13. März 1943: Deportationsbeginn Münchner Roma und Sinti

Erlebtes Leid und Mahnung für eine von Rassismus freie Zukunft haben ein Gesicht: Peter Höllenreiner
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  • hochgeladen von Erich Neumann

Einer der dunkelsten Momente Münchner Zeitgeschichte wurde am 13. März bei einer Gedenkveranstaltung der Landeshauptstadt München gedacht: die Deportation von mindestens 141 Münchner Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, bei der vor Allem die Polizei eine verbrecherische Rolle spielte.

Zusammen mit eine Reihe von Cooperationspartnern, an deren Spitze die Madhouse gemeinnützige GmbH mit ihrem hoch engagierten Geschäftsführer Alexander Diepold, war beginnend am 08. März, dem Tag der einsetzenden Verhaftungswelle eine facettenreiche und tief bewegende Gedenkwoche initiiert worden, welche 75 Jahre nach den Ereignissen zwar spät, jedoch keinesfalls zu spät und angesichts des gegenwärtig mit unvorstellbarer Gesichtsvergessenheit wie Verantwortungslosigkeit neu aufkeimenden Extremismus, Hass, Nationalismus und Rassismus bitterst nötig ist.

Um 15.00 war am Platz der Opfer des Nationalsozialismus mit Grußworten, Kranzniederlegung, Namenslesung der Opfer und ökumenischem Gebet öffentlich gedacht worden, wobei die ca. 300 TeilnehmerInnen zweifelsohne dem Anlass entsprechend zu steigern gewesen wären, wenn insbesonders Schulen, wie auch Institutionen, Organisationen und Vereine eine gezielte Einbindung erfahren hätten, denn München hat schon oft, wie bsw. bei der legendären Lichterkette sein in der Bevölkerung verankertes Herz unter Beweis gestellt.

Um 19.00 waren geladene Gäste, an ihrer Spitze Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, während die beiden christlichen Konfessionen, ebenso wie übrige Religionen nicht vertreten waren, zu einer Gedenkveranstaltung im großen Sitzungssaal des Rathauses versammelt.

3. Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) räumte unumwunden ein, dass es viel zu lange gedauert hat, bis sich die Stadt München der Geschichte der Ausgrenzung, Entrechtung und planmäßigen Vernichtung der Sinti und Roma stellt und ihrer Opfer gedenkt. Dies umso mehr, als München als Zentrum der antiziganistischen, wie auch der antisemitischen Verfolgung eine ganz besonders unrühmliche Rolle spielte, deren Nährboden bereits lange vor 1933 geschaffen wurde. Es begann schon mit der Errichtung der sog. Ordnungszelle Bayern nach der blutigen Niederschlagung der 2. Münchner Räterepublik, als die Stadt zum Sammelbecken für Antidemokraten, fanatische Rassisten und Rechtsextremisten wurde!
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme waren in der damaligen “Hauptstadt der Bewegung“ sämtliche Dämme gebrochen und noch 1933 begannen der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler und der Leiter der Bayerischen politischen Polizei, Reinhard Heydrich, mit dem Aufbau eines polizeilichen Überwachungs- und Verfolgungsapparates, um Jagd zu machen auf Juden, Sinti, Roma und alle Anderen, die nach der SS-Ideologie nicht in deren Gesellschaftsbild passten.

Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä stand diesen deutlichen Eingeständnissen und Zukunftsmahnungen in Nichts nach, als er in atemberaubender Offenheit die Geschehnisse als ein Verbrechen aus rassistischen Gründen, begangen durch Angehörige und unter Mitwirkung der Münchner Polizei benannte.
Vor Bewusstsein der Vergangenheitsverantwortung verschließt die Münchner Polizei nicht die Augen vor der Schuld ihrer früheren Kollegen. Auch wenn wohl viel zu lange angenommen wurde, dass rassistische Vorurteile gegen Minderheiten nicht mehr vorhanden seien.
Dass sowohl in Teilen der Bevölkerung dahingehend unverblümt artikuliert wird, wie auch Personen, welche sich so äußern, sogar im Deutschen Bundestag sitzen, muss ein unüberhör- wie -sehbares Warnsignal an uns Alle sein!
Die Polizei versteht sich als Hüter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und tritt für die Sicherheit aller hier ebenden Menschen ein. Das war vor 75 Jahren nicht der Fall! Die Münchner Polizei hat im NS-Staat versagt und ihre eigenen Werte verraten. Dies darf nie wieder geschehen!

