EIN BESCHEIDENER WELTSTAR AUF TENERIFFA

Drei freundliche Engländer im mittleren Alter waren im Juni 1989 zu Gast in unserem Restaurant in der „Alten Schule“ in Masca, Teneriffa. Sie sahen sich staunend und wohlwollend in allen Ecken um. Sie lasen mit Interesse die Speisekarte, die auch einen kurzen Abriss der Geschichte des Restaurants und unserer Familie beinhaltet. Sie genossen das „Menu Guanche“ und fragten, ob es möglich sei, in circa zwei Wochen mit einem Filmteam ein paar Außenaufnahmen hier im Garten zu drehen. Sie erklärten mir, dass sie ungefähr 20 Personen seien, Gordon Jackson eingerechnet.

Da wir seit Jahren kein Fernsehen geschaut hatten, wusste ich nicht, wer Gordon Jackson war. Sie erklärten mir, er sei ein berühmter britischer Schauspieler, der in den letzten Jahren durch zwei TV-Serien „Die Profis“ (Professionls) und „Eaton Place“ (Upstairs, Downstairs) auch in Deutschland zu Ruhm gekommen sei. Bei den geplanten Aufnahmen handele es sich um einen Werbefilm für eine Hotelkette. Natürlich hatten wir Nichts gegen den Besuch des Teams einzuwenden, denn es war nicht der erste Besuch der modernen Medien in unserem Hause.

Am Vormittag des verabredeten Tages sahen wir das Filmteam im Gänsemarsch auf unser Restaurant zukommen. Jeder trug ein Stück vom Equipment, denn die spätere Zufahrt zu unserer Finca war noch nicht gebaut. Also mussten alle Scheinwerfer, Kameras usw. von der Dorfstrasse herabgeschleppt werden.

Während das Team den „Set“ im Garten aufbaute, beobachteten wir von der Terrasse aus die Arbeiten. Nie hätten wir gedacht, wie mühsam und zeitaufwendig es ist, eine einzige Szene vorzubereiten. Plötzlich stand ein älterer Herr hinter uns und wechselte seine Kleidung mitten auf der Terrasse. Es waren zwar noch keine anderen Kunden anwesend, trotzdem machte ich ihn darauf aufmerksam, dass wir bei den Toiletten über ein Badezimmer verfügten, das ihm selbstverständlich zu Verfügung stand, denn ich vermutete, dass es sich um den angekündigten Hauptdarsteller handelte.

Er war es. Er stellte sich höflich vor und meinte ganz lakonisch, er hätte seine Hosen schon an vielen Plätzen in der Welt öffentlich wechseln müssen, sodass er daran gewöhnt sei. Jeder Beruf habe eben seine Eigenarten, aber nach so vielen Berufsjahren mache ihm das nichts mehr aus.

Seine Aussprache des gepflegten „Oxford-English“ begeisterte mich auf Anhieb. Seine sehr männliche Stimme hatte eine unglaubliche Ausstrahlung an Ruhe und Selbstsicherheit. Als er dann hinab ging, um sich schminken und ausleuchten zu lassen, übertrug sich seine Ruhe sofort aufs ganze Team, das bis dahin unheimlich hektisch herumgewuselt hatte. Freundlich und selbstsicher kollegial folgte er den Regieanweisungen mit unglaublicher Geduld. Insgesamt wurden nur zwei Szenen gedreht. Trotzdem dauerte es mehr als zwei Stunden, bis die Arbeit getan war.

Inzwischen hatten wir zwei lange Tische für jeweils zehn Personen eingedeckt und dekoriert. Kühles Masca-Wasser in alten Tonkrügen und leichter halbtrockener Rosèwein standen zwischen der in unserem Garten frisch gepflückten Blumendekoration auf den Tischen. Gordon Jackson saß inmitten der jüngeren Teammitglieder und man plauderte entspannt über die getane Arbeit. Seine Stimme lag stets ruhig aber dominierend über dem restlichen Stimmgewirr.

Immer wieder suchte ich beim Servieren der verschiedenen Gänge die Nähe des alten Herrn. Ich hätte stundenlang dem Klang seiner angenehmen Stimme lauschen können. Glücklicherweise waren nur wenige andere Gäste gekommen, sodass ich mir erlauben konnte, mich nach dem Nachtisch ein paar Minuten zu Gordon zu setzen.

Da er wusste, dass ich Deutscher bin, erzählte er mir von seinen Erlebnissen mit Marlene Dietrich, mit der er schon in den Vierziger Jahren in Berlin und München gearbeitet hatte. Er schilderte sich und seine Schauspielkollegen als Zigeuner, die überall und nirgends zu Hause sind. Trotz aller Routine liebte er seinen Beruf immer noch. Besonders Tage voller Licht wie dieser, die atemberaubende Szenerie des Masca-Tales, die strahlenden Farben des Gartens, die guten Speisen und Getränke im Kreise angenehmer Menschen gaben ihm immer wieder Lust und Anlass, bewusst zu leben und zu genießen. Er plauderte von seiner schottischen Heimat und von Hollywood, von Dreharbeiten in der Südsee und im ewigen Eis.

Während ich fasziniert lauschte, hatte ich wegen seiner Natürlichkeit nie das Gefühl, dass hier ein Weltstar neben mir saß. Sein Beruf hatte ihn nicht arrogant und oberflächlich werden lassen. Gern hätte ich ihm noch tagelang zugehört. Doch man musste weiter. Wir machten noch ein Abschiedsfoto mit unseren Kindern und Gordon schrieb in unser Gästebuch: „ The most beautiful Restaurant I have ever visited! Good food – thank you: Gordon Jackson“. Schon nach ein paar Wochen sandte er uns unaufgefordert eine Viedeo Kassette mit den Aufnahmen in unserem Garten.

Sechs Monate später erfuhr ich von englischer Kundschaft, dass Gordon Jackson im Januar 1990 an Krebs gestorben war. Lediglich an vier Stunden seines Lebens durfte ich teilhaben, doch das war genug Zeit, um danach viele Dinge mit anderen Augen zu sehen. Thank you Gordon.

Durch unseren arbeitsreichen Alltag und unser Leben „hinter den sieben Bergen“ bekamen wir oft gar nicht mit, dass ich irgendwelche so genannten „Promis“ auf der Terrasse bediente. Oft machten mich jedoch meine Gäste auf mir unbekannte „öffentliche“ Gesichter aufmerksam. Dann tuschelte man mir beim Servieren der Suppe zu, dass da drüben unter dem Gummibaum der Ludwig Quandt (Cellist der Berliner Philharmoniker), die Ruth-Maria Kubitschek, der Klaus Theo Gärtner, der „Immobilien-Schneider“, der Starviolinist der Petersburger Philharmoniker, die Katja Ebstein oder das und das Mitglied des Bundestages sitze. Immer wieder nannten meine kulturell gebildeten Gäste Namen von Stars und Sternchen aus allen Bereichen des „Öffentlichen Lebens“.

Nur den „Zaunlatten-Börner“ erkannte und kannte ich persönlich von früheren Hessentagsumzügen, als ich ihm als damaliges Mitglied der ehemaligen „Ungarischen Volkstanzgruppe Marburg“ eine Flasche echten „Stierblutes“ aus Eger/Ungarn überreicht hatte. Klar, dass er sich an mich nicht mehr erinnerte, zumal ich keine ungarische Tracht in Masca trug.

Leider kann ich an dieser Stelle nicht die unzähligen Fotos einstellen, die im letzten Jahr im Restaurant verbrannten (siehe mein Bericht: 10 Jahre Schutt und Asche auf Teneriffa).

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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