Ein spannungsvolles Verhältnis

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Die Marburger Elisabethkirche ist nicht nur für Pilger und Touristen eines der Hauptziele bei einem Besuch der Stadt. Sie ist auch ein Ort für Ausstellungen, Montagsgebete und Konzerte die sehr viel Beachtung im öffentlichen Interesse durch Zeitungs- und Fernsehberichte finden. Eine Ausstellung ohne bisherige Berichterstattung in der Tagespresse ist derzeit in der Elisabethkirche zu sehen.

Eine Besuchergruppe verlässt gerade die Elisabethkirche und während die Reiseführerin die Vollzähligkeit ihrer Gruppe überprüft, betrete ich die Kirche. Um die Mittagszeit wird das Kircheninnere noch von einer Reisegruppe, mehreren kleineren Gruppen und Einzelpersonen besucht. Im linken Seitengang sind einige Ausstellungsständer aufgebaut, die ich mir einmal näher ansehe.

Die Ausstellung hat das "Verhältnis von Christen und Juden" zum Thema und wurde im evangelischen Religionsunterricht von den Klassen 9 a und 9 d der Elisabethschule Marburg erstellt. Eine Tafel mit Jahreszahlen gibt einen ersten Überblick über die Geschichte der Juden und so erfährt man auch, dass bereits im 4. Jahrhundert die erste Jüdische Gemeinde in Deutschland entsteht.

Auf den Ausstellungstafeln ist das zwiespältige Verhältnis zwischen Juden und Christen vom Jahre 100 n. Chr. bis zum heutigen Tage dargestellt. Was christliche und jüdische Theologen, Philosophen und Schriftsteller über beide Religionen gedacht haben, ist unter den Überschriften "Konflikt", "Kompromissbereit" und "Heutige Standpunkte" zu lesen.

Ein historischer Überblick zeigt die berufliche und gesellschaftliche Stellung der Juden vom Mittelalter bis in die Zeit vor und nach dem 1. Weltkrieg. So erfahren wir, dass die Juden zu allen Zeiten auf der einen Seite als "Handwerker und Händler" lebten aber andererseits wurden sie auch schnell von der Gesellschaft für Katastrophen schuldig gemacht (z. Bsp. Pestjahre von 1348/49 wurde behauptet "...die Juden hätten die Brunnen vergiftet").

Besonders interessant fand ich die aufgelisteten Beispiele für den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern". Mit diesem Ehrentitel werden nichtjüdische Personen ausgezeichnet, die von 1933 bis 1945 ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Die Auszeichnung erhielten bis Ende 2011 weltweit 24.355 Männer und Frauen, unter ihnen 510 Deutsche. Beispielhaft werden hier die Geschichten von Heinz Drossel, Oskar Huth und dem Ehepaar Margarethe und Fritz Kahl aufgeführt.

Die Arbeit der Jugendlichen fand ich recht interessant und habe sie auch mit viel Interesse gelesen. Erstaunt war ich zum einen von der Tatsache, dass sich Jugendliche so intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben und zum anderen von den Lebensgeschichten der "Gerechten unter den Völkern" !

Da die Ausstellung in Marburg zu sehen ist, möchte ich hier nun noch aus dem Buch "Geschichte der Universitätsstadt Marburg in Daten und Stichworten" nachtragen:
- im Jahre 1317 wird die Synagoge (Judenschule) urkundlich erwähnt (Ecke Judengasse/Obermarkt) (1452 abgebrochen)

- um 1349/50 Judenvertreibung (fälschlich "Urheber der Pest")

- im Jahre 1776 hat Marburg 5.276 Einwohner - darunter 41 Juden

- am 6.4.1933 meldet das Hessische Tageblatt: Allen jüdischen Notaren ist die Ausübung ihrer Tätigkeit untersagt. Nur noch 1 jüdischer Rechtsanwalt ist an den Marburger Gerichten zugelassen (bis dahin waren es 4)

- im September 1933 beschließt der Magistrat jüdische Händler "von den hiesigen Krammärkten auszuschließen". Zuvor war schon mit Erfolg der "erste judenfreie Viehmarkt" auf der Bürgerwiese propagiert worden

- am 10. November 1938 wird die Synagoge in der Universitätsstraße von der Marburger SA durch Brandstiftung zerstört

- am 11. November 1963 wird der Gedenkstein der Synagogen-Zerstörung enthüllt

- am 5.3.1979 lädt Marburg erstmals ehemalige Marburger Juden als Gäste ein

- am 17.11.1980 wird die Ausstellung "Juden in Marburg nach 1933" eröffnet.

Die Arbeit der Jugendlichen über das spannungsvolle Verhältnis zwischen Judentum und Christentum hat sicher mehr Aufmerksamkeit verdient und ich hoffe mein Artikel kann ein bisschen dazu beitragen.

Bürgerreporter:in:

Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain

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