Romani Rose, Bürgerrechtsaktivist und seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, dankte vor seinem offiziellen Redetext sichtlich bewegt für diese beiden vorangegangenen und vor Allem für die noch wenigen Überlebenden so wichtigen Passagen.
Selbst nahm er alsdann Bezug auf die Verwurzelung von Sinti und Roma über Generationen. Familienfotos in Tracht oder als teils hochdekorierte Angehörige Bayerischer Regimenter sind letzte Spuren bürgerlicher Normalität und familiärer Geborgenheit, ehe der NS-Staat dies auf furchtbare Weise zerstörte, der Minderheit aufgrund menschenverachtender Rassenideologie kollektiv und endgültig das Existenzrecht absprach: nur weil sie als Sinti oder Roma geboren wurden.
Vom 5-monatgigen Säugling bis zur 79-jährigen Greisin reichte die Liste der Deportierten und teils erfolgte sie auch direkt von der Front noch in Uniform und mit den verliehenen Auszeichnungen daran, wie Rudolf Höß als Kommandant des Vernichtungslagers in seinen Aufzeichnungen festhielt.
Auch eine andere Aufzeichnung ist absolut erschreckend: der Tagebucheintrag von Michael Kardinal Faulhaber, den der Vater von Romani Rose um Hilfe für 14.000 Glaubensgeschwister bitten wollte. Zwar wurde er nicht vorgeladen, doch notierte der Kirchenfürst handschriftlich, also höchst selbst: “Nein, kann keine Hilfe für die Zigeuner in Aussicht stellen“. Eine geradezu Sinnbildhaftigkeit für eines von vielen moralischen Versagensaspekten diese Institution, bei der sich die mehrheitlich katholischen Familien angesichts der drohenden Vernichtung vergeblich Schutz und Beistand erhofften!
Die nach ihrer Befreiung in die alte Heimat zurück Gekehrten erwartete dort fortgesetzte Ausgrenzung und Leugnung der an ihnen begangenen Verbrechen, denn die Beamten aus dem SS- und Polizeiapparat, welche den Völkermord organsiert hatte, blieben weiter in Amt und Würden.
Um ihr eigene Schuld zu verschleiern, diskriminierten und diffamierten sie die Opfer erneut, indem sie infam behaupteten, die KZ-Verschleppungen wären aus “kriminalpräventiven Gründen“ erfolgt.
Gerade im neu gegründeten Bayerischen Landeskriminalamt konnten die vormaligen “Zigeunerexperten“ aus dem Reichssicherheitshauptamt ungehindert ihre rassistischen Praktiken fortsetzen. Dabei scheuten sie sich bei der grundgesetzwidrigen Sondererfassung der Überlebenden nicht einmal die, in Auschwitz eintätowierten KZ-Nummern als Erkennungsmerkmale zu registrieren!

Erich Schneeberger, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern Deutscher Sinti und Roma, reflektiere die Parallelen zu den Verfolgungen der Juden und das akribische Handeln des nahezu gesamten Behördenapparates, mahnte vor den vielschichtig und bedrohlich aufflammenden Tendenzen und begrüßte, wie sein Vorredner Romani Rose auch, sehr den am 20. Februar erst mit Ministerpräsident Horst Seehofer abgeschlossenen Staatsvertrag, für den alle im Bayerischen Landtag vertretenen Fraktionen ihre Zustimmung signalisiert haben, sodass er neben den bestehenden nationalen, wie internationalen Vereinbarungen ein wichtiger Garant dafür ist, dass die künftigen Generationen gleichberechtigt leben können und nicht mehr verheimlichen müssen, Sinti oder Roma zu sein.

