Verschollen im Bermuda-Dreieck der Nachhaltigkeit

Aus Forum Umwelt und Entwicklung

Die Grüne Ökonomie

Einer der Schwerpunkt der kommenden Rio+20-Konferenz im Juni 2012 ist die Green Economy. Ein Konzept, dass alles heißen kann - und leider eben auch nichts

Von Chris Methmann

Kurz nach dem desaströsen Scheitern des Klima-Gipfels von Kopenhagen, im Januar 2010, verkündete UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, dass er nun auf ein neues Thema setzen würde: die "Green Economy". Klima-Berater wurden entlassen, "Green Economy"-Experten eingestellt. Statt den Konflikten in der internationalen Klimapolitik solle man sich dem widmen, was direkt umsetzbar sei. Und von "grünen Investitionen" würden schließlich alle profitieren.

Man muss sich das so vorstellen: Mit Kopenhagen ist das Flaggschiff der internationalen Umweltpolitik - der zentrale Politikprozesses, der aus dem "Erdgipfel" von Rio 1992 hervorgegangen ist - ernsthaft Leck geschlagen und droht auf Jahre hinaus manövrierunfähig durch die Weltpolitik zu treiben. Und just in diesem Moment lenkt der Mann im Ausguck die Aufmerksamkeit auf einen schmalen grünen Streifen am Horizont. Und während unter Deck die ersten Passagiere schon mit den steigenden Fluten kämpfen, starrt die feine Gesellschaft an Deck auf den grünen Flecken, der die schöne neue Welt verspricht.

Nicht alles was glänzt ist grün

Schon 2008 fand der European Business Summit, eine Lobbyveranstaltung der europäischen Industrie, unter dem Stichwort "Greening the Economy" statt - ganz vorne mit dabei: die Umweltschützer von BMW, Eon, Lufthansa und Shell. Allein das macht deutlich, dass die Green Economy ein sehr dehnbarer Begriff ist.

Ein häufiger angeführter Beweis, dass die Green Economy bereits auf dem Weg sei, ist eine Studie der britischen Bank HSBC. Die hat im Februar 2009 untersucht, wie "grün" die Konjunkturpakte sind, die verschiedene Regierungen in Reaktion auf die Jahrhundertkrise der Weltwirtschaft verabschiedet haben. Dort wird stolz vermeldet, dass bereits 15 % der insgesamt 430 Milliarden US-Dollar weltweiter Konjunkturhilfen grün sind.

Doch was genau heißt eigentlich "grün"? Maßgebliches Kriterium, so lehrt die Studie, ist der Einfluss dieser Investitionen auf CO2-Emissionen. Im besten Fall heißt grün also gut fürs Klima. Im schlechteren Fall ist nach dieser Logik auch schon ein neues, effizienteres Kohlekraftwerk grün - es spart ja immerhin CO2 ein. Im schlimmsten Fall sind damit umweltpolitisch höchst zweifelhafte Maßnahmen gemeint. Zum Beispiel bezeichnet HSBC die deutsche Abwrackprämie, Atomenergie oder CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) ganz explizit als "grün". Zwar behaupten einige, dies sei gut fürs Klima. Seltener hört man hingegen, dass Verkehrslärm, strahlender Abfall oder aus dem Boden entweichendes CO2 wirklich "grün" wären. Wenn das die Grüne Ökonomie sein soll, die schon "auf dem Weg" ist, dann ist sie definitiv auf dem falschen Weg.

Man mag nun einwenden, dass man das Konzept einer Green Economy ja kaum an der Studie einer britischen Bank messen darf. Doch auch ein Blick in die zentrale Publikation des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), "Towards a Green Economy", ist ziemlich ernüchternd. Vieles, was UNEP schreibt, ist nicht wirklich falsch - zum Beispiel, Subventionen für fossile Energien zu streichen, in grüne Technologien zu investieren oder die Forschungsausgaben für erneuerbare Energien zu erhöhen. Aber leider ist vieles eben auch nicht wirklich richtig.

Um nur zwei Beispiele zu nennen: UNEP verkauft die grüne Ökonomie als "sozial inklusiv". Seit Rio 1992 ist es eine Binsenweisheit, dass soziale und ökologische Fragen nicht getrennt voneinander gesehen werden dürfen. Doch als einzige Idee, wie diese Erkenntnis in die Tat umgesetzt werden soll, bringt UNEP vor, dass Investitionen in grüne Technologien und die Erhaltung von Ökosystemen Arbeitsplätze schaffen - gerade auch im Süden. In den 60er Jahren hätte man mit dieser grün angestrichenen Modernisierungstheorie wohl noch einen Blumenstrauß gewinnen können. Gemessen am heutigen Stand der Entwicklungsforschung ist ein solcher Wachstumsoptimismus diplomatisch gesagt von gestern - ganz so, als ob die strukturelle Asymmetrie der Weltwirtschaft noch nicht entdeckt worden wäre.

