Nachgedacht: Hat das dörfliche Ehrenamt Zukunft – und wenn ja, wozu eigentlich?

Urbanisierung, Flüchtlingsdebatte, Pluralisierung, demografischer Wandel. Es gibt derzeit viele Themen und Entwicklungen, die unseren Alltag – den Alltag einer im ländlichen Umfeld gelegenen Gemeinde – grundlegend verändern. Und immer auch spielt das Ehrenamt eine Rolle. Vor allem, wenn es zur Hilfe dient, wenn es direkt Menschen, die von diesen Veränderungen negativ betroffen sind, unterstützt und ihnen Halt gibt. Das Ehrenamt ist eine Institution, die immer noch Aktualität besitzt.

Das Ehrenamt wie es Dorfvereine ausüben nimmt in dieser Hinsicht eher eine Sonderrolle ein. Während andere Beispiele unentgeltlichen Engagements, beispielweise Flüchtlingshelfer, ehrenamtliche Pfleger oder Streetworker, vor allem da sind, um Abhilfe zu schaffen, Abhilfe bei Armut, Bedrohung oder Hilflosigkeit, befassen sich Dorfvereine eher mit dem Alltag.

Und dennoch sehen wir auch in diesem Alltag eine Art Engagement, wenn nicht eine Art Lebensstil, der unglaublich viel Gutes in sich trägt. Der ebenfalls für Ideale steht. Und der Werte beinhält derentwegen es sich lohnt, für die Erhaltung dieser Art von Organisation zu kämpfen. Jedoch werden diese Ideale viel zu wenig beachtet, selten erwähnt und – was fast noch schwerer wiegt – oftmals auch seitens der Vereine viel zu wenig gelebt.

Welche Ideale hat eigentlich ein Dorfverein?

Das Vereinsregister der Marktgemeinde Meitingen führt an die 60 Vereine unterschiedlichster Art. Ein Großteil verteilt sich auf seine Dörfer. Wenn man deren disziplinarische Unterschiede – Sport, Feuerwehr, Landschaftspflege, etc. – mal beiseite lässt, tun doch alle dasselbe: Sie „vereinen“ Menschen, vereinen das Dorf. Sie „mischen“ und durchmengen es, unabhängig von Bildungshintergrund oder Herkunft. Das, was in urbanen Räumen, in Städten und ihren Trabentensiedlungen zu verschwinden droht, das Bewusstsein für das Gemeinsame, die Solidarität, das Miteinander, all dem müssen und sollen die Vereine entgegenstehen. Sie müssen Plattformen organisieren, die sich Menschen teilen können und wollen, um gemeinsam Ziele zu verwirklichen, ohne dass es ständig nur die eigenen sein müssen.

Jedoch scheinen viele dieser Organisationen nicht einmal wirklich bestrebt zu sein, neue Mitglieder anzuziehen, oder besser gesagt: „Andere“ Mitglieder anzuziehen. Vorurteile sind hier ein entscheidender Faktor. Vermutlich auch Gewöhnung. Hieraus resultierte über die letzten Jahrzehnte eine gewisse Isolierung. Vereine sind schon lange kein Querschnitt des Dorfes mehr. Oft scheinen es mehr geschlossene Gesellschaften zu ein, gar Freundeskreise, die eine unbedingt notwendige Offenheit vermissen lassen.

Es braucht eine neue Orientierung. Es fehlt eine authentische Art und Weise, Ideale nicht nur zu definieren, sondern auch zu leben, Ideale wie Akzeptanz, Offenheit und Gemeinschaft. Und diese Ideale sollen das verbindende Element aller Vereine in einem Dorf, einer Gemeinde, einer Region sein. Dies ist die eigentliche Kultur, die es zu erhalten gilt: Die Kultur des Miteinanders der Vereine untereinander und nicht zuletzt des Miteinanders mit dem Menschen – auch außerhalb des Vereins.