Von der Verhaftungswelle am 08. März 1943, waren u. A. auch 30 Mitglieder der Münchner Sinti-Familie Höllenreiner betroffen. Einer ihrer wenigen Überlebenden, Peter Höllenreiner, erzählte alsdann aus einem Leben, das am 17. März 1939 in München begann und mit Levi, als dem Geburtsnamen der Großmutter auch auf jüdische Wurzeln verweist.
Der 17. März ist ein ganz bedeutender Tag für ihn, denn am 17. März 1982 sprach der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt erstmals vor dem Deutschen Bundestag über Völkermord.
37 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und für ihn am 43. Geburtstag auch deshalb viel zu spät, weil er entgegen den offiziellen Zahlen von 500.000 ermordeten Sinti und Roma von zumindest einer Million ausgeht, nachdem die Meisten ja überhaupt nicht registriert waren.
Nach dem Überleben von 4 Konzentrationslagern war Peter Höllenreiner wieder in seiner Heimatstadt ansässig, doch definiert er seine Herkunft noch heute als “verfolgter Deutscher“, da die jahrzehntelange Übersetzung in Duden und Lexika von “ziehenden Gaunern“ für Zigeuner eine Kriminalisierung in den Köpfen von Bevölkerung, Behörden und Justiz manifestierte.
Größtes Anliegen ist Öffentlichkeit für die Geschehnisse über Medien und Schulen zur Aufklärung speziell der Jugend als unser Aller Zukunft. Es muss zur Herzensangelegenheit aller Lehrkörper werden, dass alle Menschen gleich viel Wert sind und es keinerlei Rassismus geben darf: gegen Niemanden und Nirgendwo!
Die Stationen seines Lebensweges vom gehänselten und ausgegrenzten Schuljungen, über die Verweigerung von Lehrstelle und Ausbildung, die Vorurteile bei der Justiz – Sie haben doch die Schlechtigkeit schon mit der Mutterbrust eingenommen, ist ebenso ein ungesühntes wie abscheuliches Richterzitat, als die Autorin seines Buches “Der Junge aus Ausschwitz … eine Begegnung“, Anna-Maria Willer, wegen Bedrohungen ihren Wohnsitz aus dem Chiemgau verlegen musste und die seit 16. Mai 2016 der Polizei vorliegenden Briefe mit rechtsradikalem Inhalt (noch) zu keiner Ahndung führten – oder Neid und Missgunst bzgl. beruflichen Erfolg als Antiquitäten- und Schmuckhändler, führten zu vielen Traumata und bis heute anhaltenden Alpträumen.
Sie gipfeln in der Schilderung einer Kindheitserzählung seiner Mutter von einer ungarischen Filmschauspielerin. Auf dem Weg in die Gaskammer befahl der SS-Scherge ihr und dem 2-3 jährigen Kind unterschiedliche Wege. Als sich das Kind losriss und zu seiner Mutter rannte, packte es dieses SS-Monster an den Beinen und schlug es mit dem Kopf an die Wand. Zwei fürchterlich dumpfe Geräusche und es war tot.
Was um Alles in der Welt aber geht in den Köpfen der Menschen – verdienen sie noch als Mitglied der Gesellschaft gesehen zu werden? – welche 75 Jahre nach diesen Gräueln erneut in braun-rechtem Gedankengut den Weg zu was/wohin sehen?
Nach einem beklemmenden Moment der atemlosen Stille brandete der Applaus von Standing Ovations auf und war klar, dass Peter Höllenreiner vom Leben gezeichnet, jedoch nicht gebrochen ist, sondern eine Mission zu unser Aller Vorteil hat.
Geben wir – wann und wo immer es nur möglich ist – seiner Stimme Gehör!

Eine Wohltat für das Gehör war auch das Sandro Roy Trio, welches für hochqualitative musikalische Umrahmung im dafür international bekannten Niveau der Sinti und Roma sorgte.

Obwohl sogar eine Delegation aus Spanien und Serbien vor Ort war, zeigte sich die Weltstadt mit Herz nicht gerade von ihrer besten Gastgeberseite, als mit dem offiziellen Ende auch keine Möglichkeit zu einem weiteren Austausch mehr bestand und ein abruptes Auseinanderdriften der Teilnehmer wenig schönen Ausklang bedeutete, obwohl ein kleiner Stehempfang dies ebenso abgefangen hätte, als es dem Anlass angemessen gewesen wäre.

Erich Neumann, freier investigativer Journalist
über DFJ Deutsche-Foto-Journalisten e. V. www.dfj-ev.de
Medienunternehmer im Gesundheitsbereich
Postfach 11 11, 67501 Worms
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© Bild: www.cmp-medien.de CC – Erlebtes Leid und Mahnung für eine von Rassismus freie Zukunft haben ein Gesicht: Peter Höllenreiner
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Das Sandro Roy Trio sorgt für hochqualitative musikalische Umrahmung im dafür international bekannten Niveau der Sinti und Roma
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© Bild: www.cmp-medien.de CC – Romani Rose, Bürgerrechtsaktivist und seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Erich Schneeberger, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern Deutscher Sinti und Roma
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Erich Schneeberger und die Gäste
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Peter Höllenreiner und Alexander Diepold
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Standing Ovations für Peter Höllenreiner
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Sandro Roy Trio und seine Zuhörer
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä im Gespräch mit Romani Rose
© Bild: www.madhouse-munich.com CC – Flyer zur Gedenkwoche

Bürgerreporter:in:

Erich Neumann aus Kempten

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