Zum Jahresausklang: Wider den Fetischismus des Geldes

Marburg, Ende Dezember 2013

Ich wünsche allen Leser_innen meiner Beiträge für das Jahr 2014, dass ihre Wünsche und Hoffnungen soweit wie möglich in Erfüllung gehen. Ich wünsche und hoffe, dass in 2014 die Veränderungen in der gesellschaftlichen Realität zu mehr Menschlichkeit und mehr Frieden führen.

Hier ein erster, kitzekleiner Beitrag von mir als Anstoß zur Selbstveränderung:

Am Jahresende ist Zeit und Gelegenheit eine Bilanz für das abgelaufene Jahr zu erstellen und Perspektiven für das neue Jahr zu entwickeln. Bundespräsident und Bundeskanzlerin sprechen zu den Bundesbürgern über die Fernsehschirme. Ihre Worte klingen warm - und dennoch hohl. Weil die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit selbst mit ausgefeiltester Rhetorik nicht zu überwinden ist.

Da lobe ich mir den neuen Papst Franziskus. In seltener Klarheit benennt er in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" (Die Freuden des Evangelium) die Fehler und Schwächen des derzeitigen Wirtschaftssystems und die Versäumnisse der politischen Klasse. Vielleicht erleuchtet ja - wider Erwarten - der heilige Geist die bundesdeutsche Regierung. Hier ein Auszug aus einem Schreiben des Papstes vom 15. Mai 2013:

Papst Franziskus an die Botschafter von Kirgisien, von Antigua und Barbuda, des Großherzogtums Luxemburg und von Botswana - 16. Mai 2013 (Auszüge)

Sehr geehrte Herren Botschafter!

(...)

Die Menschheit steht gegenwärtig an einem Wendepunkt ihrer Geschichte, wenn man die Fortschritte auf verschiedenen Gebieten bedenkt. Zu würdigen sind die positiven Errungenschaften, die zu einem wirklichen Wohlstand beitragen, wie zum Beispiel im Gesundheits-, Bildungs- und Kommunikationssektor. Aber wir müssen auch anerkennen, dass die Mehrheit der Männer und Frauen unserer Zeit immer noch täglich in Unsicherheit leben, mit schlimmen Folgen. Krankheiten mit psychischen Folgen nehmen zu, Angst und Verzweiflung bemächtigen sich der Herzen vieler Menschen, auch in den sogenannten reichen Ländern; die Freude am Leben schwindet, Obszönität und Gewalt nehmen zu; die Armut greift immer mehr um sich. Die Menschen müssen kämpfen, um leben zu können, und häufig nur, um unwürdig leben zu können.

Eine der Ursachen für diese Situation liegt meiner Meinung nach in unserer Beziehung zum Geld, in unserer Akzeptanz eines Geld-Imperiums und seiner Macht über uns und unsere Gesellschaften. Auf diese Weise bringt uns die Finanzkrise, die wir erleben, dazu, zu vergessen, woher sie kommt. Denn ihre Hauptursache liegt in einer tiefen anthropologischen Krise: Man verweigert dem Menschen den Primat. Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des Goldenen Kalbes aus der Antike (vgl. Ex 32, 15-34) hat ein neues und herzloses Bild im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur der Wirtschaft ohne menschliches Antlitz und ohne echte menschliche Zielsetzung gefunden.

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise scheint diese Deformation offenkundig zu machen. Ausschlaggebend dafür ist aber vor allem, dass eine anthropologische Orientierung fehlt, weil der Mensch auf ein einziges Bedürfnis reduziert wird, nämlich auf den Konsum. Schlimmer noch, die Menschen selbst werden heute als Konsumgüter betrachtet, die genutzt und weggeworfen werden können. Wir haben eine Wegwerf-Kultur begonnen. Diese Deformation bestätigt sich individuell und gesellschaftlich - und wird sogar noch gefördert! In diesem Zusammenhang wird die Solidarität, der Schatz der Armen, oft als kontraproduktiv und gegensätzlich zur Logik der Finanzen und der Wirtschaft angesehen.

