Bildreiche Erinnerungskultur: Bögen in Bogenhausen

"Schrei 10:43 Uhr", 2017, Tusche auf Papier, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer
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  • hochgeladen von Karl-Uwe Lehmann

Kunstinitiative „Memory Gaps ::: Erinnerungslücken“ von Konstanze Sailer gedenkt NS-Opfern mit Ausstellungen in Münchner Straßen, die es geben sollte.

Ernst Tockus (* 28. September 1936 in München; † 1943 im Vernichtungslager Auschwitz), war mit seiner Familie, wohnhaft am St.-Pauls-Platz 11/III, bereits 1938 nach Antwerpen geflohen. Ab Mai 1940 wurde Belgien von NS-Deutschland militärisch besetzt, die jüdische Familie wurde verhaftet und in der Kaserne Dossin, dem SS-Sammellager in Mechelen/Malines bei Brüssel festgesetzt. Von dort wurde Ernst Tockus gemeinsam mit seiner Mutter Grete und Schwester Ruth, am 15. Januar 1943, in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und vermutlich kurz nach seiner Ankunft – im Alter von sechs Jahren – ermordet.

Bis zum heutigen Tag existiert in München keine Straße, die seinen Namen trägt. Hingegen ist nach der Lyrikerin Ina Seidel seit 1984 eine Straße, der Ina-Seidel-Bogen, in München Bogenhausen benannt, ebenso wie Straßen und Wege in über drei Dutzend weiteren Städten und Orten Deutschlands. Seidel unterzeichnete 1933 nicht nur das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler, ihre Artikel und Gedichte während der NS-Diktatur zeugen von aufrichtigem „Führerglauben“ und sind voll von Huldigungen an Hitler. Anstelle von Ina Seidel sollte in München Bogenhausen künftig an Ernst Tockus erinnert werden.

Die Kunstinitiative der Malerin Konstanze Sailer wird mit einer weiteren Ausstellung von Tuschen auf Papier in virtuellen Räumen eröffnet. Die Galerien befinden sich ausnahmslos in Straßen oder an Plätzen, die es nicht gibt, die es jedoch geben sollte: solche mit Namen von Opfern der NS-Diktatur. Monat für Monat wird so das kollektive Gedächtnis erweitert. Monat für Monat werden damit Erinnerungslücken geschlossen.

Memory Gaps ::: Erinnerungslücken zeigen eine Auswahl aus tausenden Tuschen auf Papier aus zehn Jahren. Sie stellen Schreie und Aufschreie von Opfern dar. Zum schmerzerfüllten Aufschrei geöffnete Münder und Kiefer. Abstrakte Darstellungen von Schreien in Ghettos, Konzentrationslagern und NS-Tötungsanstalten – gemalte Erinnerungskultur. Seit drei Jahrzehnten arbeitet die aus Heidelberg stammende und in Wien lebende Künstlerin zu den Themen Antlitz, Schädel und Tod. Tusche auf Papier wurde als Technik gewählt, um der "Filigranität" jener „Papierfetzen“ nachzuempfinden, auf denen in Konzentrationslagern inhaftierte Künstler – zumeist im Geheimen – ihre Kunstwerke herstellten.

Zur Ausstellung von Memory Gaps ::: Erinnerungslücken, tägl. bis 31. Mai 2017, Eintritt frei

Bürgerreporter:in:

Karl-Uwe Lehmann aus Berlin

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