StVV Marburg Haushaltsdebatte

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Neoliberale das Tages:
Marburger Sozialdemokraten

Traditionell findet im Stadtparlament anlässlich der jährlichen Verabschiedung des städtischen Haushalts eine politische Generaldebatte statt. Diese fiel am vergangenen Freitag besonders heftig aus. Aus Sicht der Marburger Linken leitet der Beschluss über den Haushalt 2017 nicht weniger als eine „politische Zeitenwende“ ein, nachdem unsere Stadt 19 Jahre durch eine SPD-Grünen-Regierung geführt worden war.

Die SPD und ihr Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies setzen zukünftig auf eine Kooperation mit BfM und CDU. Das erste Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist ein Kürzungshaushalt für 2017, der Streichungen im Sozial- und Kulturbereich sowie beim Klimaschutz vorsieht. Ein vermeintliches strukturelles Haushaltsdefizit muss zur Legitimation herhalten. Das neoliberale Dogma, die Unternehmen möglichst nicht an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, hat jetzt auch Marburg endgültig erreicht.

Auch eine Protestkundgebung von mehreren hundert Marburger_innen konnte die SPD nicht von ihrem Rechtsschwenk abhalten. In der Haushaltsdebatte ging die Marburger Linke mit dem neuen Kurs scharf ins Gericht. Die Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich beschädigen die städtische Infrastruktur und tragen kaum zur Verbesserung des Haushalts bei. Auch die neue große Koalition geht vor den Interessen der Großunternehmen in Gestalt der Pharmariesen und der DVAG in die Knie.

Die Marburger Linke fordert hingegen, auch über eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes notwendige Einnahmen der Stadt zu generieren. Das viel beschworene Argument, Arbeitsplätze könnten verloren gehen, überzeugt nicht. Weil die Unternehmen selbst darauf verweisen, dass der „Standort“ Marburg nicht in erster Linie aufgrund niedriger Gewerbesteuern, sondern wegen der guten sozialen und kulturellen Infrastruktur attraktiv sei. Schließlich wählen viele hochqualifizierte Arbeitskräfte Marburg deshalb als Arbeits- und Wohnort.

Das Niveau der Debatte war nicht immer hoch. Der ehemalige CDU-OB-Kandidat Dirk Bamberger behauptete, die Marburger Linke könne nicht rechnen. Dabei hatte diese detailliert nachgewiesen, dass die Argumente für eine niedrige Gewerbesteuer allesamt an den Haaren herbeigezogen sind. Deshalb kann man die Behauptung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Simon, die Positionen der Marburger Linken seien „populistisch", nur als hilflos bezeichnen.

Die Redner_innen von SPD, CDU und Bürgern für Marburg (BfM) waren offensichtlich schwer davon getroffen, dass die Einschüchterungsversuche des Oberbürgermeisters Spies gegenüber den von der Kürzungspolitik betroffenen Kultur- und Sozialinitiativen nicht nur erfolgreich waren. Mehrere hundert Menschen protestierten auf dem Marburger Marktplatz. Die CDU konnte es nicht lassen, der Marburger Linken „Klientelpolitik“ und „Empörungsfolklore“ zu unterstellen. In einer Endlosschleife wurde von den kommenden Koalitionären der angeblich mangelnde Wille zur Verantwortung und „fehlender Realismus“ bei der Marburger Linken moniert.

Neben den Kürzungen im Bereich der Sozial und Kulturpolitik, sind auch ökologisch sinnvolle Projekte betroffen und stehen vor dem Aus. So sparen die künftigen Koalitionäre die Stelle einer Klimabeauftragten ein. Der Radwegebau wird radikal zusammengestrichen. Daneben drohen neue Parkhäuser und eine einseitige Förderung des motorisierten Individualverkehrs, wie es der neue Bürgermeister in spe, der Fraktionsvorsitzende der Marburger CDU Wieland Stötzel, bereits ankündigte. Die Marburger Sozialdemokratie muss sich fragen lassen, wie sie diese Entwicklung mit ihrem Versprechen „Wir werden den eingeschlagenen Weg zur Verkehrsberuhigung und zur Reduzierung des Kraftverkehrs in der Innenstadt fortsetzen“ aus den beiden letzten Kommunalwahlprogrammen vereinbaren will.

Zwar feiert die SPD den verabschiedeten Haushalt als „mutigen Schritt“, der die bestehenden Infrastrukturen nicht in Frage stellt. Doch die Realität sieht leider anders aus: Die Einsparungen treffen all jene Projekte in der Stadt, die auf unterster Ebene der Stadtgesellschaft mit geringen finanziellen Mitteln soziale Ungleichheit erfolgreich bekämpfen können. Wie Hausaufgabenbetreuungen, die nun nicht aufrechterhalten werden können. Oder die Arbeit der Musikschule oder der Kunstwerkstatt, die bisher auch Kindern und Jugendlichen aus ärmeren Haushalten Zugang zum gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen konnten.

Die SPD-Stadtverordnete Sonja Sell bemühte gar Karl Marx' Metapher vom Kapital als scheuem Reh um diese Kürzungspolitik zugunsten der Unternehmensgewinne zu rechtfertigen. Um es sich mit der Marburger Geschäftswelt nicht zu verderben, wird eine Politik auf Kosten der materiell benachteiligten Marburger_innen betrieben und die Stadtpolitik in die Hände der rechtskonservativen CDU samt ihren wirtschaftsliberalen Renditejägern der BfM gelegt. Ein, im wahrsten Sinne des Wortes, „schwarzer“ Tag für die Stadt Marburg.

Eine gute Nachricht ist noch zu vermelden. Auf unseren Antrag hin und mit den Stimmen von SPD und Grünen, bei Gegenstimmen der CDU, hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, die Stadtverwaltung aufzufordern, alle rechtlichen Spielräume zu nutzen, um Abschiebungen nach Afghanistan zu verhindern. Zudem fordern die Stadtverordneten die Ausländerbehörde der Universitätsstadt Marburg sowie die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) beim Regierungspräsidium Gießen auf, keine Abschiebungen in das Kriegsgebiet Afghanistan anzuordnen und appellieren an das Land Hessen, Abschiebungen von Menschen afghanischer Herkunft auszusetzen und sich nicht an den Sammelabschiebungen des Bundes zu beteiligen.

Am Abstimmungsverhalten zeigt sich, dass es doch möglich ist, die Mitte-Rechts-Koalition in Verlegenheit zu bringen. Daran werden wir mit konstruktiver aber deutlicher, linker Oppositionspolitik weiter anknüpfen.

Die Rede von Jan Schalauske, Fraktionsvorsitzender der Marburger Linken, in der Haushaltsdebatte hier nachlesen.

Jan Schalauske, Vorsitzender DIE LINKE. Hessen und Fraktionsvorsitzender Marburger Linke
Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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