Das Herz der Weltstadt mit Herz für Sinti und Roma?

Gesprächsrunde Ulrike Gote, Marcella Reinhardt und Romeo Franz
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Am 15. April 2018, 11.00, war – mit in den Osterferien bedingtem Zeitversatz – zu einem Empfang "Sinti und Roma in München und Bayern" in den Senatssaal des Bayerischen Landtages anlässlich des Internationalen Tag der Sinti und Roma geladen, der bereits am 08. April begangen wurde.

Die Landeshauptstadt München – besser bekannt als Weltstadt mit Herz – glänzte dabei mit Abwesenheit, hatte keinen, nicht einmal einen nachgeordneten Vertreter entsandt.
Verstand es so, die Blamage vom 13. März fortzusetzen, als der Festakt anlässlich 75 Jahre Deportationsbeginn Münchner Sinti und Roma im großen Sitzungssaal des Rathauses ein unsägliches Ende nahm.
Nach bewegenden Reden – insbesonders vom Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä, der den seinerzeit vorauseilenden Gehorsam der Münchner Polizei unmissverständlich als ein Verbrechen einstufte – nahm 3. Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) zwar noch Gastgeschenke der Delegationen aus Spanien und Serbien entgegen, überließ dann allerdings die Gäste mit kurzerhand erklärten offiziellen Ende sich selbst.
Dies ohne Möglichkeit zu einem weiteren Austausch, sondern vielmehr einem abrupten Auseinanderdriften der TeilnehmerInnen als wenig schönen Ausklang, obwohl ein kleiner Stehempfang dies ebenso abgefangen hätte, als er dem Anlass angemessen gewesen wäre.

Nach musikalischer Einstimmung des Duo Sunny Franz (Violine) und Aaron Weiß (Pian) begrüßte Landtagsvizepräsidentin Ulrike Gote (Bündnis 90 / Die Grünen) neben den ÜberbringerInnen der Grußbotschaften zu diesem Empfang, dessen Ehrengäste von KirchenvertreterInnen, Konsularischem Korps und Politik, sowie die rund 50 geladenen Gäste der Sinti und Roma selbst.
In Ihrer überzeugend einfühlsamen Rede bracht sie zwei klare Forderungen auf den Punkt: kein Schüler darf Bayerische Schulen je mehr ohne konkretes Wissen um die Verbrechen der Nazizeit und den Antiziganismus verlassen und Vertreter der Sinti und Roma gehören endlich in die Parlamente, sowie den Medienrat.

Erich Schneeberger, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern Deutscher Sinti und Roma, ließ die vielen Facetten der Unterdrückung, Diskriminierung und Ausgrenzung ebenso Revue passieren, als die Perspektiven des im Februar abgeschlossen und kurz vor der Ratifizierung stehenden Staatsvertrages, streifte aber auch die bedrohlichen Situationen im Balkan und den entgegen allen Berichten als sichere Herkunftsländer eingestuften Regionen, wie insbesondere dem Kosovo. Die Gleichstellung von Antiziganismus und Antisemitismus ist für ihn ebenso eine
Schlüsselthematik, als den ungebrochenen Negativklischees in der Medienlandschaft durch Vertretung im Rundfunkrat ein Gegengewicht zu stellen.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90 / Die Grünen) gab mit viel Herzblut zu erkennen, dass ihr das Minderheitenschicksal nicht nur politisches Pflichtprogramm, sondern eben sehr wohl Herzensangelegenheit ist. Ihrem Fazit “Heimat ist da, wo man dazu gehört und gebraucht wird!“ entsprach ebenfalls die klare Forderung der Parlamentspräsenz von Sinti & Roma.

Carolina Trautner, Staatssekretärin im Staatsministerium für Unterricht und Kultus, hatte nach den profilierten VorrednerInnen den unangenehmen Aspekt nicht gänzlich ohne Wiederholungen auszukommen, welche jedoch durchaus auch als Festigungen zu sehen waren und zollte insbesonders den Sinto & Roma dahingehend Respekt, dass das bisher Erreichte in erster Linie ihnen selbst zuzuschreiben ist.

Das Duo Franz/Weiß ließ mit einem zweiten Stück einmal mehr erahnen, welch wertvollen und wichtigen Beiträge seitens dieser Ethnien entgegen allem Verkennen zur Entwicklung der deutschen Kultur über die Jahrhunderte geleistet wurden.

Ulrike Gote hatte alsdann mit Marcella Reinhardt, der Vorsitzenden Regionalverband der Sinti und Roma in Augsburg und Romeo Franz, Geschäftsführer der Hildegard Lagrenne Stiftung und künftig für Bündnis 90 / Die Grünen als erster Sinto Mitglied im Europäischen Parlament zwei hochkompetente Gesprächspartner auf dem Podium.