Während das Einkommen einer Minderheit exponentiell zunimmt, muss die Mehrheit mit immer weniger auskommen. Dieses Ungleichgewicht resultiert aus Ideologien, die die absolute Autonomie der Märkte und Finanzspekulationen hochhalten, und auf diese Weise zugleich das Kontrollrecht der Staaten infrage stellen, denen immer noch die Sorge für das Gemeinwohl obliegt.

Eine neue, unsichtbare und manchmal virtuelle Tyrannei wird installiert, eine Tyrannei, die einseitig und obligatorisch ihre eigenen Gesetze und Regeln durchsetzt. Darüber hinaus entfernen Verschuldung und Kredite Länder von ihrer realen Wirtschaft und Bürger von ihrer wirklichen Kaufkraft. Hinzu kommen die um sich greifende Korruption und die egoistische Steuerhinterziehung, die weltweite Dimensionen angenommen haben. Die Besessenheit von Macht und Besitz ist grenzenlos geworden.

Hinter einer solchen Haltung verbirgt sich die Verweigerung ethischen Verhaltens, die Verweigerung Gottes. Ethik stört - wie die Solidarität! Sie wird als kontraproduktiv angesehen, als zu menschlich, weil sie Geld und Macht relativiert; sie wird als Drohung empfunden, weil sie sich der Manipulation und der Unterwerfung des Menschen verweigert. Denn die Ethik führt zu Gott, der in Marktkategorien nicht erfasst werden kann. Gott wird von diesen Finanz- und Wirtschaftsleuten sowie von diesen Politikern als nicht lenkbar, ja sogar als gefährlich wahrgenommen, weil er den Menschen dazu aufruft, sich selber voll zu verwirklichen und sich von jeder Form der Sklaverei frei zu machen. Die Ethik - natürlich nicht die Ethik dieser Ideologie - macht es meiner Meinung nach möglich, eine ausgewogene, menschlichere Gesellschaftsordnung zu schaffen. In diesem Sinne spreche ich den Finanzexperten und den politischen Führungskräften für ihre jeweiligen Länder den Mut zu, die Worte des Heiligen Johannes Chrysostomus zu bedenken: "Die eigenen Güter mit den Armen nicht zu teilen, bedeutet sie ihres Lebens zu berauben und ihnen das Leben zu nehmen. Die Güter, die wir besitzen, gehören nicht uns, sondern ihnen" (Homélie sur Lazare, 1, 6: PG 48, 992D).

Liebe Botschafter, es bedarf einer Finanzreform nach ethischen Grundsätzen, die ihrerseits eine Wirtschaftsreform nach sich zieht, die allen dient. Dafür ist allerdings eine mutige Änderung in der Einstellung der politisch Verantwortlichen notwendig. Ich fordere sie auf, diese Herausforderung mit Entschlossenheit und Weitsicht anzunehmen, natürlich unter Berücksichtigung ihrer jeweils besonderen Situationen. Geld soll dienen, nicht herrschen! Der Papst liebt alle Menschen, die reichen und die armen, aber der Papst hat im Auftrag Christi die Pflicht, daran zu erinnern, dass die Reichen den Armen behilflich sein, ihnen Respekt und Förderung zukommen lassen müssen. Der Papst ruft dazu auf, in der Finanz- und Wirtschafts-Welt uneigennützige Solidarität zu üben und zu einer Ethik, die den Menschen dient, zurückzukehren.

Die Kirche ihrerseits arbeitet stets für die ganzheitliche Entwicklung jedes Menschen. In diesem Sinne erinnert sie daran, dass das Gemeinwohl nicht als simple Summe oder als simples konzeptionelles Schema von minderer Qualität anzusehen ist, das man der politischen Agenda als Anhang beifügen kann. Die Kirche ermutigt die Regierenden, wirklich im Dienst des Gemeinwohls ihrer Völker zu stehen. Sie ermahnt die Führungskräfte der Finanzwelt, Ethik und Solidarität ernst zu nehmen. Und warum sich nicht an Gott wenden mit der Bitte, er möge die eigenen Entwürfe inspirieren? Dann wird man ein neues politisch-ökonomisches Denken entwickeln, das dazu verhelfen kann, die totale Spaltung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft in ein ausgewogenes Zusammenwirken umzuwandeln.

(...)

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz
Quelle: http://blogs.periodistadigital.com/religiondigital...

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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