Anderes Beispiel: UNEP fordert die Berücksichtigung alternativer Indikatoren für Wohlstand jenseits des reinen Bruttoinlandsprodukt-Wachstums. Super. Aber hilft uns wirklich ein neuen Indikator, der uns nur sagt, was wir eh schon wissen, nämlich dass ein kleiner, aber wachsender Teil der Weltbevölkerung ökologisch über seine Verhältnisse lebt und dass ökonomisches Wachstum dies verschärft? Was fehlt, sind konkrete Maßnahmen, die diese Erkenntnis auch in Politik umsetzen. Was wir brauchen, ist selektives Wachsen (bei erneuerbaren Energien, öffentlichem Verkehr und in anderen Bereichen) und Schrumpfen (zum Beispiel bei Autoindustrie, Konsumelektronik, Waffenproduktion).

Während UNEP viel über die Chancen des grünen Wachstums redet (die unbestreitbar existieren), wird das notwendige Schrumpfen aber kaum erwähnt. Wir können so viele grüne Autos bauen, wie wir wollen: Solange die Menge der Autos weiter wächst, hilft auch der schönste Wohlstandsindikator nichts.

Diese Mischung aus richtig und falsch führt dazu, dass man so richtig nicht dagegen sein kann gegen die Grüne Ökonomie. Und deswegen ist der Gedanke wohl auch so attraktiv. Doch die zentrale Stärke der Green Economy ist eben auch ihre zentrale Schwäche: Es ist für jede/n was dabei - und eben auch genug für diejenigen, die sich den zentralen ökologischen Herausforderungen nicht stellen wollen. Als Wegweiser für die sozial-ökologische Transformation taugt die Grüne Ökonomie daher nicht. Sie gleicht wohl eher dem Kompass des Piraten Jack Sparrow, der immer zu dem weist, was man am meisten begehrt.

War da was? Aus der Geschichte lernen

Eine mögliche Antwort auf dieses Problem wäre: Die Zivilgesellschaft muss verbindliche Standards definieren, was genau eine Green Economy enthalten sollte und was nicht. Doch die Geschichte der nachhaltigen Entwicklung stimmt skeptisch, dass eine solche Definitionshoheit wirklich zu erreichen ist. Auch im Vorfeld von Rio 1992 waren viele NGOs geradezu euphorisch, dass man mit einer "starken Definition" von nachhaltiger Entwicklung einen grundlegenden sozialen und ökologischen Wandel erreichen könnte. Doch wie wir wissen, ging die Geschichte anders aus. 20 Jahre nach Rio weisen alle ökologischen Indikatoren in die falsche Richtung. Nachhaltig ist heute trotzdem fast alles. So kann man bei E-Plus im nachhaltigen Handytarif telefonieren (wo man die Umwelt umso mehr schützt, je mehr man telefoniert) oder mit GoGreen bei der Deutschen Post nachhaltig den Verkehrssektor ausbauen. Kein noch so dreckiger Konzern kommt ohne Nachhaltigkeitsstrategie aus.

Und als die G-20-Finanzminister im Februar 2011 angesichts der Jahrhundertkrise der Weltwirtschaft von der Hoffnung auf "nachhaltiges Wachstum" sprachen, hat dabei wohl auch niemand nur an die Umwelt gedacht. Einen weiteren solchen Pyrrhus-Sieg kann die Umwelt nicht verkraften. Doch die Green Economy führt die soziale und ökologische Transformation der Gesellschaft ins gleiche Bermudadreieck wie einst die nachhaltige Entwicklung.

Noch ist Zeit für eine Kurskorrektur. Als die globalisierungskritische Bewegung - und mit ihr viele Umweltverbände und Entwicklungsorganisationen - Ende der 90er Jahre die neoliberale Globalisierung an den Pranger stellte, entsprach das sicher nicht dem Zeitgeist. Heute, angesichts der Jahrhundertkrise in Weltwirtschaft und Finanzmärkten, geben sogar führende konservative Denker wie der britische Thatcher-Fan Charles Moore und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zu, die Linke hätte vielleicht Recht gehabt.

Warum also nicht einfach mal sagen: Wir spielen nicht mehr mit! Nicht weil alles, was als Green Economy gefordert wird, falsch wäre. Auch die Globalisierungskritikerinnen und -kritiker haben Globalisierung nicht rundheraus verteufelt. Sondern schlicht und einfach weil Green Economy - 20 Jahre nach Rio! - zu wenig ist. Wir haben nicht mehr die Zeit, uns weitere 20 verlorene Jahre zu gönnen.

Vielleicht lautet die Alternative so: Entweder wir vertrauen erneut der Rettung durch ein Zauberkonzept und stellen in 20 Jahren fest, dass wir wieder falsch gelegen haben. Oder wir sagen diesmal von Anfang an nein und haben in zehn Jahren Recht. Klar: Vom Rechthaben allein wird die Welt nicht gerettet. Aber die Spielräume für eine wirklich sozial-ökologische Politik sind dann wahrscheinlich deutlich größer.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg und aktiv beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Er promoviert zu globalen Klimadiskursen

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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