Plattformen schaffen, die sich Menschen teilen können – und auch wollen

Es muss einer Entwicklung weg bereitet werden, die nachhaltig ist. Vereine leben vom langfristigen Engagement. Jedoch ist das, was viele Vereine derzeit unternehmen, alles andere als langfristig gedacht. Statt sich um Öffnung, Attraktivität und mehr Flexibilität im Bezug auf Aufgaben und Verantwortungsbereiche innerhalb des Tagesgeschäfts zu bemühen, wird oftmals die Schuld auf alles andere geschoben, als sich selbst. Man ist Opfer eines Schicksals, das einem rücksichtslos aufgedrängt wird. Dass Veränderungen beständig und unvermeidbar sind und Anpassungsfähigkeit erfordern, das will sich niemand eingestehen.

Und so entfernen sich Vereine immer mehr vom Dorf, letztendlich auch von der Realität. Es scheint nur noch den Vollblut-Ehrenamtler zu geben, den Vereinsmayer. Das Engagement Einzelner in mehr als einem Verein scheint die Antwort auf alle Probleme das zu sein. Man kickt sonntags im Sportverein mit, freitags besucht man die Feuerwehrübung, samstags den Schützenabend und hilft bei allen möglichen Festen des Dorfes mit. Es ist beachtenswert, wenn sich eine Person dafür entscheidet, derartig viel für die Vereine zu leisten. Jedoch darf hieraus nicht die Erwartungshaltung resultieren, dass das nun doch bitte alle machen sollen!

Isolierungsgefahr - Das „Wir“ beschäftigt sich zu sehr mit dem „Uns“

Denn es tritt auf, was die Ökonomen bereits als „Kannibalisierungseffekt“ bezeichnet haben: Mehrere Ämter, die von einer einzigen Person erfüllt werden, sind nun mal vergeben. So weit, so gut. Aber ein allzu engagierter Ehrenamtler „frisst“ somit möglichen Interessenten den Posten weg, zumal gerade die kleinen Dinge einen attraktiven Zugang zum Verein darstellen. Sollten Vorstände gleichzeitig beispielsweise als Zeugwart, Kommandant oder Fahnenbegleiter fungieren, dann schließt sich automatisch die Tür für diejenigen, die in diesem Amt einen angenehmen, begrenzten Beitrag zum Vereinsleben gesehen hätten – und diesen auch gerne wahrnehmen würden. Das gleiche gilt ebenso für helfende Hände bei einem Dorffest. Was sollte leichter fallen, als einmal im Jahr einen kleinen Beitrag zum ohnehin erlebenswerten Höhepunkt des Vereinsjahres zu leisten?

Dennoch hält sich diese Art von Umgang hartnäckig: Es ist bequem jemanden zu involvieren, den man bereits kennt, einen „Vertrauten“, einer, der denkt wie „wir“. Der eine, durch Lob geschmeichelt, erfüllt voller Hingabe die ihm anvertrauten Posten, die anderen, letztendlich entlastet, sind froh, scheinbar eine helfende Hand gewonnen zu haben. Dass dies nur zur weiteren Isolierung führt spielt zunächst keine große Rolle. Es ist ein Teufelskreis.

Das Ehrenamt als Kulturträger in dörflichen Regionen besitzt mehr Berechtigung denn je. Es ist eine Kraft, die der wachsenden Anonymität in unserer Gesellschaft entgegenwirken kann und dafür sorgt, Akzeptanz zu schaffen. Akzeptanz für ein Miteinander aller. Denn jeder kann noch etwas Anderes, Öffentliches es darstellen und dennoch bewahren, was er für sich im privaten als eigentlich lebenswert erachtet. Hierzu müssen die Dorfvereine wieder öffentliche Räume werden. Sie müssen es schaffen, Menschen langfristig für den Dienst im Verein zu begeistern, ohne sie zu „knebeln“. Wir leben nicht gegen das Dorf, sondern mit dem Dorf.

Jeder kann noch etwas anderes, öffentliches sein

Es bedarf also einer Neuausrichtung des dörflichen Ehrenamts, einem Kurswechsel, der zur Öffnung beiträgt. Hierfür gibt es keine Blaupause, ein jedes Dorf hat hier seine eigene Identität, seine eigene Vereinslandschaft, seinen eigenen Typus Ehrenamt, den es zu beleben und zu berücksichtigen gilt. Nicht nur zur Modernisierung, sondern aus Notwendigkeit.

Bürgerreporter:in:

Maximilian Braun aus Meitingen

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