Sahra Wagenknecht im Kreuzfeuer der Kritik

Sahra Wagenknecht veröffentlichte eine Pressemitteilung mit diesem Inhalt:

„Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Auch wenn die konkrete Aufklärung der Hintergründe des Anschlags von Ansbach noch abgewartet werden muss, kann man doch schon so viel sagen: Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“, erklärt Sahra Wagenknecht nach dem jüngsten Anschlag in Ansbach. Die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:

„Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten.“

Und was passiert: Ein shitstorm bricht los! Es hagelt Kritik von vielen Seiten.

Warum eigentlich?

Das kommt davon, wenn (zu) kurze Statements rausgehauen werden. Ein Tag vorher hat Sahra Wagenknecht im Sommerinterview mit (naja eher gegen) Thomas Walde sehr vernünftig und richtig argumentiert. Ihr aus einer missglückten Pressemitteilung einen Strick drehen zu wollen, halte ich für völlig überzogen. Zumal sie inzwischen klar festgestellt hat:

»Meine gestrige Stellungnahme zum Selbstmordattentat in Ansbach hat, wie die Kommentare zeigen, offenbar zu Missverständnissen geführt. Es ging mir weder darum, die Aufnahme von Flüchtlingen zu kritisieren noch alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Das habe ich weder gesagt noch gemeint.

Im Gegenteil, ich habe schließlich nur einen Tag zuvor im ZDF Sommerinterview unmissverständlich gesagt, dass das Asylrecht verteidigt werden muss und es keine Obergrenzen geben kann. Rassistische Parolen und pauschale Verdächtigungen von Schutzsuchenden habe ich immer wieder mit aller Deutlichkeit kritisiert. Es ging mir darum deutlich zu machen, dass die Integration einer derart großen Zahl von Menschen eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre ist und um die Kritik an Merkel, die im letzten Herbst zwar ihr "Wir schaffen das" fleißig gepredigt, bis heute aber unterlassen hat, die notwendigen sozialen und politischen Voraussetzungen zu schaffen, die gebraucht werden, damit Integration gelingen kann.

Der Staat, seine Kommunen, sein Sozialwesen, seine Frühwarnsysteme wie die Soziale Arbeit, die Bildungseinrichtungen, die Verwaltung vor Ort, der soziale Wohnungsbau und auch die Polizei: das alles wurde in den zurückliegenden Jahren weggespart und abgebaut.

Und auch seit letzten Herbst ist ausgesprochen wenig geschehen, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Ich war davon ausgegangen, dass man nicht in jeder Stellungnahme alles noch einmal sagen muss, aber offenbar hat das zu den Fehlinterpretationen geführt. Deshalb möchte ich das hiermit ausdrücklich richtig stellen«

Es ist jedem Menschen völlig unbenommen, die Aussagen von Sahra Wagenknecht in der Öffentlichkeit zu kritisieren. Aber gerade wenn ich der Fraktionsvorsitzenden einen Fehler vorwerfe - und die PM vom Montag hat auch mich zunächst aus den Socken gehauen -, sollte ich kurz darüber nachdenken, was da eigentlich passiert.

Jedem halbwegs prominenten Mitglied der Partei muss klar sein, dass jede öffentliche Kritik als Steilvorlage zur Demontage der gesamten Partei DIE LINKE genutzt wird. Siehe beispielhaft diesen infamen Artikel in der FR.

Ich bin mir ziemlich sicher: "Wir schaffen das" ohne Unterfütterung durch eine Änderung der Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in wesentlichen Elementen, wird diese Gesellschaft sprengen. Und ist zudem Wasser auf die Mühlen derjenigen, die mit Abschottung und "Teutschem Wesen" Honig aus den Problemen saugen.

Die NachDenkSeiten kommentieren: »Mit der bedingungslosen Unterstützung der Flüchtlingspolitik Merkels katapultiert sich die Linke selbst ins Aus. Merkels Grenzöffnung im Herbst letzten Jahres war ein genialer innenpolitischer Coup. Man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: die Linke ist paralysiert, jeder sozial konnotierte Protest, der sich an der Flüchtlingsfrage entzündet, lässt sich sofort als rechts und fremdenfeindlich delegitimieren. Das Protestpotential greift die AfD ab und macht es damit kontrollierbar.«

Und ich fürchte die Kommentator_in hat - leider - Recht.

Willi Denayer schreibt in einem Artikel über die Labour Party und deren _Vorsitzenden Jeremy Corbyn: »Es ist offensichtlich, was vor unser aller Augen geschieht: Die kapitalistische Globalisierung zersetzt das soziale Gefüge von Gesellschaften rund um die Welt, zerstört die Solidarität zwischen Menschen und schafft ein anonymisiertes, hyperindividualisiertes Klima harten Wettbewerbs, der Einsamkeit und des Überlebenskampfes. Menschen bleiben ohne Zukunftsaussicht, fühlen sich konstant von irgendetwas oder irgendjemanden betrogen, das oder den man nicht präzise benennen kann ‒ und was in immensen Zorn mündet. Es ist leicht, unter solchen Voraussetzungen den Beschuldigungen fremdenfeindlicher Propaganda anheim zu fallen.«

In diesem Spannungsfeld ist es in meinen Augen töricht und kontraproduktiv sich im Umfeld und innerhalb der Partei DIE LINKE gegeneinander zu verkämpfen. Und das tun wir gerade. Die Nutznießer_innen lachen sich ins Fäustchen. Der eigentliche politische, ökonomische und gesellschaftliche Skandal bleibt außen vor.

Wer wirklich glaubt, FR, Handelsblatt, SZ, taz und Co streben eine andere, menschlichere und sozial gerechtere Gesellschaft an, glaubt vermutlich auch noch an den Weihnachtsmann. Diese Publikationen veröffentlichen in aller Regel Artikel der Propheten des "freien Marktes", der Schuldenbremse und des Sozialkahlschlags. Wir sollten uns hüten diesen falschen Propheten zu folgen.

Siehe auch: Sahra Wagenknecht und der „Aufstand“ der Linkspartei – worüber regt Ihr Euch überhaupt auf?

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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