Rechtsverschärfung bei Hartz IV geplant

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Die geplante Hartz IV-Reform wird für viele Betroffene eine erhebliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen bedeuten. Immer mehr Details weisen auf massive Veränderungen hin, die den Boden der Reichsstaatlichkeit verlassen. Und abermals ist ein SPD geführtes Ministerium dafür verantwortlich. Die ARD-Sendung „Report Mainz“ deckte zahlreiche geplante Schweinereien auf.

Nach Ansicht von Arbeitsmarktexperten und Anwälten wird dies vor allem zu einer erheblichen Verschlechterung für Hartz-IV-Empfänger führen, deren Bescheide falsch sind. Das geht aus Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" hervor. Die Möglichkeit rückwirkend Leistungen zu bekommen, werde nach dem Gesetzentwurf eingeschränkt.

Noch mehr Unrecht bei Hartz IV

Diese Verschlechterungen seien bislang wenig beachtet, weil sie nur schwer zu verstehen seien, sagte der Arbeitsmarktexperte Professor Stefan Sell: "Eine ganz kompliziert daherkommende Regelung in dem Gesetzentwurf führt zu einer rechtsstaatlich unglaublichen Schweinerei. Man nimmt den Hartz-IV-Empfängern durch eine falsche Entscheidung etwas weg, was ihnen zusteht, wohlgemerkt an Regelleistungen zur Deckung des Existenzminimums. Und dann, wenn es herauskommt, dass das eine falsche Entscheidung war, dann gibt man dieses geraubte Diebesgut nicht zurück."

Haben Hartz-IV-Empfänger einen falschen Bescheid bekommen, können sie bislang auch dann rückwirkende Leistungen bekommen, wenn die eigentliche Widerspruchsfrist abgelaufen ist. Dazu können sie einen sogenannten Überprüfungsantrag stellen, mit dem dann Fehler bis zu einem Jahr lang rückwirkend korrigiert werden können. Diese Möglichkeit wird nach Einschätzung von erfahrenen Anwälten für Sozialrecht für viele Betroffene wegfallen.

Kipping: Unglaubliche Schweinerei

Katja Kipping, die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, kommentierte den ARD-Bericht wie folgt: "Report Mainz hat es in der Sendung vom 17. Mai anschaulich gemacht: Was in der verschleiernden Sprache des Gesetzesentwurfs als „Vereinfachung“ und „Verbesserung“ bei Hartz IV ausgegeben wird, ist in Wahrheit eine Rechtsverschärfung.

Report hat sich auf einen wichtigen Aspekt des Gesetzes konzentriert: Entscheidungen der Jobcenter, die unbestritten rechtswidrig waren, sollen nach dem Willen der Bundesregierung nicht korrigiert werden, wenn denn der Träger einheitlich gehandelt hat. Das Jobcenter muss lediglich konsequent rechtswidrig agieren, dann können Leistungen der Grundsicherung vorenthalten werden ohne dass für das Jobcenter eine Nachzahlung droht. Das ist für Jobcenter, die vom Bund sowieso finanziell schlecht ausgestattet werden, geradezu eine Aufforderung, auf diesem Weg Gelder einzusparen. (Stellungnahme komplett nachlesen)

Professor Stefan Sell hat diesen Vorschlag in der Sendung als „unglaubliche Schweinerei“ bezeichnet. Dem schließe ich mich ausdrücklich an. Es lässt sich kaum treffender sagen. Daher sei er hier auch noch einmal wörtlich zitiert: „Wir haben Opfer, nämlich Hartz-IV-Empfänger, denen zu Unrecht Leistungen vorenthalten wurden, und dann geht man hin und sagt: ‚Sorry, wir müssen aber die Jobcenter entlasten‘. Das ist ein skandalöser Zynismus hoch zwei.“

"Das Gesetz ist ein Skandal! Das wichtige Instrument der Überprüfungsanträge wird hier so stark beschnitten, dass wir es in vielen Bereichen gar nicht mehr anwenden können", sagte Rechtsanwalt Dirk Feiertag aus Leipzig. "Die Hilfeempfänger werden auf ihr Geld, was ihnen rechtmäßig zusteht, verzichten müssen." Ähnlich äußerte sich der Anwalt für Sozialrecht Till Koch: "Der Gesetzentwurf bedeutet, dass die Möglichkeit Überprüfungsanträge zu stellen effektiv in ganz vielen Fällen überhaupt nicht mehr besteht. Das Recht wird ausgehöhlt, das wird den Leuten weggenommen und dann bleibt gar nichts mehr."