Marcella Reinhardt berichtete mit oft stockender Stimme von den Befürchtungen um die Gefahren von geschichtlichen Neuauflagen nach dem Aufkommen der AfD und dem nahezu völlig fehlenden Gegensteuern von Politik und Bevölkerung. Ein Großteil der Sinti und Roma – in Schwaben steht sie mit einem oftmals 20-Stunden Tag für ca. 2.000 Personen – beginnt sich deshalb bereits wieder zurückzuziehen, die oft mühsam erarbeiteten Positionen aufzugeben.
Demotivierend die Feigenblattpositionen eine Augsburger Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl (CSU), der zwar die Gründung des Regionalverbandes begrüßte, damit aber sein Pulver mehr oder weniger bereits verschossen hatte.
Wenig verwunderlich, jedoch absolut untragbar daher, dass Jugendliche der Sinti und Roma
Allein aufgrund eines unspezifizierten Verdachtsmomentes mit beständiger Überwachung durch die Polizei konfrontiert waren. Und dies schon bevor das geplante Polizeigesetz in Kraft gesetzt ist. Wohin also soll die Reise gehen, wie den, auch abseits der rechtsextremen Rassisten bestehenden Ressentiment begegnen?
Demoralisierend zudem Ansagen wie: wir haben doch schon Behindertenarbeit als Antwort auf Gesuch um Fördermittel oder Situationen wie um die Halle 116, einen ehemaligen Augsburger Außenlager des KZ Dachau, welche nicht einmal den Status eines Denkortes hat und über deren gewerbliche Nutzung offen und laut, also schamlos nachgedacht wird, während ein Dokumentationszentrum eine angemessene Widmung wäre.
Große Hoffnung hegt sie daran, dass bei der Umsetzung des Staatsvertrages auch bewusst sei, dass Schwaben sehr wohl zu Bayern gehöre und er damit diese Region auch binde.

Romeo Franz verwies auf beachtliche, auch oder gerade über die Hildegard Lagrenne Stiftung für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland erzielte Errungenschaften und Fortschritte. Ein nur von Sinti und Roma realisiertes Projekt für Sinti und Roma. Es wurde am 25. Oktober 2012, also am Tag nach der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, durch die Stiftungsgründung aus der Taufe gehoben und nach Hildegard Lagrenne (1921 – 2007) benannt, welche die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma prägte und Zeit ihres Lebens für Bildung und die Bekämpfung des Antiziganismus eintrat.
Am Beispiel Power Club ist exemplarisch nachvollziehbar, wie das Selbstbewusstsein gestärkt und damit ein Übergang in die bestehenden allgemeinen Gruppierungen ermöglicht wird.
Sehr deutlich brachte Romeo Franz zur Sprache, dass die Denkmalseinweihung einen Abschluss der Vergangenheit ermöglichte, wie die Stiftungsgründung den Blick nach vorne, das Heraustreten aus der Opferrolle.
Schließlich gehören die seit Generationen hier lebenden Familien, welche ihre Toten hier beerdigt haben unverbrüchlich zu Deutschland, wofür nicht nur die Einsätze in den beiden verheerenden Weltkriegen zudem sprechen.
Unmissverständlich und nachdrücklich wurde auch der Finger in einige Wunden gelegt, wie die klassifizierten Menschenrechte entgegen der 2010 unterzeichneten Kinderkonvention, womit sich Politik und Regierung eindeutig und wiederholt strafbar machen, oder die entstehenden Tabuisierung bei den Zuzügen aus dem Osten mit den alten Stigmatisierungen, wie angebliche Armut, etc., obwohl nur 7 – 8 % auf Sinti und Roma entfallen.
Untragbar, dass im Zuge der aufkeimenden Negativtendenzen selbst Jugendliche, wie seine eigene Tochter, angegangen wurden, wo sie denn herkommen!
Flammend der Appell, dass in logischer Konsequenz die Staatsverträge sich damit nicht in Alibifunktionen verlieren dürfen, aus denen man sich – wie ständig zu beobachten – immer wieder heraus zu lavieren sucht.
Bewährt hat sich das Ratsmodell in Baden-Württemberg bei 12 Mitgliedern mit 6 Vertretern der Sinti und Roma, sowie 6 der wichtigsten Repräsentanzinstitutionen/-organsiationen der Mehrheit inkl. einem Staatsministerium.
Die Erwartungshaltung ist klar und eindeutig auf die Akzeptanz der, in einer keineswegs homogenen Ethnie demokratisch getroffenen Entscheidungen ausgerichtet, denn die Sinti und Roma können für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Einigkeit als Minderheit zumindest ebenso stark ausgeprägt ist, als jene, welche die Mehrheit in ihren Parlamenten antrifft.

Das Duo Sunny Franz und Aaron Weiß beendete mit seinem dritten Stück den offiziellen Teil der bei bewährter Bewirtung durch die Landtagsgastronomie in angeregte Gesprächsrunden überging, die mit vielen neuen, wie Mut machenden und Zuversicht gebenden Aspekten ausklangen.

Erich Neumann, freier investigativer Journalist
über DFJ Deutsche-Foto-Journalisten e. V. www.dfj-ev.de
Medienunternehmer im Gesundheitsbereich
Postfach 11 11, 67501 Worms
GSM +49 160 962 86 676
e-Mail e.neumann@cmp-medien.de
www.cmp-medien.de

© Bild: www.cmp-medien.de CC – Gesprächsrunde Ulrike Gote, Marcella Reinhardt und Romeo Franz
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Begrüßung Ulrike Gote
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Grußwort Erich Schneeberger
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Grußwort Claudia Roth
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Grußwort Carolina Trautner
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Die Gäste im …
© Bild: www.cmp-medien.de CC – … Senatssaal des Bayerischen Landtages
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Protagonisten des Empfanges: KZ-Überlebender Albert Wolf, Marcella Reinhardt, Erich Schneeberger, Ulrike Gote, Romeo Franz, Claudia Roth, Carolina Trautner, KZ-Überlebender Hermann “Mano“ Höllenreiner (l. n. r.)
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Duo Sunny Franz (Violone) und Aaron Weiß (Piano)
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Empfangsthema
© Bild: www.cmp-medien.de CC – Programmverlauf

Bürgerreporter:in:

Erich Neumann aus Kempten

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