Sahra Wagenknecht: Die Sarrazin der Partei DIE LINKE?

Replik auf den Artikel von Thomasz Konicz „Die Sarrazin der Linkspartei“ auf Telepolis

„Die Sarrazin der Linkspartei“ ist der Artikel überschrieben, in dem Thomasz Konicz wortreich begründet, weshalb ein „linker Populismus“ prinzipiell nicht möglich sei. Und nur zu Anpassung an national-soziale Bewegungen führen könne und letztlich darin aufgehe. Der Artikel kann durchaus als Abrechnung mit Sahra Wagenknecht gelesen werden, einer der wenigen Personen in der Partei DIE LINKE, die bundesweit eine gewisse Strahlkraft erreichen. Böswillige nennen dies: Demontage.

Die mediale Aufregung um die Pressemittelung von Sahra Wagenknecht vom 25. Juli ist kaum abgeklungen, legt Thomasz Konicz auf Telepolis, einem Blog von „heise online“ nach. Vergessen wir mal die Petitesse, dass Sahra Wagenknecht Mitglied der Partei DIE LINKE und Co-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und nicht irgendeiner „Linkspartei“ ist. Der Angriff auf Sahra Wagenknecht wird von Thomasz Konicz kurz und bündig so formuliert: „Wirr ist das Volk“. Weil die gesellschaftliche Matrix den „gesunden Menschenverstand“ auf die Zumutungen der Moderne bereits soweit konditioniert habe, dass »die "Denkformen" und Begriffe des öffentlichen Diskurses für gewöhnlich nicht hinterfragt werden, da sie längst als selbstverständlich gelten«.

Wenn man diesen Gedanken konsequent weiterführt, ist jede politische Arbeit sinnlos, die von den realen Verhältnissen ausgeht. Und politische Parteien, die gegen die realen Verhältnisse anstinken wollen, bestenfalls nutzlos - oder schlimmstenfalls nützliche Idioten. Denn die realen Verhältnisse sind präformiert durch die kapitalistischen Randbedingungen. Spätestens an dieser Stelle müssten alle Alarmglocken auf der linken Seite des politischen Spektrums anspringen und in voller Lautstärke schrillen.

Die politische Linke und die Partei DIE LINKE sollen schweigen, weil der Gegner übermächtig ist? Sich nur noch theoretisch äußern und nicht praktisch an den vorgefundenen Lebensverhältnissen anschließen? Da scheinen aber bei Thomasz Konicz und anderen die "objektiven Gedankenformen" des Kapitalismus ein gewisses Durcheinander in der Gedankenführung hervorzurufen.

Nehmen wir den Themenkomplex „Flucht, Geflüchtete, Aufnahme von Geflüchteten“. Es steht außer Frage, dass die Bundesrepublik Deutschland das Potential hat, die vielen Geflüchteten, die bisher kamen - und noch kommen werden – menschenwürdig zu versorgen und ihnen eine Lebensperspektive zu bieten. Es steht aber auch außer Frage, dass dies ohne Änderung der bisherigen Wirtschafts-, Außen-, Entwicklungs- und Sozialpolitik nicht zu schaffen sein wird.

Die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, die Kosten der medizinischen Betreuung für Geflüchtete den gesetzlichen Krankenkassen und damit deren Beitragszahlern ohne ausreichende Kompensation aufs Auge zu drücken, steht exemplarisch für viele falsche Entscheidungen, die Wasser auf die Mühlen der Abschotter und Grenzzieher leiten. Die Versorgung der Geflüchteten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und somit gesamtgesellschaftlich zu finanzieren. Wie sagt der andere „Linkspopulist“ Oskar Lafontaine völlig richtig: „Der Tisch für die Flüchtlinge muss von den Reichen gedeckt werden“ - über Vermögenssteuern oder Vermögensabgaben.

Wenn in dieser konkreten Situation sich Frau Merkel hinstellt und sagt: „Wir schaffen das“ ohne ihre bisherige falsche Politik bei der Bekämpfung der Fluchtursachen und der sozialen und ökonomischen Probleme in der Bundesrepublik Deutschland auch nur ansatzweise in die richtige Richtung zu korrigieren, kann doch DIE LINKE nicht dabei stehen und lediglich beifällig ebenfalls „Wir schaffen das“ murmeln!

Allerdings ist es wohl auch nicht ausreichend, verbalradikal „das System“ anzugreifen und zu kritisieren. Sondern es müssen konkrete politische Schritte mit einer „Machbarkeitsperspektive“ entwickelt werden. Die vielfältigen und weit verbreiteten Proteste gegen TTIP und CETA zeigen, dass das neoliberale Denken sich eben noch nicht vollständig in den Köpfen durchgesetzt hat.

Damit sind wir bei den Bundestagswahlen 2017. Was spricht denn dagegen, von Stund an für eine rot-rot-grüne Option zu werben, mit der die neoliberale Agenda gestoppt und umgekehrt werden kann? Was spricht dagegen, Sahra Wagenknecht zur Gallionsfigur einer solchen Bewegung zu küren, in der Mitglieder der Partei DIE LINKE, von SPD, Grünen, Piraten und Parteilose zusammenarbeiten, um gemeinsam eine Mehrheit diesseits der Union zu organisieren? Das wird schwer, ist aber nicht völlig unmöglich.

Den Kern dieser tatsächlichen „Alternative für Deutschland“ sollten zunächst konkrete Verbesserungen der Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa bilden. Dazu gehören die deutlichen Erhöhungen der Transferleistungen, eine gravierende Anhebung des Mindestlohns, die Wiederbelebung der gesetzlichen Rentenversicherung nach österreichischem Muster, eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus in öffentlicher Hand, die Wiedererhebung einer Vermögenssteuer, eine Reform der Erbschaftssteuer, die Einführung einer Kapitaltransaktionssteuer, eine Unterstützung von deutlichen Lohn- und Gehaltssteigerungen, die Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr, ein rationaler Umgang mit Russland und eine Politik nach außen, die mit den ökonomischen Erpressungen zu Gunsten europäischer Konzerne weltweit Schluss macht.

Die Aufzählung der Punkte ist sicherlich nicht vollständig. Dennoch: Mit diesen Inhalten und der Botschaft, diese Inhalte auch parlamentarisch durchsetzen zu können - Machtperspektive wird das genannt -, ließe sich auf der politischen, parlamentarischen Bühne sicherlich einiges bewegen. Was dazu nötig ist: Praktisches Handeln. Was dazu nicht nötig ist: Eine Selbstdemontage von links.

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In dem Beschluss des Vorstandes der Partei DIE LINKE "Zeit zu handeln! Warum wir keine Flüchtlingskrise, sondern eine Krise der sozialen Gerechtigkeit haben." vom 26. September 2015 sind die wesentlichen inhaltlichen Positionen vollständig und klar beschrieben.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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