Der von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung der Hartz-IV-Gesetze soll vor allem dem Bürokratieabbau dienen. Auf Nachfrage von "Report Mainz" teilte das Bundesarbeitsministerium mit, dass es sich bei den Veränderungen des betreffenden Paragraphen nur um eine "klarstellende Anpassung" der Regelung handele, die die Rechtssicherheit erhöhen solle: "Eine weitere Verschärfung bzw. Einschränkung für die Leistungsberechtigten ist damit nicht verbunden."

Das sieht der Remagener Arbeitsmarktexperte Prof. Stefan Sell völlig anders: "Wir haben Opfer, nämlich Hartz-IV-Empfänger, denen zu Unrecht Leistungen vorenthalten werden, und dann geht man hin und sagt: 'Sorry, wir müssen aber die Jobcenter entlasten'. Das ist ein skandalöser Zynismus hoch zwei." Denn aus dem Gesetzestext geht nach Auffassung der von "Report Mainz" befragten Experten hervor, dass Überprüfungsanträge zukünftig nur noch unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich gestellt werden können.

Zum Beispiel nur dann, wenn in einer strittigen Sache ein Urteil höchster Gerichte vorliegt. Gibt es das nicht, werde es in der Praxis auch keine Nachzahlungen mehr geben, so die Experten. Überprüfungsanträge würden dann für viele Hartz-IV-Empfänger ins Leere laufen. Entdecke der Hartz-IV-Empfänger den rechtlichen Fehler in seinem Bescheid dann nicht innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat, gebe es keine Chance mehr, an das ihm vorenthaltene Geld zu kommen. In anderen Sozialrechtsbereichen - z.B. bei der Rente - könnten Betroffene rückwirkende Leistungen bei falschen Bescheiden der Behörden bis zu vier Jahre lang beantragen.

Ergänzung: Bei der geplanten Änderung wird der bisherige Verweis in § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB II auf die Anwendung des § 330 Abs. 1 SGB III durch eine eigene inhaltlich identische Regelung im SGB II ersetzt (vgl. Bt-Dr. 18/8041, Nr. 34 a und b). Soweit ändert sich also nichts.

Darüber hinaus wird diese Regelung im SGB II allerdings auch auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Satzung nach § 22a SGB II ausgeweitet (vgl. Bt-Dr. 18/8041, Nr. 34b Satz 2). D.h. wenn ein Landessozialgericht gemäß § 55a SGG eine Satzung nach § 22a SGB II für unwirksam erklärt, können Betroffene die Ihnen aufgrund dieser Satzung bislang vorenthaltenen Kosten der Unterkunft und Heizung nicht mehr nachträglich einfordern.

Von dieser Neuregelung profitieren allerdings nur die Kommunen, da diese lt. § 6 SGB II diese Kosten tragen. Auf die bisherige - durch § 40 Abs. 1 SGB II auf max. 2 Jahre rückwirkend begrenzte - Möglichkeit, mittels Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu wenig gezahlte Regelleistungen nachzufordern, hat diese Änderung jedoch keine Auswirkungen. Ebenso können in Fällen, in denen keine Satzung nach § 22a SGB II existiert, die Kosten der Unterkunft und Heizung weiterhin max. 2 Jahre rückwirkend nachgefordert werden.

Video von "Report Mainz" ansehen
Antrag der Fraktion DIE LINKE im Bundestag: Keine Rechtsvereinfachung auf Kosten der Betroffenen (PDF)
Hintergrundpapier: Zur Rechtsverschärfung bei Hartz IV
Katja Kipping: Statt Bürokratieabbau noch mehr Ärger in Jobcentern

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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