilie Gröninger „wenig pietätvoll“ umgegangen wird. Ein Beispiel dafür mag auch die im beklagenswerten Zustand befindliche Figurengruppe am Kaffeehaus Wienburg, ursprünglich ein alter Herrensitz, sein.

Wohl vor allem randalierende Kaffeehausbesucher betätigten sich im Laufe der Zeit als Kunst-Vandalen, sodass den allegorischen Figuren heute Köpfe, Arme und Beine fehlen. Zwei Figuren von insgesamt ursprünglich zwölf sind mittlerweile ganz verschwunden. Aber auch der Zweite Weltkrieg hat Spuren hinterlassen, weil durch die Druckwellen von Bomben die Figuren teilweise umgefegt worden waren.

Sicher hat sich schon mancher Besucher des Wienburg-Parks gefragt, wie die immer noch schönen und künstlerisch hervorragenden Figuren aus dem frühen 18. Jahrhundert ursprünglich ausgesehen haben und wie die Gruppe zu komplettieren sei.

Zunächst sieht man vom Haus Wienburg herkommend zwei Tageszeiten: den Abend (Le Soir) und die Nacht (La Nuit), unter einer dritten Statue sind nur noch die Buchstaben „L‘ A…“ zu erkennen. Es handelt sich um L’Aurore, die Morgenröte – der Morgen. Es fehlt Le Midy – der Mittag. Nicht einmal der Figurensockel findet sich noch. Dann folgen vier Temperamente (der Choleriker, der Melancholiker, der Phlegmatiker und der Sanguiniker), die als Figurengruppe vollständig sind. Am Ende der zwei nicht nur vom Zahn der Zeit angenagten Figurenreihen sieht man drei Jahreszeiten rund um eine polyedrische Sonnenuhr herum aufgestellt. Hier fehlt offensichtlich der Herbst (L’Automne). Dann folgt eine Mauer, die die äußere Begrenzung der einstigen barocken Gartenanlage darstellt, die heute zum Teil als Tennisplatz genutzt wird. Sie ist von einem Tor durchbrochen, das einst von zwei Vasen flankiert war, die Allegorien von Tag und Nacht trugen. Davon fehlt heute die linke Vase.

Im Stadtbereich Münster stellt die Gruppe „den bedeutendsten barocken Figurenpark dar“, so die Wertung der städtischen Denkmalschutzbehörde, die ihn auf eine Stufe mit dem Schlosspark Nordkirchen stellt. Die antikisierenden Gartenfiguren, die mit sprechenden Attributen versehen sind, zeugten vom hohen Bildungsniveau der Auftraggeber.

Als barocker Schöpfer wird der jüngste Spross der Bildhauerfamilie Gröninger, Johann Wilhelm Gröninger (1675 – 1724) angesehen, der künstlerisch stark aus Frankreich und den Niederlanden beeinflusst war. Die Werke Johann Wilhelms sind schlanker und graziöser als die seines Vaters Johann Mauritz Gröninger (1651 – 1708). Daher passt auch die Zuschreibung der Figurengruppe im Wienburg-Park.

In einem alten Aufsatz von Peter Werland über die Wienburg aus dem Jahr 1941 sind die Figuren noch komplett abgebildet, sie haben auch noch alle ihre Köpfe. Auch die das große Gartentor der Anlage flankierenden Vasen waren damals noch beide vorhanden. Die einst zwölf Figuren standen ursprünglich über das Gartengelände beim Kaffeehaus Wienburg verteilt. Erst in jüngerer Zeit wurden sie in zwei Reihen gesammelt und gegenübergestellt, um sie besser beaufsichtigen zu können. Die Restaurierung erfolgte 1977/1978. Davor befand sich die surreal zerstörte Figurengruppe in noch schlimmerem Zustand als heute. Einen Vorteil hat der schadhafte Zustand der durch Beschädigung noch antiker wirkenden Figuren: Man vergegenwärtigt sich an Ihnen ihr Alter und die Wirren der letzten Jahrhunderte. Schöne Kunst lädt auch oft zur Zerstörung ein, was ein Rätsel bleibt und Rätsel hinterlässt.

Bürgerreporter:in:

Burkhard von Grafenstein aus Regensburg

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